Athen: „Schuldendämmerung“

Besuchte Vorstellung im Oktober 2017

Philhellenen und Barbaren

Richard Wagners epochaler Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ hat seit den 1970er Jahren zahlreiche Neudeutungen erfahren, die das ideologische Konzepts des Werks mit der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert in Verbindung setzten. Angesichts der nicht unerheblichen Bedeutung, die das antike Theater als Vorbild für den Komponisten hatte, war es begreiflich, dass der vormalige künstlerische Direktor der Griechischen Nationaloper, Myron Michailidis, vor wenigen Jahren eine erste Ring-Produktion seines Hauses ankündigte. Darauf wird man nach der vollzogenen Eröffnung des neuen Hauses wohl noch länger warten müssen, da solch ein Unterfangen doch erhebliche Schwierigkeiten und grossen Finanzbedarf mit sich bringt. Immerhin bietet nun die Alternative Bühne der Nationaloper einen ersten Vorgeschmack: Sie bringt unter dem Titel „Schuldendämmerung“ eine durchaus provokante Version der „Götterdämmerung“ auf die Bühne.

Es sei gleich vorweg gesagt, dass das Ergebnis zu einiger Ratlosigkeit im Publikum führte. Das von Alexandros Efklidis, dem Leiter der Alternativen Bühne, ersonnene Konzept und das Libretto von Dimitris Dimopoulos spiegeln in Wagners Geschichte die griechisch-deutschen Beziehungen der beiden letzten Jahrhunderte. Da geht es, wie man schon aus dem Titel folgern kann, um die anhaltende Finanz- und Schuldenkrise in Griechenland, aber auch um Philhellenentum deutscher Prägung und das dunkle Kapitel der deutschen Besatzungszeit und des Holocausts. Die Nornen sind zu Wiedergängerinnen von Melina Mercouri mutiert, Siegfried ist nun Grieche und heisst Sotiris, Gunther und Gutrune treten als Personifikationen von Modernisierung und Logik in Erscheinung und Hagen heisst hier Merten. Geht man dem Namen „Merten“ nach, stösst man auf einen Nazi-Beamten, der im besetzten Thessaloniki mitverantwortlich war für die Deportation der jüdischen Bevölkerung. Einzig Brünhilde behält in diesem historischen Panoptikum ihren Namen.

Das Ganze ist leider so verwirrend wie es klingt. Man tut sich als Zuschauer schwer, die verschiedenen Zeitebenen zusammenzubringen. Dass das Bühnenbild von Konstantinos Zamanis eine hübsche Version der von Ludwig I. bei Donaustauf errrichteten Walhalla zeigt, macht die Interpretation nicht einfacher. Klar ist nur, dass das Bauwerk von Leo von Klenze eine Referenz an den Athener Parthenon darstellt, welche denn auch als Modell über dem Geschehen baumelt. Aber warum muss die Handlung in einer Ruhmeshalle, einem Memorialort angesiedelt sein? Soll es ein Hinweis darauf sein, dass überstarke Erinnerung und Vergangenheitssehnsucht das Handeln in der Gegenwart behindern? Gut in das memoriale Setting passt, dass während des Trauermarsches eine Liste griechischer „Helden“ rezitiert wird, die vom antiken Philosophen bis zum modernen Militärdiktator alle kulturellen Facetten enthält. Diese „Schuldendämmerung“ kratzt somit erheblich am Lack beider Kulturnationen, vermag aber leider keine zwingende Synthese aufzuzeigen. Was man zu hören bekommt, ist weitestgehend Wagners (gekürzte) Musik, die nur um wenige griechische Leitmotive – etwa von der Nationalhymne entnommen – angereichert ist. Die von Kharálampos Goyós arrangierte Musik hält denn immerhin – und das ist kein geringes Verdienst – den vor Referenzen überbordenden Abend zusammen.

Die Inszenierung von Alexandros Efklidis bewegt sich zu sehr in einem konventionellen Rahmen als dass es ihr gelänge, die brisante Geschichte in starke Bilder zu fassen. Mag sein, dass der Walhalla-Bühnenraum bei alledem zu dominant in Erscheinung tritt. Das klein besetzte, von Goyós geleitete Orchester macht seine Sache sehr gut und vermag einen Eindruck von der Komplexität der Wagnerschen Musik zu vermitteln. Mit kraftvollen, bisweilen etwas zu laut hervortretenden Stimmen weiss das Sängerensemble zu überzeugen: Julia Souglakou als Brünhilde, Dimitris Paksoglou als Sotiris, Tasos Apostolou als Merten – ihm fehlte leider stimmlich und darstellerisch die dunkle Seite -, sowie in Mehrfachbesetzungen: Yannis Yannisis, Myrto Bokolini, Irini Karaianni und Margarita Syngeniotou. Chorisch als Zuspielung waren schliesslich die Stimmen von Vasilis Dimakopoulos, Yannis Kalyvas, Michalis Katsoulis und Yannis Filias zu hören.

Am Ende des rund dreistündigen Abends war das Publikum einigermassen ratlos, spendete aber sehr freundlichen Applaus.

Bilder (c) Greek National Opera

Ingo Starz 27.10.2017

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