Berlin: „Xerxes“, Georg Friedrich Händel

Fast auf den Tag genau vor elf Jahren gab es in der Komischen Oper die Premiere von Händels Dramma per musica Xerxes in der Inszenierung von Stefan Herheim. Die 36. Aufführung am 21. Mai  2023 endete mit ähnlich euphorischer Zustimmung, hatte die Produktion doch nichts von ihrer Frische und und Phantasie mit schier überbordenden szenischen Einfällen verloren. Lange hatte man in Berlin keine so zauberhafte Barockbühne gesehen, wie sie Heike Scheele erdachte. Fast pausenlos im Einsatz ist die Drehbühne, welche wandernde Kulissen in Perspektivmalerei, Soffitten, Wellen mit Meeresgetier und barocke Theaterhimmel mit Putten herein und heraus fährt. Die Szenerie wird eingerahmt von einem edlen Portal mit reichen Verzierungen. Gesine Völlms historisch orientierte Kostüme vollenden den optischen Genuss.

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Nicht geringer war das musikalische Fest, welches Konrad Junghänel mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin bot. Schon in der Ouverture fand er schöne Kontraste zwischen majestätischem Prunk und geschwinder Munterkeit, differenzierte auch später sehr plastisch die einzelnen Nummern in ihrer unterschiedlichen musikalischen Anlage. Hinreißend die straffe, energische Begleitung von einigen Arien des Titelhelden, wie „Più che penso alle fiamme“ am Ende des 1. Aktes, „Se bramate d’amar“ im 2. oder „Crude furie“ am Ende des Werkes.

Fast gänzlich neu war die Besetzung, die jener vor elf Jahren nicht nachstand, ja diese sogar noch überbieten konnte. Cecelia Hall hatte schon mit Xerxes’ Auftritt, der berühmten Arie „Ombra mai fù“, alle Sympathien auf ihrer Seite. Der helle, obertonreiche Mezzo und der überaus kultivierte Vortrag ließen diese sattsam bekannte Nummer wie neu wirken – betörend der Klang, mirakulös die schwebenden Töne. Sie wurde wie manch andere im italienischen Original gesungen, während die Rezitative generell in deutscher Übersetzung zu hören waren. Bei „Se bramate“ und der Furien-Arie imponierte die Sängerin mit fulminantem Aplomb und bravouröser Bewältigung der Koloraturrouladen. Xerxes’ Bruder Arsamenes gab Susan Zarrabi mit ähnlich überzeugender, etwas dunkler getönter Stimme und technischem Finish. Beide lieben Romilda, Tochter des Heerführers Ariodates (Philipp Meierhöfer mit resolutem Bass), die in Gestalt von Kseniia Proshina mit klangvollem Sopran bezauberte. In ihrer wiegenden Arie vom „Schatten der Untreue“ vernahm man feine, kosende Töne, aber der jungen Russin stand auch der übermütig kokette Ausdruck zu Gebote. Ganz anders der strenge, beinahe wilde Ausbruch in ihrem dramatischen Solo „È gelosia“ im 2. Akt. Ein stimmiger Kontrast war Josefine Mindus als ihre Schwester Atalanta mit leichterem, hellerem Sopran, der eher dem Soubrettenfach angehört, doch mit reizenden Tönen sehr gefiel. Markante tiefere Klänge steuerte Virginie Verrez als Xerxes’ Verlobte Amastris bei, die sich als Soldat verkleidet hat, um die amourösen Pläne des Königs zu vereiteln. Der herbe, üppige Mezzo der Französin war für die Rolle en travestie bestens geeignet. Genüsslich kostete sie in „Saprò delle mie offese“ die Koloraturgirlanden aus und machte dieses Stück zu einem vokalen Höhepunkt der Aufführung. Aus der Urbesetzung von 2012 war einzig Hagen Matzeit als Arsamenes’ Diener Elviro übrig geblieben, der wieder deftig berlinern musste, aber erneut mit seinem köstlichen Auftritt als Blumenverkäuferin abräumte und zudem virtuos zwischen baritonalen Tiefen und Grenztönen in der Counter-Region wechselte.

Und wiederum verfehlten die zahlreichen Effekte von Herheims  Inszenierung ihre Wirkung nicht. Schafe mähen zu lieblichen Flötentönen, Seeungeheuer tanzen zwischen den Wellen zum Takt der Musik, Bürger stolpern mit Regenschirmen bei einem Gewitter über die Bühne (als ob Ruth Berghaus bei diesem  Bild Patin gestanden hätte) und urkomisch ist die Szene, in der die missgünstige Atalanta ein ganzes Waffenarsenal herbei schafft, um ihre Rivalin Romilda aus dem Weg zu räumen. Gar eine Kanone wird aufgefahren, deren Kugel die hintere Dekoration einstürzen lässt. Nicht gegeizt wird mit reichlich erotischen Anspielungen und flugs wird aus XERXES ein SEX REX… Am Ende löst sich alles zum Guten und zum Schluss-Ensemble „Die Ruhe kehrt uns zurück“ treten die Chorsolisten des Hauses (Einstudierung: Jean-Christophe Charron) in Privatkleidung auf, womit das Inszenierungsteam die Aufführung ins Heute holt, sie damit aber auch entzaubert. Das Publikum feierte alle Mitwirkenden anhaltend und euphorisch.

Bernd Hoppe, 23. Mai 2023


Xerxes

Georg Friedrich Händel

Komische Oper Berlin

21. Mai 2023

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