Coburg: „Salome“

Sehens- und hörenswert

Besuchte Aufführung: 20.2.2015 (Premiere: 7.2.2015)

Die Göre im goldenen Käfig

Es war nicht das erste Mal, dass die „Salome“ am Landestheater Coburg zu sehen gewesen ist. Bereits im Jahre 1907 war Strauss’ zwei Spielzeiten zuvor in Dresden uraufgeführte Oper als Gastspiel des Stadttheaters Nürnberg dem Coburger Publikum präsentiert worden. Das sensationelle Werk hinterließ damals bei den Besuchern einen starken Eindruck – genau wie die aktuelle Neuproduktion, die einmal mehr beredtes Zeugnis von dem enormen szenischen, musikalischen und stimmlichen Niveau ablegte, das in Coburg seit Amtsantritt von Intendant Bodo Busse herrscht. Von dem, was an diesem bemerkenswerten kleinen Theater geleistet wird, kann sich so manches andere, auch größere Opernhaus einen gehörigen Teil abschneiden.

KS Ute Döring (Salome)

Für die Inszenierung konnte Tobias Theorell gewonnen werden, dessen grandiose Coburger „Freischütz“-Interpretation von 2012 man noch in hervorragender Erinnerung hat. Im Gegensatz zu dem Werk Webers, das er sehr ungewöhnlich anging und mit zahlreichen neuen Einfällen garnierte, bewegte sich seine Deutung der „Salome“ in etwas traditionelleren Pfaden. Sie wies keinen gänzlich neuen Zugang zu dem Geschehen auf und bewegte sich stark am Textbuch entlang, hatte aber dem Auge viel zu bieten und wusste nicht zuletzt durch eine intensive, logische Personenführung für sich einzunehmen. Demgemäß fiel der Schlussapplaus des begeisterten Publikums dann auch äußerst herzlich aus.

Page, Ks Ute Döring (Salome), Thomas de Vries (Jochanaan)

Bei Theorell spielt sich die Handlung nicht auf der Terrasse des Herodes’ schen Palastes ab, sondern in einer von Alejandro Tarragüel de Rubio – von ihm stammen auch die blendenden, verschiedenen Ären entlehnten Kostüme – Grotte, in der alles aus Gold ist. Sogar die Zisterne, in der Jochanaan gefangen gehalten wird, ist keine „schwarze Höhle“, sondern golden. Auch die dramaturgisch wichtige Silberschüssel, in der der jüdäischen Prinzessin in der letzten Szene der Kopf des Propheten serviert wird, besteht hier entgegen der Vorlage aus blankem Gold und ist zudem mit Wasser gefüllt. All der äußere Glanz und Prunk soll indes nicht auf den großen Reichtum von Herodes hindeuten, sondern steht vielmehr für eine vordergründige, sinnentleerte und auf reinen Genuss ausgerichtete Welt, in der man Feste feiert – im konkreten Fall einen Maskenball – und sich zügellosen Ausschweifungen hingibt. Es ist eine sehr dekadente Gesellschaft, die der Regisseur den Zuschauern hier vor Augen führt und deren herausragender Vertreter der mit rotem Königsmantel, gold schimmerndem Anzug und Lorbeerkranz ausgestattete Herodes ist, der aus seiner Lüsternheit auf Salome keinen Hehl macht.

Page, José Manuel (Narraboth), Ks Ute Döring (Salome), Thomas de Vries (Jochanaan)

Diese erscheint im schwarzen Glitzerkleid und in dunklen Leggins und bleibt stets, sogar bei dem von Mark McClain choreographierten, ganz ohne Schleier ausgeführten Tanz, in den Herodes einbezogen wird, bis oben hin zugeknüpft. Sie ist ganz Tochter des Hauses, eine verwöhnte, ungezogene Göre, die gewohnt ist, alles zu bekommen, was sie sich wünscht, und trotzig aufbegehrt, wenn man ihrem Begehren mal nicht nachkommt. Erotik versprüht diese Salome eher wenig; wenn sie doch mal ihre sexuellen Reize ins Spiel bringt, wirken diese etwas aufgesetzt. Bei Herodes hat sie dennoch Erfolg, nicht aber bei dem eine schwarze Kapuze tragenden, ein kleines Gebetbuch mit sich führenden Religionsfanatiker Jochanaan, der am Ende seines Ausflugs an die Tageswelt doch noch Zweifel bekommt, ob er mit seinem Fluch auf sie nicht doch übertrieben hat. Zaghaft nähert er sich der regungslos am Boden liegenden Prinzessin, geht dann aber doch freiwillig in sein Gefängnis zurück.

