Genf: „Siegfried“

Doch dieser dritte Teil der Tetralogie gehört eindeutig den Männern, und diese Partien müssen mit herausragenden Sängerdarstellern besetzt sein, wenn sich der SIEGFRIED nicht unendlich in die Länge ziehen soll. Das Grand Théâtre de Genève kann glücklicherweise mit einer solchen Besetzung aufwarten. Der schwedische Tenor Michael Weinius bringt alles mit, was für den jungen Siegfried erforderlich ist: Jugendliche Frische, unendliche, nie ermüdende Kraft, sarkastischen Witz und (trotz seiner stämmigen Statur) darstellerische Wendigkeit. Der ehemalige Bariton, der sich innerhalb kürzester Zeit zum gefragten Heldentenor entwickelte und in Rollen wie Lohengrin, Parsifal, Tristan, Siegmund und Siegfried international für Aufsehen sorgt, singt die textreiche Rolle mit einer kindlichen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, als hätte er die schwurbeligen Wagnertexte mit der Muttermilch aufgesogen. Herrlich ist auch sein Ziehvater Mime in dieser Aufführung: Dan Karlström macht das wunderbar verschlagen, mit wuseligem Humor, gepaart mit Selbstüberschätzung und Naivität, grosser Textverständlichkeit und gekonnter Stimmführung, so dass der Mime nie hysterisch oder quengelnd näselnd klingt. Erneut herausragend gestaltet Tómas Tómasson den Wanderer (Wotan). Welch eine darstellerische und stimmliche Präsenz, eine pure Freude, ihm zuzusehen und zuzuhören (nur schon die Wala-Rufe, zum Niederknien). Da stimmt einfach jede Regung, jede Geste, jede stimmliche Färbung – eine überwältigende Leistung.

Da muss dann auch nicht jede Note genau intoniert sein, solange der Gesamteindruck und die Interpretation so schlüssig sind. Tom Fox singt (wie im RHEINGOLD) erneut einen kräftigen, vibratoreichen Alberich und Taras Shtonda gibt den in einen Drachen verwandelten Fafner mit bassgewaltiger Müdigkeit. All die textlastigen Dialoge werden von den Sängern mit fesselnder Leichtigkeit interpretiert, man hängt an ihren Lippen und der Abend wird nie lang. Das hat manchmal gar leicht schwankhaften Charakter (im besten Sinne). Nicht unbeteiligt daran ist das Orchestre de la Suisse Romande, das unter Georg Fritzschs Leitung erneut die perfekte Balance zwischen Bühne und Graben herstellt, die Sängerinnen und Sänger nie zudeckt. Sehr poetisch gestaltet– auch szenisch – das Waldweben. (Ich sass wieder weiter hinten, Reihe 12, Akustik erneut etwas schlechter als weiter vorne im Parkett, vor allem sehr blechlastiger Eindruck, aber viel besser als im RHEINGOLD.)

Die Inszenierung von Dieter Dorn und Jürgen Rose überzeugt auch an diesem dritten Abend, da das Team ganz auf den von Wagner intendierten Handlungsablauf setzt, nichts Aufgesetztes hinzufügt und durch eine gekonnt interpretierende Personenführung den Abend spannend macht. Das ist alles von grosser Stimmigkeit und gerade der Riesenwurm Fafner, der die gesamte Bühne einnehmend was von einer Mischung aus janusköpfiger Riesenkrake und einem Alien hat, ist beeindruckend. Im Innern der Tentakel spielen sich Liebesszenen ab, Alberichs Fluch (Nur wer der Liebe Macht entsagt ...) eingekerkert im Wurm. Auch die drei Nornen rollen wieder die Schicksalsseile von ihrer Kugel ab, quasi ein Motto, das den gesamten Dorn-Ring zu durchziehen scheint. Morgen Abend werden wir mehr wissen, wenn sich dieser gewichtige Ring mit der GÖTTERDÄMMERUNG schliesst.

Kaspar Sannemann 16.3.2

© Carole Parod