Gelsenkirchen: „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“

Bereits in der vergangen Spielzeit brachte Bridget Breiners Gelsenkirchener Ballett zur Adventszeit ein Kinder- und Jugendstück heraus. Damals war es „Alice im Wunderland“ nun folgt „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in der Choreografie des ehemaligen Mannheimer Ballettchefs Kevin O´Day.

In 50 Minuten spielt O´Day das gesamte Märchen in konzentrierter Form ab: Gerade einmal sechs Tänzer benötigt er für die Geschichte. Hitomi Kuhara tanzt die Not des Mädchens mit expressiver und anmutiger Körpersprache. Besonders spürt man ihre existenzielle Bedrohung, nachdem sie sich in die Wärme geträumt und sich kühlende Luft zufächelt, und kurz darauf die reale Kälte spürt und zu zittern beginnt.

Wie ein Schutzengel wacht Francesca Berruto im weit-wallenden weißen Kleid als Geist der Großmutter über das Mädchen. Die bösen Straßenjungs, die das Mädchen verspotten, sind Louis Rodriguez und Carlos Contreras. Als Eisenofen und Weihnachtsbaum bringen sie auch eine Portion Komik in die Aufführung. Das teilnahmslose Großstadtpaar sind Tessa Vanheusden und Jose Urrutia.

Thomas Mikas Bühnenbild besteht aus verschiebbaren rechteckigen Säulen, die sich durch wechselnde Projektionen in eine Wand, einen Glutofen oder eine Hochhausfasse verwandeln.

Beim „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ denkt natürlich jeder Opernfan an Helmut Lachenmanns epochales Opernwerk. Natürlich kann man diese Musik nicht für ein Jugendballett verwenden. Stattdessen erklingt David Langs Chorwerk „The Little Match Girl Passion“. Das Stück wird hier von vier jungen Solisten gesungen.

Diese Musik wirkt schlicht und berührend, ist harmonisch orientiert. Gleichzeitig gibt es aber auch Parallelen zu Lachenmann, da das Zittern ebenfalls durch zittrige Silbenwiederholungen ausgedrückt ist. Auch müssen die Sänger Perkussionsinstrumente bedienen, nur eben keine Styroporblöcke, sondern Röhrenglocken, Xylophon oder Zymbeln.

Interessant ist noch zu beobachten, wie das Werk beim Zielpublikum ankommt. Die Schulklassen, die in der von mir besuchten Vorstellung sitzen, scheinen nicht alle optimal vorbereitet. Schon vor der Aufführung gibt es Kommentare wie: „Isch schwöre, Alter, isch wär lieber inner Schule, als hier im Theater!“

Dass zwischendurch immer wieder kleine Tuscheleien im Publikum entstehen, ist bei solch einer Aufführung normal, auch dass diskutiert wird, ob die Reihenfolge der Traumerscheinungen des Mädchens richtig eingehalten ist.

Problematisch ist aber die Szene nach dem Erfrierungstod des Mädchens, in der sich die anderen Personen bis auf die Unterwäsche ausziehen, um die Leiche mit ihrer Kleidung zu wärmen. Dass diese sich ausziehenden Erwachsenen von Kindern sexuell gedeutet werden und schallendes Gelächter auslösen, hätte vorhersehbar sein müssen.

Rudolf Hermes 11.12.2016

Bilder (c) MiR

Anmerkung des Herausgeber

Dinge wie das angesprochene Gelächter – ich sage dazu "dümmliches Gelächter unreifer Menschen" – die so ihre Rat- und Denklosigkeit ausdrücken, begegnet mir heutzutage leider immer öfter im Theater. Da hängt sich jemand auf > Pulikumsreaktion: Gekicher, eine Wahnsinnsszene im Schauspiel endet im Gelächter Spätpubertärer, dümmliche Zwischenrufe sind Usus geworden ohne daß sich jemand aufregt – bei Hänsel und Gretel in Rheydt wurde von Jugendlichen im Rang sogar bei der Premiere telefoniert, geredet, fotografiert und ständig gesimmst.

Ich erlebe Schülergruppen, die (in Anwesenheit des Lehrers!) in der Oper Popcorn bzw. knackende Chips essen und Walkman hören, oder Papier schnippen, weil ihnen die Musik zu langweilig ist. Aber genauso störend ist es, wenn z.B. ältere Herrschaften mitsingen bzw. summen, dämliche Mütter ihre Kleinkinder mitnehmen, die dann natürlich rumhüpfen oder Aufstehen vor Langeweile und Haus-Claqueure bei der Premiere.

Das ist Zeitgeist mittlerweile und ich möchte da niemanden ausnehmen. Was können Jugendliche auch lernen von älteren Menschen, zu spät kommend, sich rüde ihrem A…. zu den bereits Anwesenden gerichtet durch die Reihen pflügen. Wo ist heute das Ordnungspersonal? Stört das, außer dem Schreiber, überhaupt noch jemanden?