Da müssen die beiden schwarz gekleideten Soldaten, von denen der jüngere ihn zum Unwillen des älteren einmal mit starken Fußtritten attackiert, gar nicht nachhelfen. Dominiert im ersten Teil noch das Maskenfest den Abend, legt Theorell im zweiten den Fokus ganz auf die Familiengeschichte des Hauses Herodes, deren Abgründe er gekonnt freilegt. Allgemein werden die zwischenmenschlichen Beziehungen von ihm mit großer Akribie und einfühlsam herausgearbeitet. Das gilt auch für die kleineren Rollen, so etwa für das Verhältnis zwischen dem sich zu guter Letzt mit einem Messer die Pulsadern aufschlitzenden Narraboth und dem als Frau vorgeführten Pagen. Am Ende ist Salome ganz allein auf der Bühne. Keiner legt Hand an sie. Trunken vor Glück, die Lippen des abgeschlagenen Hauptes des Propheten geküsst zu haben, möchte sie am liebsten sterben. Herodes’ Befehl „Man töte dieses Weib“ ist lediglich eine innere Stimme der jüdäischen Königstochter.

Christian Franz (Herodes), Ks Ute Döring (Salome)

Für die Hauptpartien wurden von Bodo Busse einige phantastische Gäste engagiert. Ks. Ute Döring hatte in dieser Produktion vor kurzem ihr Debüt als Salome gegeben und vermochte auch an diesem Abend rundum zu überzeugen. Darstellerisch war die über eine ausgezeichnete schauspielerische Ader verfügende Sopranistin, die man noch aus Ulm und Wiesbaden in bester Erinnerung hat, stets präsent. Mit großer Spiellust lotete sie die verschieden Facetten der judäischen Prinzessin aus, war bockig und setzte auch zielgerichtet ihre weiblichen Reize ein. Auch stimmlich entsprach sie der Partie voll und ganz. Sie verfügt über einen fein durchgebildeten, sauber fokussierten und ausdrucksstarken, vom Mezzo herkommenden Sopran, der sogar noch bei den eklatanten hohen h’ s einen guten Focus aufwies und an keiner Stelle schrill klang. Auch das tiefe ges gelang ihr tadellos. Als Idealbesetzung für den Herodes erwies sich Christian Franz. Es ist lobenswert, dass sich dieser international berühmte Tenor nicht zu schade ist, an einem kleinen Haus wie dem Landestheater Coburg zu singen. Auch er war schauspielerisch voll in seinem Element und zog gekonnt alle Facetten des auf seine Stieftochter lüsternen Herrschers, dem er auch eine etwas zaghafte Seite verlieh. Stimmlich vermochte er mit frischem, eine gute Fundierung aufweisendem Tenor, den er differenziert und nuancenreich führte, ebenfalls trefflich zu überzeugen.

Dritter im Bunde der Gäste war der ebenfalls von Wiesbaden her bekannte Thomas de Vries, der ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Jochanaan war. Die große Anziehungskraft, die der Prophet auf Salome ausübt, machte der junge, gut aussehende Sänger nur zu glaubhaft. Die fanatische Seite Jochanaans hat er trefflich vermittelt. Und gesanglich stellte sein puren Wohlklang verströmender, sonorer und bestens italienisch geschulter Bariton eine Luxusbesetzung für die Partie dar.

Monica Mascus, an deren Stuttgarter Mary man sich noch gerne erinnert, war eine markant intonierende Herodias. Schönes, trefflich verankertes Tenormaterial brachte José Manuel für den Narraboth mit. Neben ihm wertete Kora Pavelic mit profundem, tiefgründigem Mezzosopran die kleinen Rollen des Pagen und des Sklaven auf, die sie auch ansprechend spielte. Als erster Nazarener kündete Tapani Plathan mit edel timbriertem Bass gefühlvoll von den Wundertaten Christi und gefiel auch als zweiter Soldat gut. Solide sangen Jiri Rajnis den zweiten Nazarener und Thomas Unger den Cappadocier. Michael Lion bewährte sich mit elegantem, geradlinig geführtem Bass, der den Sotin-Schüler verrät, in den Rollen des ersten Soldaten und des fünften Juden. Im Judenquintett war ihm David Zimmer (vierter Jude) ebenbürtig. Ordentlich auch Sascha Mais dritter Jude. Ausgesprochen flach klang dagegen der erste Jude von Dirk Mestmacher. Und Jan Korab (2. Jude) sang so dünn, dass man ihn kaum hörte.

Ks Ute Döring (Salome), Christian Franz (Herodes)

Gastdirigent Adrian Müller modulierte am Pult einen farben- und kontrastreichen Klangteppich, der es in sich hatte. Da flimmerte, glitzerte und funkelte es gewaltig. Spannungsgeladen, fulminant und in sehr zügigen Tempi führte Müller das prächtig aufspielende und seine Intentionen perfekt umsetzende Philharmonische Orchester Landestheater Coburg durch den Abend und durfte sich am Ende über den großen Publikumszuspruch zurecht freuen.

Fazit: Eine in erster Linie gesanglich und musikalisch, aber durchaus auch szenisch zu empfehlende Aufführung, für deren beeindruckende Realisation dem Landestheater Coburg großes Lob gebührt.

Ludwig Steinbach, 23.2.2015

Die Bilder stammen von Andrea Kremper