Berlin: „Jephtha“, Georg Friedrich Händel

Barocker Glanz

1984 fing alles an und versetzte die Opernwelt in Staunen: An der Ostberliner Komischen Oper wurde der lange in der DDR als „formalistisch“ verdammte Händel mit einer Inszenierung seines Giustino geehrt, indem er höchstpersönlich auf einer Wolke im Bühnenhimmel schwebend an der Orgel saß, während unter ihm der Countertenor ( und auch das eine Sensation) Jochen Kowalski seine Stimme in die höchsten Höhen schraubte. Fast vierzig Jahre später ist Händel nicht mehr vom Spielplan des Instituts wegzudenken, triumphiert immer am Schluss einer Saison, und im Jahre 2023 gibt es ein Händelfestival mit dem Titel Mehr Opulenz! mit den Premieren von Jephtha und Saul und den Wiederaufnahmen von Xerxes in der Regie von Stefan Herheim und von Semele in der Regie von Barrie Kosky.

Ab der nächsten Spielzeit muss die Komische Oper wegen Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten umziehen, vornehmlich ins Schillertheater, das bereits der Staatsoper und der Komödie am Kurfürstendamm Unterschlupf bot, aber auch an andere Orte wie den Flughafen Tempelhof oder die ehemalige Kindl-Brauerei in Neukölln. Das heißt jedoch nicht, dass Händel und die Barockmusik von nun an und auf lange Zeit, denn Bauarbeiten dauern in Berlin immer doppelt so lange wie geplant, vom Spielplan verbannt sein werden. Barrie Kosky kehrt als Regisseur für des Hallensers Hercules zurück und inszeniert am Schillertheater. Das diesjährige Händel-Festival kann also ohne Abschiedsschmerz und stattdessen in Vorfreude auf noch mehr Händel begangen werden.

Eigentlich ist Jephtha ein Idomeneo mit leichten Abwandlungen oder besser umgekehrt. Nicht ein Sohn, sondern eine Tochter soll dem einmal aus wütenden Meereswogen zu rettenden, einmal vor dem ebenso wütenden Feind vom um Hilfe flehenden Vater geopfert werden. Beide Male werden die zürnenden Götter halbwegs versöhnt und mildern das Urteil ab, allerdings muss sich Jephthas Tochter Iphis, eigentlich glücklich verlobt mit Hamor, ins Kloster zurückziehen, was also ein wirkliches happy end auch nicht ist. Immerhin weichen beide Libretti von ihren grausamen Ursprüngen ab, in denen das Kindesopfer jeweils vollzogen wird.

Unter der Leitung von Christian Curnyn bewiesen die Orchestermitglieder, teilweise auf alten Instrumenten spielend, dass sie mit einem aus Barockspezialisten bestehenden Orchester durchaus mithalten können, spielten straff federnd und einfühlsam die Sänger begleitend, der Chor, einstudiert wie immer am Haus von David Cavelius, kann auch nur singend und nicht wie sonst heftig agierend überzeugen, so mit einer wunderschönen allmählich und bruchlos anschwellenden Klage im dritten Teil des Werks.

Hochkompetent waren die Solisten, beginnend mit Andrew Staples in der Titelpartie, weitgespannte Bögen entwerfend, akkurat in den schwierigen Verzierungen und stets den Eindruck erweckend, dass ihm wichtiger noch als die durchaus vorhandene Akkuratesse der Ausdruck ist. Ein Lächeln um den Mund hatte durchgehend Lexi Hutton als Tochter Iphis, und dieses schien auch die Stimme leuchten zu lassen, hell, frisch und klar, dabei die Rolle lebend  und auch in der Geschichte verharrend, wenn sie nicht sang. Wunderbar war das Korrespondieren mit der Flöte, die sie aus dem Orchesterhintergrund begleitete. Die weniger dankbare Partie der Mutter Storgè war mit Ezgi Kutlu, die mit einem Mezzosopran ohne Registerbrüche leidenschaftlich ihr Anliegen vertrat, sehr gut besetzt; wenn sie souverän ihre melodramatische Klage vortrug, hielt man den Atem an. Eine höchst angenehme Entdeckung war auch der Countertenor Key’mon Murrah, der einen hochpoetischen Hamor sang, weich, aber nicht unkonturiert, farbig, sinnlich und die schwierigen Intervallsprünge souverän meisternd. Eine würdige Erscheinung war Raimund Nolte, der rollenbedingt als Zebul von seinem markant klingenden Bass nicht viel zum Besten geben konnte.

Hatte zwei Tage zuvor die Darstellung der Passion in der Deutschen Oper fast vollständig in Kinderhand, wenn auch nicht Kindermund gelegen, so spielten hier zwei Jungen bedeutende Rollen. Ein  Mitglied des Tölzer Knabenchors, Felix Hofbauer, sang wunderschön den Engel, während aus dem Kinderchor der Komischen Oper Pablo Brandes lässig-charmant die Handlung erläuterte, denn es gab, obwohl in der Originalsprache Englisch gesungen, keine Übersetzung in den Sitzlehnen.

Ingrid Wanja   7. Mai 2023


Jephtha

Dramatisches Oratorium von Georg Friedrich Händel

Premiere am 7. Mai 2023

Musikalische Leitung   Christian Curnyn

Leitung des Chors   David Cavelius

Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin 

Keine Fotos, da konzertant