Köln: Romantische Orchesterlieder

Kölner Kammerorchester

Christoph Poppen (Leitung), Christoph Prégardien (Tenor)

Ähnlich wie kürzlich Concerto Köln für ein romantisches Konzert (Vorstufe für den kompletten Wagner-„Ring“) massiv aufgestockt wurde, trat nun auch das Kölner Kammerorchester unter Christoph Poppen in stark erweiterter Besetzung an, notwendigerweise mit Gästen, von denen wenigstens zwei als Mitglieder des Gürzenich-Orchester zu identifizieren waren. Grund für den Aufwand war die Verpflichtung von Christoph Prégardien (Bild unten), welcher mit Orchesterliedern aufwartete. In allen Fällen handelte es sich um Bearbeitungen ursprünglicher Klavierbegleitungen, wobei die Fassung von Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ aus des Komponisten eigener Hand stammen, somit authentisch sind. Die Gesänge von Franz Schubert wurden in der Instrumentation von fremder Hand geboten. Johannes Brahms („Greisengesang“) war noch im von Schubert vertretenen 19. Jahrhundert zu Hause, Max Reger („Nacht und Träume“) ein Postromantiker und Anton Webern ein Vertreter zeitgenössischer Musik, der sich (wie etwa auch Arnold Schönberg) hin und wieder stilpassend an der Bearbeitung fremder Werke delektierte.

Der Grund hierfür muß nicht immer so aggressiv formuliert sein wie im Folgenden: „Für mein Ohr ist es oftmals direkt eine Beleidigung, in einem Riesensaal nach einer Orchesternummer eine Sängerin hören zu müssen, die zu (einer) spindeldürren Klavierbegleitung Lieder singt.“ Die Konzertform, auf welche Max Reger anspielt (Wechsel von Orchester und Kammermusik) gibt es heute nicht mehr, die Umgestaltung von Musik hin zum Üppigen ist also zeitgebunden. Allerdings dürfte mitunter auch eine leichte Eitelkeit der Bearbeiter mitgespielt haben, welche glaubten, das Original auf eine qualitativ höhere Stufe zu stellen. Webern ging bei der Romanze „Der Vollmond strahlt“ aus Schuberts „Rosamunde“ freilich dezent vor, fügte der bereits original vorhandenen Orchestrierung lediglich zwei Flöten hinzu (wozu eigentlich?). Der temperamentvolle, gerne aus dem vollen Orchesterklang schöpfende Hector Berlioz glaubte jedoch zweifelsohne an die Verstärkung von Wirkung.

Über die vom KKO unter Poppen präsentierten Musikbeispiele ist unterschiedlich zu befinden. Der „Wegweiser“ aus Schuberts „Winterreise“, wo Webern vom Klavier auf Streicherklang umschaltet, darf definitiv als Negativbeispiel gelten. Zu breiig tönt es im Orchester, während der originale Klavieranschlag mit seiner Prägnanz wesentlich mehr Wirkung macht. Aber der musikhistorische Exkurs hatte durchaus seine Reize, zumal Poppen die spezielle Klangfarbe der Liedbearbeitungen wirksam werden ließ. Insgesamt erwies er sich als ein rücksichtsvoll auf den Sänger eingehender Klanggestalter.

Trotz seiner 63 Jahre ist Christoph Prégardien ungebrochen aktiv, mittlerweile auch als Dirigent. Die Schubert-Lieder forderten dem Sänger anfangs keine exponierten Tenorhöhen ab, was sich im Verlaufe des Konzerts allerdings änderte. Frappant, mit welch Attacke der Sänger die vielfach ein Piano fordernden Spitzentöne beim „Wegweiser“ meisterte. Die besondere Kunst Prégardiens, der in seinem Sohn Julian übrigens einen gleichrangigen Fachkollegen gefunden hat, war das lyrisch intensive Ausgestalten von Phrasen bei exzellenter Textverständlichkeit. Schuberts „Nacht und Träume“ geriet in all diesen Belangen geradezu mirakulös. Ähnliches ist über Mahlers „Gesellen“-Lieder zu sagen.

Das KKO umklammerte das Liedzentrum des Abends sinfonisch. Joseph Haydn gehört zu den Repertoirekonstanten des Musikerkollektivs. Die Sinfonie Hob. I:26 mit dem Beinamen „Lamentatione“ gehört vielleicht nicht zu den inspiriertesten Werken, aber im Trio des (überraschenderweise finalen) Menuettsatzes ließen die überraschenden Sforzati den typischen Haydn-Kobold erkennen.

„Schubert for ever“ war das KKO-Programm nicht ganz stimmig überschrieben, aber dieser Wunderkomponist prägte den Abend schon besonders nachdrücklich, zuletzt mit der Sinfonie Nr. 7, der „Unvollendeten“ also. Dieser Populartitel ist eine Art Markenzeichen, welches letztlich unüberbietbar ist. Aber es hat immer wieder Versuche gegeben, das als Torso fraglos erkennbare Werk zu ergänzen. Die Version von Brian Newbould regte Neville Marriner und Charles Mackerras zu CD-Einspielungen an. Eine neue Fassung von Nicola Samale und Benjamin Gunnar Cohrs hat der Concentus Musicus vor kurzem eingespielt. Ohne diese Bearbeitungen zu kennen, sind Zweifel an der erweiterten Werkgestalt angebracht. Die „Unvollendete“ wirkt ganz einfach vollkommen. Nur Hörgewohnheit?

Christoph Poppens Interpretation blieb auf traditioneller Spur. Seine angenehm flüssigen Tempi sind auch anderswo zu finden, ebenso die Dramatisierung von Ausdruck. Man fühlte sich aber wohl bei dieser Widergabe, geadelt von der Spielqualität des KKO.

Christoph Zimmermann 18.2.2019

Bild (c) Marco Borggreve