München: „La Sonnambula“

Premiere: 8.10.2015

Musikalisch und gesanglich gelungener Saisonauftakt

Konventionell-moderne Gratwanderung

In dieser Spielzeit feiert das Staatstheater am Gärtnerplatz sein 150jähriges Bestehen. Das seit Jahren durchweg hohe Niveau, das einem an diesem bemerkenswerten Haus geboten wird, hat es längst zu einem echten Konkurrenten der Bayerischen Staatsoper werden lassen. Schade nur, dass es sein Jubiläum wegen des voraussichtlich noch ein Jahr dauernden Umbaus des Stammhauses in Ausweichspielstätten begehen muss.

Jennifer O’Loughlin (Amina), Chor

In einer solchen fand auch die erste Premiere der aktuellen Saison statt: Für die Neuproduktion von Bellinis „La Sonnambula“, eines der erfolgreichsten Werke des Komponisten, ging man in das dem Bayreuther Festspielhaus nachempfundene Münchner Prinzregententheater. Die Regie lag in den Händen von Michael Sturminger, Bühne und Kostüme besorgten Andreas Donhauser und Renate Martin. Die Inszenierung setzt sich aus einem Gemisch konventioneller und moderner Elemente zusammen, wobei erstere überwiegen. Sie ist zugegebenermaßen sehr schön anzusehen. Sturminger hat das Stück in seinem ursprünglichen Umfeld, den Schweizer Alpen, belassen. Wenn sich der Vorhang öffnet, erschließt sich dem Blick eine prächtige Gebirgslandschaft mit per Projektion abwärts fliessendem Bach und grünen Wiesen. Beim Anblick dieses Panaromas fühlt man sich in ein Gemälde von Spitzweg oder Turner versetzt. Zu Beginn des zweiten Aktes entführt das Regieteam den Zuschauer dann in einen sehr realistisch und lebendig wirkenden Wald mit transparentem Gaze-Vorhang, dessen Bäume sich sanft im lauen Wind wiegen. Es ist ein ausgemachter Naturalismus, der von Sturminger und seinen Bühnenbildnern hier gepflegt wird und in den sich die traditionellen Biedermeier-Kostüme trefflich einfügen. Ein guter Einfall seitens des Regisseurs war es, die Technik der Filmindustrie heranzuziehen und hier und dort mal das Bühnenbild an das Auditorium heranzuzoomen, wodurch der realistische Eindruck noch verstärkt wurde.

Dem Auge wurde hier sehr viel geboten, dem Intellekt weniger. Sturminger hat darauf verzichtet, seiner Deutung eine politische oder – was nahe gelegen hätte – psychologische Richtung zu geben. Er beschränkt sich darauf, brav und letztlich ohne sonderlichen Tiefgang am Libretto entlang zu inszenieren. Das war insgesamt wenig aufregend. Mehr in die moderne Richtung wies ein in die Bühne integrierter verschiebbarer gläserner Raum, der die verschiedenen hausinneren Handlungsorte symbolisierte. In ihm runden einige alte Möbel den Realismus ab. So weit so gut. Aber der Geräuschpegel, der beim Vorschieben dieses Raumes manchmal entstand, war zu laut und störte die Musik etwas. Hier sollte seitens der Technik etwas nachgebessert werden.

Beeindruckend war das letzte Bild, in dem sich das Bühnenbild zu einem Gedankenraum mit glitzernder Spielfläche wandelte, der trefflich die seelischen Befindlichkeiten der handelnden Personen reflektierte. Auf diese Weise wurde am Schluss endlich doch noch eine ansprechende psychologische Komponente in die insgesamt stark der Tradition verpflichtete Produktion eingefügt. Gefällig war auch ein gesellschaftskritischer Aspekt, der doch noch zum Denken anregte: Die Gemeinschaft pflegt eine fragwürdige Doppelmoral, in der die Sitten zu verfallen drohen. Und je abgelegener die Gegend ist, in der das geschieht, desto stärker offenbart sich dieser Punkt. Nur vordergründig sind die Dorfbewohner sittsam. Aminas Sonnambulismus ist für sie letztlich ein willkommenes Alibi, zu der herrschenden Moral innerlich auf Konfrontationskurs zu gehen. Nach außen hin suchen sie indes die Fassade aufrechtzuerhalten. Dem aufmerksamen Zuschauer kann ihr wahres Sinnen und Trachten aber nicht entgehen.

