München: „Cosi fan tutte“

Besuchte Aufführung: 22.6.2015 (Premiere: 13.6.2015)

Ende gut, alles gut

Ein Potpourri aus mehreren Zeitaltern stellt Olivier Tambosis Neuproduktion von Mozarts dritter Da-Ponte-Oper „Cosi fan tutte“ am Staatstheater am Gärtnerplatz in seinem Ausweichquartier des Cuvilliéstheater dar. Da gibt es Zitate sowohl aus dem Barock als auch aus der Moderne. Deutlich wird, dass das Stück zeitloser bzw. ärenübergreifender Natur ist. Die dargestellten Konflikte und Probleme können sich in jeder Zeit zutragen.

Jennifer O’Loughlin (Fiordiligi), Lena Belkina (Dorabella)

Der Bezug zur Gegenwart wird durch das von Bengt Gomér geschaffene Bühnenbild hergestellt. Es besteht aus einem modernen weißen, sterilen und fast leeren Kachelraum mit nur wenigen Requisiten. Diverse kleine Umbauten werden durch eine immer wieder vom Schnürboden heruntergelassene Zwischenwand ermöglicht, auf denen man zwei riesige Schwarz-Weiß-Photos von Fiordiligi und Dorabella erblickt. Die beiden Schwestern sehen sich auffallend ähnlich. In der Tat scheinen sie bei Tambosi Zwillingsschwestern zu sein, wie ihre auch im Folgenden stets identischen Kostüme bezeugen, die der Kreativität Carla Caminatis entsprungen sind. Zu ihrer Ausstattung gehören Reifröcke samt dazugehöriger Barock-Perücke, Hosenanzüge, Bademäntel und einmal sogar nur Handtücher, allesamt in roter Farbe. Ihre Unter- und Hochzeitskleider sind weiß. Auch ihre Haarfarben wechseln manchmal. Meistens sind sie aber rothaarig. Man merkt, die Farbe Rot als Ausdruck des Sinnlich-Erotischen und der Sünde dominiert.

Stefan Cifolelli (Ferrando), Don Alfonso, Matija Meic (Guglielmo)

Indes geht es dem Regisseur nicht um die Zurschaustellung von sündigem Verhalten. Vielmehr setzt er bei Friedrich Nietzsche an und intendiert die Aufzeigung von Menschlichem, Allzumenschlichem. Dies ist dann auch der Inhalt des fragwürdigen Experiments, das hier mit einer insgesamt flüssigen Personenregie und so mancher heitereren Einlage zwar handwerklich solide umgesetzt wurde, sich letztlich aber wenig aufregend vor den Augen des zahlreich erschienenen Publikums abspielte. Dass sich der Abend etwas hinzog und teilweise auch leicht belanglos wirkte, lag in erster Linie daran, dass Tambosi zu nah am Libretto blieb. Nach seiner sensationellen, total gegen den Strich gebürsteten Saarbrückener „Entführung“ vor einigen Jahren hätte man von ihm wahrlich mehr erwartet. Dieses Mal beließ er es bei einer zwar nicht ungefälligen, letztlich aber zu biederen und harmlosen Regiearbeit.

Matija Meic (Guglielmo), Dorabella, Fiordiligi, Stefan Cifolelli (Ferrando)

Was aber nicht heißen soll, dass er sich über das Werk keine Gedanken gemacht hätte. Ein konzeptioneller Ansatzpunkt war schon ersichtlich. Tambosi fasst das Ganze als ausgemachte Farce mit mannigfaltig eingestreuten komödiantischen Effekten auf. Bei ihm steht nicht der tragische Aspekt der Handlung im Vordergrund, sondern der heitere. Es gab Stellen, an denen man durchaus lachen oder zumindest schmunzeln konnte. So wirkten die verkleideten Liebhaber mit ihren Bärten ein wenig wie Groucho Marx, was insbesondere für Guglielmo galt. Köstlich muteten auch Despinas Verkleidungen als Arzt und Notar an, in der sie eine Art gelben Regenmantel trug und ihre Stimme arg verstellte.

