Essen: „Hans Heiling“

Premiere: 24.2.2018

Immerhin musikalisch imposant

Nein, am Essener Aalto wird nicht das dritte Bild von Wagners „Rheingold“ gegeben, auch nicht Rudolf Wagner-Régenys „Bergwerk zu Falun“, sondern Heinrich Marschners „Hans Heiling“. Aber auch hier wird „rastlos geschafft mit stetiger Kraft, die Schätze heraus in den Schacht“. Erstaunlicherweise spielt man dieses Werk sehr viel seltener als den „Vampyr“, für den es in den letzten Jahren eine respektable Aufführungsstatistik gibt. „Heiling“ ist in jüngster Zeit lediglich mit zwei Produktionen des Jahres 2015 nachweisbar: Theater an der Wien und Regensburg.

An der Musik kann es nicht liegen, denn sie besticht mit ihrem hochromantischen Impetus, gelegentlich auch kompositorischen und dramaturgischen Wagnissen (Ouvertüre nach dem szenischen Vorspiel, ausgedehntes Melodram von Mutter Gertrude). Die Wirkung ist auf diversen Gesamteinspielungen des Werkes nachzuprüfen. Eine Hypothek stellt freilich die Handlung dar, welche die Welt der Geister in den Mittelpunkt stellt. Die Unterirdischen sind süchtig nach der Oberwelt, einem Sehnsuchtsland, dessen Idealität sich dann aber nicht bewahrheitet, wie u.a. die vielen Undinen-, Melusinen- und Rusalka-Geschichten zeigen. Das hatte auch die Königin der Erdgeister erfahren müssen, die ihren Sohn Hans Heiling von einem irdischen Manne empfing.

Natürlich kann nicht empfohlen werden, die Marschner-Oper im Stile eines Novalis („Heinrich von Ofterdingen“), eines Theodor Körner oder der Gebrüder Grimm („Heilings Felsen“) zu inszenieren. Aber einem radikalen Transport in die Jetztzeit wie jetzt in Essen verweigert sich das Werk alleine durch sein Libretto. Der Text von Eduard Devrient birst nur so vor plakativem romantischem Wortschatz; und Titulierungen wie „Geisterfürst der Berge“ oder „Königin“ gibt es zuhauf. Sie sind einfach nicht zu überhören, anders als in Wagners „Ring“, welcher ein überzeitliches Weltendrama entwirft, wo historische Wortwahl u.U. zweitrangig wird. „Heiling“ hingegen bietet eine vergleichsweise „naive“ Story, welche unter Interpretationsehrgeiz ersticken kann.

Dies ist der Fall bei Andreas Baesler, der in Essen zum vierten Male inszeniert. Als ehemaliger Student an der Folkwang Universität fühlt er sich der Ruhgebietsstadt vermutlich besonders verbunden und kramt nun „grämliches Zeug“ („Siegfried“) lokaler Couleur aus. Er fasst die Krupp von Bohlen und Halbach-Dynastie ins Auge, vor allem ihren letzten Vertreter, Alfred Krupp. Seine Verstrickung in die Rüstungspolitik der Nazis lässt Baesler beiseite. Er konzentriert sich auf den „großen Einsamen“, der – malträtiert von seinen Eltern – kaum je wirklich glücklich gewesen sein soll. Das passt in den äußeren Umrissen sicherlich zur Heiling-Figur, vereinseitigt freilich auch dessen Charakter. Ein so sensibler, verletzbarer Firmenboss, wie in Essen vorgeführt, ist generell kaum vorstellbar.

Die Erdgeister (irgendwann als „Kapitalisten“ apostrophiert) werden zu Kumpeln im Kohlebergwerk. Während der Ouvertüre läuft ein Film über sie und ihr Milieu ab – penetrant. Und da die die letztendliche Chefin der Unterwelt, die Königin der Erdgeister, in Gestalt von Rebecca Teem (gleißender Sopran mit etwas viel Vibrato) wie eine etwas tumbe Mutterglucke wirkt, driftet dieser Lebensbereich zusätzlich ins Ungefähre, Vage. Die Titelfigur porträtiert der großartige Heiko Trinsinger (vor zwei Jahren trat er an der Komischen Oper Berlin auch im „Vampyr“ auf), wirkt attraktiv in seiner maskulinen Eleganz und baritonalen Noblesse, welche sich in der bekannten Arie „An jenem Tag“ sogleich bestechend manifestiert. Aber einen wirklich triftigen Charakter vermag auch er nicht herbeizuzaubern. Allerdings ist ihm ein spektakuläres Finale gegönnt: er sprengt am Schluss sein Imperium in die Luft (Zeche Zollverein?), probates Bild für eine persönlich Tragödie.

Mit einem (überlangen) Stammtischgeschwätz in Ruhrdeutsch beim Fest zu Ehren der heiligen Barbara versucht die Regie, Couleur locale zu beschwören. Das geht daneben wie anderes auch. Die finale Hochzeitsfeier mit dem Bergmannslied „Glück auf, der Steiger kommt“ zu garnieren (Sonderauftritt des Bergwerksorchesters Consolidation) geht noch an, zumal es sich in Marschners Musik einigermaßen stimmig einfügt. Harald B. Thor liefert ziemlich realistische Architekturen; die Kostüme von Gabriele Heimann sind modern, was sonst?

Frank Beermann, respektiert nicht zuletzt wegen seiner überzeugenden Opernausgrabungen (derzeit auf CD: Otto Nicolais „Die Heimkehr des Verbannten“, Giacomo Meyerbeers „Vasco da Gama“, Hans Pfitzners „Rose vom Liebesgarten“ und last but not least "Benzin" von Reznicek) sowie Abseitiges im sinfonischen Bereich, gibt mit den gut disponierten Essener Philharmonikern auch Marschners wunderbarer Musik ausdrucksvolles Profil. Der Chor (Jens Bingert) singt ohne Fehl und Tadel. Mit ihrem hellen, fraulichen Sopran gewinnt sich Jessica Muirhead als Anna merklich Sympathien im Publikum, zu Recht. Bettina Ranch als noch recht jugendliche Gertrude, von der Regie oft etwas sinnentleert in Bewegung gehalten (der Fernseher bei ihrem Melodram ist freilich o.k.), singt mütterlich ausdruckvoll, ihren Sprechtext versteht man nicht immer. Die vokale Leistung von Jeffrey Dowd (Annas Liebhaber Konrad) macht frösteln: eine ziemlich ausgetrocknete Tenorstimme, die zum „burggräflichen Leibschütz“ so gar nicht passen will.

Nein, in Essen wird Marschners „Hans Heiling“ der Opernwelt nicht wiedergewonnen. Vielleicht tröstet der Mitschnitt für Deutschlandfunk, Westdeutscher Rundfunk und CD ein wenig. Aber nach „Verkaufter Braut“ und „Trovatore“ neuerlich eine szenisch derart fragwürdige Aufführung zu erleben, stimmt missmutig.

Bilder von Thilo Beu

Christoph Zimmermann 25.2.2018