Berlin: „Semele“

Premiere am 12.5.2018

Durch Pech zum Erfolg

Gleich zweimal musste Intendant Barrie Kosky innerhalb kurzer Zeit an seinem Haus einspringen; einmal, weil Anne Sophie von Otter wegen des plötzlichen Todes ihres Mannes einen Chanson-Abend abgesagt hatte, danach als die Regisseurin Laura Scozzi wegen einer Erkrankung eine Woche nach Probenbeginn ihre Arbeit beenden musste. Einmal wurde der Intendant zum Pianisten und Bariton bei einem Abend mit jiddischen Operettenliedern unter dem Titel „Farges mikh nit“ („Vergiss mich nicht“), beim zweiten Mal musste er als Regisseur einspringen bei der Inszenierung von Händels Opern-Oratorium „Semele“.

Immerhin gab es das Bühnenbild von Natascha Le Guen de Kerneizon und die Kostüme von Carla Teti. Die Bühne zeigt gleich zu Beginn ein riesiges Gemach mit Spiegeln und Kaminen in ausgebranntem Zustand. Die Katastrophe, hervorgerufen durch den Wunsch Semeles, ihren Geliebten Jupiter in göttlicher Gestalt zu sehen, hat offensichtlich bereits stattgefunden, ist dazu sichtbar in einem Haufen Asche, dem Semele heil und ganz ersteigt, um den Zuschauer die Geschichte im Rückblick erleben zu lassen. Am Schluss sitzt sie nach ihrer mit einem Riesenapplaus aufgenommenen Schlussarie sichtlich angekokelt auf dem Kaminsims, um zu erleben, wie ihre Schwester und der von Semele verschmähte Bräutigam Hochzeit feiern. Die Kostüme sind für den Chor zeitgenössische, für die solistischen Damen zeitlose Abendkleider, nur die Götterbotin Iris weist sich durch ihr Kleid und besonders die Lilian-Harvey-Frisur als aus den Dreißigern stammend aus. Als gemütlich wirkendes, rundes Mittel-Altchen präsentiert sich Jupiter, so dass man den Wunsch Semeles nach einer Gestaltveränderung gut nachvollziehen kann.

Eher bereits Karikaturen nähern sich der dümmliche Bräutigam, dem bei beiden Hochzeiten der Ehering wegrollt, der übereifrig die Töchter unter den langwallenden Schleier bringen wollende Herr Papa und neben der zwitschernden Götterbotin auch ihre Herrin Juno als exaltiert herrisch umherwirbelnde Göttergattin, deren Erscheinen mit seltsamen Tönen verbunden ist, die aber die pure Harmlosigkeit im Vergleich zu den ihren Gatten begleitenden, an Bombenexplosionen denken lassende Donnerschläge sind. Die Inszenierung bewegt sich schillernd zwischen der Freude an der Karikatur und dem Ernstnehmen zumindest der drei Hauptpersonen Semele, Jupiter und Ino, der Schwester Semeles, und in einem Beitrag im Programmheft hat Barrie Kosky selbst das Stück als „ eine Mischung aus Tragödie und Komödie“ bezeichnet. In der Staatsoper sah man das vor Jahren anders, ist aber angesichts des doch mit dreieinhalb Stundensehr langen Abends geneigt, die typische Komische-Oper-Auffassung zumindest für die publikumsfreundlichste zu halten. Der stürmische Beifall am Schluss jedenfalls gab dem Inszenierungsteam mit seiner Auffassung Recht.

Bereits nach der Pause mit Jubel wieder empfangen wurde der Dirigent Konrad Junghänel, bereits mit dem in dieser Saison wiederaufgenommenen „Xerxes“ an der Komischen Oper, aber auch mit Händels „Giulio Cesare“ und Glucks „Iphigenie auf Tauris“ und „Armida“ bestens bekannt geworden. Mit dem Orchester der Komischen Oper zauberte er glanzvollen Barock, so wie der Chor (David Cavelius) machtvoll in das Geschehen eingriff.

Ungemach hatte der Premiere noch durch eine Virusattacke auf die Stimmbänder von Semele-Sängerin Nicole Chevalier gedroht, die am Morgen ihren Intendanten vom Verlust der Stimme unterrichtet hatte, der daraufhin Heidi Stober von der Deutschen Oper als Ersatz rekrutiert hatte, die aus dem Orchestergraben singen, während Chevalier die Rolle auf der Bühne spielen sollte. Am Abend war jedoch glücklicherweise die Stimme wieder da, ließ auch, abgesehen von leichter Mattigkeit kurz vor der Pause und nicht ganz so präsenten Koloraturen in der Schlussarie, nichts von einer Indisposition erkennen. Dazu kam wie bei der Sängerin stets ein totaler, intensiver, mitreißender darstellerischer Einsatz. Die schönste, eleganteste Erscheinung auf der Bühne mit der schönsten, weil ebenmäßigsten Stimme war Katarina Bradic als Schwester Ino. Einen kecken Zwitschersopran setzte Nora Friedrichs für die Iris ein, ihre Herrin Juno wurde von Ezgi Kutlu als exzentrisches Biest mit dazu passender Stimme verkörpert. Allan Clayton konnte den ihm versagten visuellen Jupiter-Glanz durch eindrucksvolle Spitzentöne kompensieren, Eric Jurenas gab einen sanftstimmigen, eher vokal unauffälligen Athamas, Philipp Meierhöfer sang einen markanten Cadmus. Mit glitzerndem Strassohrgehänge, aber umso virilerem Bassbariton verkörperte Evan Hughes einen trotz aller Schläfrigkeit schillernden Somnus.

Das Barockrepertoire der Komischen Oper ist um eine publikumsfreundliche Produktion reicher geworden.

Fotos Monika Rittershaus

13.5.2018 Ingrid Wanja