Budapest: „Billy Elliot“

am 10.12.2016

Premiere am 29.7.2016

Eine gelungene Adaptierung für Ungarn

Basierend auf dem Debütfilm des britischen Regisseurs Stephen Daldry nach dem Originaldrehbuch von Lee Hall „Billy Elliot – I Will Dance“, komponierte Sir Elton John eine Musicalversion, für die Lee Hall die Liedtexte und das Buch verfasste. Uraufgeführt wurde das Musical dann am 11. Mai 2005 im Victoria Palace Theatre in London. Der Ort der Handlung ist die Grafschaft Durham vor dem Hintergrund der Bergarbeiterstreiks im Nordosten Englands um 1984/85, in der der 11 jährige Billy Elliot als Halbwaise in schwierigen Verhältnissen aufwächst und, zum Leidwesen seines älteren Bruders und seines strengen Vaters, seine Liebe zum Ballett entdeckt.

Wozu man in Wien, wo sich die Musicalszene in erster Linie in und um das Haus Habsburg und Mozart erschöpft, leider nicht in der Lage war, das vermochte man im vergangenen Sommer in Budapest. Endlich konnte Billy Elliot in Mitteleuropa in einer respektablen Umsetzung bewundert werden. Standen zunächst für die Repertoirevorstellungen noch sieben „Billys“ und fünf „Michaels“ fest, reduzierte sich deren Anzahl nun laut Programmheft auf jeweils drei. Am anspruchsvollsten ist natürlich die Titelrolle, die an diesem Abend von Kamill Kökény-Hámori sehr gut getanzt, gesteppt, Flickflack (Handstützüberschlag rückwärts) gehechtet und berührend gespielt wurde. Lediglich beim Gesang war manchmal deutlich vernehmbar, dass der Knabe unmittelbar vor dem Stimmbruch steht.

Besonders zu Herzen gingen dann die vertraulichen Zwiegespräche mit seiner toten Mutter (Renáta Krassy), die ihn immer wieder aufmuntert und in seinem Entschluss bestärkt, seinen einmal eingeschlagenen Lebensweg mutig weiter zu beschreiten. Olivér Lukács war Michael, der beste Freund Billys, der gegen die harte Bergarbeiterwelt dadurch revoltiert, dass er die Kleider seiner Schwester anzieht, bis er sich letztendes gegenüber seinem Freund als „schwul“ outet. Csaba Jantyik war ein grobschlächtiger Vater, durch den Tod von Billys Mutter einsam und verbittert geworden, erkennt er aber noch rechtzeitig durch die Überzeugungskraft der Ballettlehrerin Mrs. Wilkinson (Éva Auksz), dass sein jüngerer Sohn Billy die Chance und das Potential hat, aus der Tristesse der Bergarbeiterwelt auszubrechen, um in London an der Royal Ballett School weiter ausgebildet zu werden. Billys älterer Bruder Tony, der ganz den Idealen der Arbeiterklasse ergeben und für bessere Lebensbedingungen in den Bergwerken auf die Barrikaden zieht, wurde von Attila Fejszés überzeugend dargestellt.

Als besonders liebeswert fiel die Darstellung von Billys Großmutter durch Eszter Csákányi aus, die ebenfalls gerne Tänzerin geworden wäre… Bálint Ekanem überzeugte noch als engagierter Boxtrainer Mr. Braithwaite. Für die Traumszenen Billys wurde in der Budapester Fassung des Musicals noch eine Schlüsselszene aus Tschaikowskys Ballett „Schwanensee“ eingefügt und es traten darin als Solisten des Ungarischen Nationalballetts Ksenia Kulikova als Odette, German Borsai in der Doppelrolle als Prinz und als erwachsener Billy sowie Publikumsliebling Levente Bajári als Rotbart auf. Die praktikablen Bühnenbilder von István Szlávik lehnten sich stark an die Londoner Originalproduktion an, ebenso die Kostüme von Yvette Alida Kovács. János „Madár“ Madarász leuchtete die einzelnen Szenen subtil ein. Die Choreographie von Ákos Tihany weist trotz mancher Übereinstimmung mit jener der Originalproduktion doch genügend Eigenständigkeit auf, um als Choreographie neuen Zuschnitts angesehen werden zu können.

Die zahlreichen Steppszenen wurden von Boglárka Szikora sehr gut einstudiert. Géza Köteles leitete schwungvoll das Orchester. Gesungen und gesprochen wurde übrigens auf Ungarisch, was jedoch kein Hindernis für nicht ungarisch sprachige Besucher sein sollte, denn es gibt englische Übertitel, die die ehemalige Sängerin von so anspruchsvollen Partien wie Abigaille, Lady Macbeth und Turandot, Veronika Fekete, nunmehr während der Vorstellung einblendet. Chor- und Kinderchor wurden von Kálmán Strausz und Nikolett Hajzer bestens einstudiert. Das Publikum jeder Altersklasse war von den gebotenen Leistungen aller Künstler begeistert und spendete lang anhaltenden Applaus.

Harald Lacina, 12.12.16

Fotocredits: Attila Nagy und Péter Rákossy