Berlin: „Die Nase“

Premiere am 16.6.2018

Kein Happy End für die Nase

Der Tendenz der Zeit, ein Happy End in der Oper nicht zuzulassen, kann auch Barrie Kosky wie bereits vor knapp zwei Jahren am Royal Opera House Covent Garden ( Madrid und die Opera Australia partizipieren ebenfalls) nicht widerstehen, und so beendet eine heftige Niesattacke das wiederaufgenommene Gemeinschaftsleben von Platon Kusmitsch Kowaljow, aufstrebendem Beamtem, und seiner Nase, die urplötzlich das Weite gesucht und sich an allerlei Petersburger Schauplätzen umher getrieben hatte. Auf der verzweifelten Suche nach ihr kommt der unglücklich Nasenlose in eine Kirche, in ein Zeitungsbüro, auf eine Polizeistation und entrinnt mit Mühe den Heiratsfallstricken von Mutter und Tochter Podtotsschina.

Nikolai Gogols surreale Novelle wurde von dem erst 22jährigen Dmitri Schostakowitsch vertont und 1930 in der Sowjetunion uraufgeführt. Der Dichter war beliebt wegen seiner scharfen Kritik am Russland der Zarenzeit, sein „Revisor“ gehörte zu den Pflichtstücken auch an DDR-Theatern, und nur so lässt sich erklären, dass auch die gar nicht in das Schema des Sozialistischen Realismus passende Sujet als Opernlibretto geduldet wurde.

In London bestand Kosky auf einem englischen Text, an der Komischen Oper wird das Prinzip der Originalsprachlichkeit ebenfalls zu recht aufgegeben, denn sonst wäre es kaum möglich, die Handlung zu verstehen. Vokabeln wie „Fake News“, „Scheiße“, „HNO-Arzt“, „Entnasifizierung“ provozieren natürlich Lacher, haben für manchen Zuschauer aber vielleicht einen schalen Beigeschmack.

Barrie Kosky würde sich selbst untreu werden, nützte er nicht die zahlreichen tänzerischen Elemente der Musik für das, was er im Programmheft „eine schäbige russische Gogol-Schostakowitsch-Varieté-Dystopie mit einem kräftigen Schuss Barrie Kosky“ nennt, d.h. Männerballette, mal in Korsetten mit Strapsen, mal in Schiesser-Feinripp, aber ohne Persil, und somit leicht angegraut. Otto Pichler ist der Garant dafür, dass die Fetzen fliegen. Selbst die Nase, ein Riesenriechorgan auf mageren Kinderbeinchen (Lion Sturm), tanzt im Verein mit „erwachsenen“ Nasen zum Entzücken des Publikums. Das technische Problem der Nasenlosigleit wird dadurch elegant gelöst, dass alle Nasenbesitzer solche von besonderer Dimension aus Latex haben, so dass der Besitzer einer normalgroßen solchen leicht als nasenlos durchgehen kann.

Das Bühnenbild von Klaus Grünberg vermeidet jeden Realismus, graue Steinquadern bilden den Rahmen für eine kreisförmige Linse, ein mal riesiger, mal auf Normalmaße geschrumpfter Tisch ist die Plattform für vielerlei Geschehen, so auch das Durchwalken des Brotteigs, aus dem die Nase als unerwünschtes Beiwerk dem Barbier, der gerade den Helden rasiert hatte, in die Hände fällt. Die Kostüme von Buki Shiff haben viele Anklänge an russische Folklore, gehören aber nicht durchweg in dieses Land und die Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist. Schließlich tritt zum Schluss auch noch eine moderne Moderatorin mit amerikanischem Akzent auf.

Das Stück hat eine ungeheure Vielzahl von Rollen für Solisten, so dass man auch sagen könnte, der erste bis achte „Angestellte“ oder der erste bis siebente „Herr“ würden den Chor, den es nicht gibt, vertreten. So müssen außer dem Darsteller des Besitzers der Titelfigur die Sänger mehrere Rollen ausfüllen.

Für seine Londoner Aufführung bestand Barrie Kosky auf Martin Winkler als Kowaljow. In Berlin hat er im eigenen Ensemble einen würdige Vertreter für die Partie: Günter Papendell, bereits als Don Giovanni oder Eugen Onegin gefeiert, konnte auch mit seiner neuen Rolle zu Recht einen Beifallssturm hervorrufen. Stimmpotent wie immer überzeugte Jens Larsen in gleich drei Partien, während sich Ivan Turšič besonders als Karikatur eines Operntenors mit Superfermaten Szenenbeifall ersang. Ursula Hesse von den Steinen und Mirka Wagner profilierten sich besonders als Mutter und Tochter, selbst wenn sie der Charakterisierung der Figuren wegen nicht auf Schöngesang bauen durften. In mehreren kleineren Partien konnten Christoph Späth, Tom Erik Lie und Carsten Sabrowski auf sich aufmerksam machen, Alexander Lewis klang höchst angenehm als Mann in der Kathedrale.

In London hatte Ingo Metzmacher der Produktion zu einem großen Erfolg mit verholfen. Der designierte Generalmusikdirektor der Komischen Oper, Ainǎrs Rubikis, schreckte vor den Schrill- und Schroffheiten der Partitur nicht zurück, ließ die tänzerischen Elemente voll zu ihrem Recht kommen und gab einen bejubelten Einstand in sein neues Amt.

17.6.2018 Ingrid Wanja