Essen: „Tannhäuser“

Premiere: 24. September 2022

Extrem wirre Zusammenschusterung

Eigentlich hätte die „Tannhäuser“-Inszenierung von Paul-Georg Dittrich schon am 26. September 2020 Premiere haben sollen, doch wegen Corona kam sie erst jetzt heraus. In der Zwischenzeit hat der Regisseur am Aalto-Theater mit Glucks „Orfeo ed Euridice“ und Bartoks „Blaubart Burg“ zwei Corona-Ersatzproduktion herausgebracht. Außerdem hat er in Kassel Aubers „Stumme von Portici“ durch viele Diskussionen unterbrechen lassen, und an der Hamburgischen Staatsoper wurde er zwei Wochen vor der Premiere von „Die Entführung aus dem Serail“ seiner Aufgabe entbunden. Man durfte also auf eine eigenwillige Sicht auf Wagners Oper gespannt sein.
Paul-Georg Dittrich, Sohn des Komponisten Paul-Heinz Dittrich, hat eine Fülle von Ideen, aber letztlich kein schlüssiges Konzept. In den Vorankündigungen des Theaters und dem Einführungsvortrag wird behauptet, Tannhäuser sei ein Künstler, der sich auf eine „Reise durch die Zeit und die Kunstgeschichte begibt“. So spielt der erste Akt vor dem riesigen liegenden Torso der „Venus von Milo“, der zweite Akt in Raffaels Fresko „Die Schule von Athen“.

Die Venus entpuppt sich aber als bloßer Dekoration, die nichts zu bedeuten hat. Wichtiger ist, dass sich hinter dem Torso die „Venuslabors“ für Reproduktionsmedizin befinden, wo Venus und Tannhäuser auf künstlichem Wege eine Tochter zeugen, die vom Hirten, der hier auch Amor und Krankenschwester ist, im Kinderwagen hereingeschoben wird. Gesungen wir der Multifunktionshirte von Mercy Malieloa mit glockenreinem Sopran.

Im ersten Akt geht es also eher um Wissenschaft als um Leidenschaft. Umso überraschter ist man, dass die Wartburg-Sänger das Venuslabor mit Benzin abfackeln. Wahrscheinlich sollen das fundamentalistische Christen zu sein, obwohl dies in ihren Kostümen nicht richtig klar wird. Das Ausstatter-Duo Pia Dederichs und Lena Schmid lässt nämlich alle Akteure in weißen Gewänder auftreten, die irgendwo zwischen Antike, Fantasy und Science-fiction zu verorten sind.

Tenor Daniel Johansson, der in Essen schon als Lohengrin zu hören war, singt mit hellem und klarem Tenor einen sehr textverständlichen Tannhäuser. Jedoch bleibt er durchweg im Mezzoforte, geht nie in ein zartes Piano oder ein auftrumpfendes Forte, wodurch die Rolle sängerisch eindimensional bleibt. Deidre Angenent gefällt als Venus anfangs mit ihrem lyrischen Mezzo, gegen Ende Szene baut die Sängerin aber ab, und die Szene verliert an Spannung. Das könnte aber auch an Dirigent Tomas Netopil liegen, der mit einer dramaturgisch gut strukturierten Ouvertüre und einer aus dem Dialog entwickelten Orchesterbegleitung beginnt. Es gibt aber einzelne Situationen, wo die Spannung der Musik einbricht und man sich zügigere Tempi wünscht.

Im zweiten Akt befinden wir uns im Raffaels Fresko „Die Schule von Athen“. Das sieht sehr eindrucksvoll aus, denn die Architektur wird auch als Projektionsfläche genutzt, auf der dann Säulen und Reliefs erscheinen. Der Einzug der Gäste ist aber eine bloße Nachstellung des Freskos durch den Chor ohne jede Regie. Auch sonst hat man den Eindruck, dass Regisseur Dittrich die Figuren nicht als reale Menschen, sondern mehr Ideenträger sieht, sodass die Konstruktion von Bildern wichtiger ist als eine packende Personenführung.

Ein starkes Rollenporträt liefert Astrid Kessler als Elisabeth. Mit ihrem jugendfrischen und strahlenden Sopran singt sie eine jubelnde Elisabeth. Ein beeindruckender Landgraf ist Karl-Heinz Lehner, der die Rolle mit großer Bass-Autorität ausstattet. Heiko Trinsinger überzeugt als Wolfram mit weichem und fülligem Bariton, den er sehr kantabel einsetzt. Matthias Frey als Walter bleibt allerdings sehr schmalbrüstig.
Im 3. Akt ist dann wieder alles ganz anders. Wie in einer Inszenierung des 2009 verstorbenen Altmeisters Jürgen Gosch sitzen die Akteure in der Mitte der Bühne auf einer Bank und warten auf ihren Auftritt. Echte Spannung kommt da nicht auf. Die Aufführung wird aber durch die darstellerische und sängerische Präsenz der Akteure gerettet: Astrid Kessler singt ihr Gebet mit viel Zwischentönen und Gefühl, bevor sie von Wolfram erwürgt wird. Heiko Trinsinger singt das Lied an den Abendstern trotz des vorher begangenen Mordes mit viel Schmelz in der Stimme, und Daniel Johansson gestaltet die Rom-Erzählung sehr eindringlich. Weil er mitten im Parkett agiert, können ihn die Besucher in den Rängen nicht sehen. Wer unten sitzt, staunt über die Speichelmassen die der Tenor im Scheinwerferlicht von sich gibt.

Insgesamt ist dieser „Tannhäuser“ eine extrem wirre und zusammengeschusterte Inszenierung. Da staunt man, dass Regisseur Paul-Georg Dittrich in den nächsten Monaten noch die Strauss-„Elektra“ in Münster, Zemlinskys „Der Zwerg“ in Köln und Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ in Linz auf die Bühne bringen darf.

Rudolf Hermes, 26.9.22

Bilder (c) Karl und Monika Forster