Lena Belkina (Dorabella), Guglielmo

Durch die fast gänzliche Aussparung der tragödienhaften Wirkungen des Treubruchs fehlt es der Inszenierung aber etwas an Tiefgang. Eine derartige Herangehensweise, die derzeit fast alle Regisseure, die die „Cosi“ inszenieren, pflegen, hätte sicher eine stärkere Wirkung entfaltet. So blieb es an diesem Abend bei einem Plädoyer Tambosis für die Unzerstörbarkeit von Liebesbeziehungen – ein recht optimistischer Ansatz, der dann auch zu guter Letzt ein Happy End nach sich zog, das in keinster Weise einen bitteren Beigeschmack beinhaltete, wie es heute bei den meisten anderen Inszenierungen der Fall ist. Immerhin haben die Beteiligten im Verlauf des Experiments etwas über sich und ihre jeweiligen Fehler und Schwächen gelernt, was sie befähigt, ihr Glück zu finden. Am Ende finden die ursprünglichen Paare wieder zusammen und es herrscht wieder Friede-Freude-Eierkuchen. Ende gut, alles gut. Damit haben wir es hier mit einer zwar soliden, aber letztlich nur mittelmäßigen Regiearbeit zu tun. Wer das Stück in einer wirklich gelungenen Inszenierung sehen will, sollte nach Stuttgart fahren. An der dortigen Staatsoper läuft derzeit eine zwar ungewöhnliche, aber dennoch ganz ausgezeichnete Produktion der „Cosi“.

Ensemble

Gesanglich sah die Sache schon besser aus. Für die Fiordiligi war Jennifer O’Loughlin an das Gärtnerplatztheater zurückgekehrt. Sie vermochte in erster Linie mit insgesamt gut verankertem, warmem und emotional angehauchtem Sopran und guter Linienführung – toll war diesbezüglich ihr E-Dur-Rondo im zweiten Akt – zu punkten. In der Höhe gerieten ihr aber einige Töne etwas zu spitz. Und die für diese Rolle sehr wichtige Tiefe ist bei Frau O’ Loughlin noch entwicklungsfähig. Bei „Come scoglio“ war sie im unteren Stimmbereich, in dem ihre Stimme erheblich an guter Fokussierung verlor, kaum zu hören. In der Höhe manchmal etwas zu ausladend sang auch Mária Celeng, die im Übrigen in der Rolle der Despina mit ihrem wunderbar italienisch geführten, prägnanten und recht fulminanten Sopran ausgezeichnet abschnitt, und das auch darstellerisch. Schauspielern kann sie, das muss man sagen. Dritte im Bunde der Damen war Lena Belkina, die die Dorabella mit großer Intensität und sattem, tiefgründigem Mezzoklang sang. Bei dem sonor und mit ordentlicher tiefer Stütze singenden Stefan Cifolelli war die Partie des Ferrando in guten Händen. Mit schlanker geschmeidiger, dennoch aber vorbildlich fundierter Tongebung stattete Matija Meic den Guglielmo aus, den er auch überzeugend spielte. Demgegenüber fiel Ralf Lukas als Don Alfonso mit flachem, kein schönes appoggiare la voce aufweisendem Bass-Bariton-Material ein wenig ab. Auf hohem Niveau präsentierte sich der von Felix Meybier einstudierte Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz.

In Bestform zeigten sich Michael Brandstätter und das das sich mächtig und versiert ins Zeug legende Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. In markantem Duktus, esprit- und temperamentvoll und mit einer prägnanten Diktion und Artikulation der Orchesterstimmen wurde hier Mozart von Feinstem präsentiert. Auch um Transparenz und Farbenreichtum des von Dirigent und Musikern erzeugten differenzierten und nuancenreichen Klangteppichs war es vorzüglich bestellt.

Fazit: Zwar hätte man sich von Tambosi mehr erwartet, aber in gesanglicher und musikalischer Hinsicht war es ein durchaus empfehlenswerter Abend.

Ludwig Steinbach, 23.6.2015

Bilde: Thomas Dashuber