Elvino, Jennifer O’Loughlin (Amina), Maxim Kuzmin-Karavaev (Rodolfo)

Gespielt wurde am Gärtnerplatztheater die ungekürzte Fassung. Und das ganz ausgezeichnet. Was da aus dem Graben tönte, bewegte sich auf höchstem Niveau. Marco Comin und das bestens disponierte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz bewiesen ein phantastisches Gefühl für die breiten Kantilenen Bellinis, die sie leicht und locker vor den Ohren des Publikums ausbreiteten. Bezeichnend ist es, dass die ausgeprägten Arien musikalisch niemals in Langeweile abdrifteten, sondern stets die Spannung aufrechterhalten blieb, was schon eine ganz große Leistung ist. Darüber hinaus warteten Dirigent und Musiker mit perfekter Italianita und einer stark emotional angehauchten Tongebung auf, die dem Geschehen auf der Bühne aufs Beste entsprach.

Jennifer O’Loughlin (Amina), Chor, Maria Nazarova (Lisa)

Hoch zufrieden sein konnte man mit den Sängern/innen. Hier ist an erster Stelle die wunderbare Jennifer O’ Loughlin zu nennen, die sich für die Amina als allererste Wahl erwies. Diese Rolle ist wie geschaffen für ihren hervorragend fokussierten, warmen und koloraturgewandten Sopran. Sie sang durchweg mit großer Intensität, sehr flexibel und bewältigte die enormen Klippen der Partie mit Bravour. Darstellerisch wirkte sie allerdings manchmal etwas zu naiv. Das ist indes nicht ihr, sondern der Regie anzulasten. An diesem Abend empfahl sie sich für die größten Bühnen. Aufhorchen ließ auch die junge, sehr zierliche Maria Nazarova in der Rolle der Lisa, die keinen Hehl daraus macht, dass sie Amina nicht mag, und sich immer wieder unter die Dörfler flüchtet. Sowohl am Anfang als auch am Ende ist sie ganz allein, was der Rolle eine etwas tragische Komponente verleiht. Stimmlich hatte Frau Nazarova ihre größten Momente im zweiten Akt in der Hochzeitsszene. Hier erwies sich die ungemeine Leuchtkraft ihres bestens sitzenden, durch alle Lagen perfekt geführten Soprans, der für die Zukunft zu großen Hoffnungen berechtigt. Arthur Espiritu wirkte als Elvino zu Beginn noch etwas unruhig, bekam seine offensichtliche Premierennervosität aber schnell in den Griff. Im Folgenden begeisterte er durch frische, klang- und substanzreiche Tongebung sowie fulminante Spitzentöne. Ein noch recht jugendlicher Rodolfo war Maxim Kuzmin-Karavaev, der seinem Part mit bereits voll ausgereiftem, profund und ausdrucksstark klingendem Bass mehr als gerecht wurde. Solides Mezzo-Material brachte Anna Agathonos, die man noch von ihren Pforzheimer Auftritten her in Erinnerung hat, für die Teresa mit. Eine etwas tiefere Gesangsstütze hätte man sich von Martin Hausbergs Alessio gewünscht. Als Notar war Marcus Wandl zu erleben. Wieder einmal hervorragend war der von Felix Meybier sehr gewissenhaft einstudierte Chor und Extrachor des Staatstheaters am Gärtnerplatz.

Fazit: Eine Aufführung, die in erster Linie musikalisch und gesanglich zu begeistern wusste, szenisch aber eher etwas für konventionell eingestellte Gemüter ist.

Ludwig Steinbach, 10.10.2015

Die Photos stammen von Thomas Dashuber