Leipzig: „Der Vogelhändler“

Besuchte Vorstellung am 9.11.19 (Premiere am 01.11.19)

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Jetzt hat die Renovierungswelle auch die Musikalische Komödie Leipzig erwischt und Schwimmbad West gespült, gar nicht weit weg von ihrem eigentlichen Standort und recht gut verkehrstechnisch zu erreichen. Das Schwimmbad wurde schon vorher nicht mehr zum Baden genutzt, sondern diente als Veranstaltungsort für diverse kulturelle Ereignisse oder zum Feiern, wenn ich mich jetzt nicht täusche. Für die Dauer der Renovierung jetzt also das Heim der Muko, akustisch ganz ordentlich, szenisch wandlungsfähig für verschiedene Projekte, kleineren Zuschauern seien die vorderen Plätze empfohlen, weil die Stuhlreihen eben aufgestellt sind. Was dem Publikum gefallen dürfte, man ist jetzt noch näher dran an den Künstlern. Bewirtung gibt`s auch, manches wirkt durchaus ein bißchen improvisiert, das fast alles (auch die Garderobe) in einem Raum stattfinden. Soviel zu den neuen Gegebenheiten, mir gefällt`s, vor allem wenn ich an andere Umbauspielstätten von Theatern denke.

Lange hatte ich keinen "Vogelhändler" mehr gesehen, so fällt einem erst recht auf wie gut das Stück gemacht ist: die Handlung ist wirklich eine witzige Komödie voller Seitenhiebe auf Gesellschaftszustände zwischen Oben und Unten, Adel und Volk, eigenem Glücksbegehren und fremdbestimmter Absicherung, was jetzt so dramaturgisch trocken klingt, ist einfach eine gute Operette mit Ironie und Gefühl. Carl Zellers Musik erklärt, warum er immer noch zu den meistgespielten Operetten zählt. Wunderbare Solonummern eingebunden in viele Chorauftritte, hervorragend aufgebaute Finali, jede Nummer sitzt im Ausdruck und ist ein echter Ohrwurm!

Mit Rainer Holzapfel hatte man einen jungen Regisseur gewonnen, der vielleicht noch keine routinierte Operettenerfahrung mitbringt, doch dem Publikum nicht den Spaß verderben will und , der nichts gegen Unterhaltungstheater hat. Er hat sogar eine witzige Idee für die Handlung, die das Set zwar aus dem barock- biederen Rahmen holt, ohne dem Stück zu schaden: Die Dorfbewohner mutieren zu Angestellten des Westbades, die höfische Gesellschaft sind die Theaterleute in der Ausweichspielstätte. So wird aus dem fremdgehenden Kurfürsten (,der ja im Stück gar nicht auftritt,) der Theaterintendant mit Besetzungscouch, aus der Kurfürstin logischerweise die Intendantengattin. Etwas merkwürdig die Tiroler samt der Titelfigur, dem Adam, denn sie werden zu einer Art esoterischen Hippies. Also manches funktioniert recht gut, anderes hinterläßt dann doch mal ein Fragezeichen. Beate Zoffs Ausstattung unterstützt auf recht hübsche Weise: das große Postpaket voller Requisiten entwickelt sich zu einer Art Operettenbühne, die Kostüme machen viel her und changieren von modernem "Look" über "Hippiewear" bis zu barocker Fantasie. Erst im zweiten Akt machen sich dann Längen bemerkbar, etwas zu selbstverliebt ausgespielte Szenen; die Prüfungskommission mit "Süffle und Würmle" gerät, für meinen Geschmack, dann doch zu klamaukig. Trotzdem insgesamt eine schöne, unterhaltsame Inszenierung, die Operette Operette sein läßt.

Musikalisch ist die Aufführung pure Freude, denn Stefan Klingele mit dem Orchester der Musikalischen Komödie können das Genre aus dem "Effeff", das hat alles Sitz und Biss und Schwung, die Positionierung des Orchesters von der Seite klappt akustisch gut. Klingele ist dabei stets den Sängern ein sicherer Zuarbeiter, der weiß. wann Tempo, wann Textverständlichkeit für die Pointen gefragt ist. Chor und Extrachor der Muko sind absolut sicher, sehr klangvoll und ob von der Bühne oder aus dem Zuschauerraum große Klasse.

Wenn man das Werk nach langer Zeit mal wieder aufmerksam hört, merkt man auch wie anspruchsvoll die Partien sowohl gesanglich, wie auch von der Bühnenpräsenz sind. In Leipzig gibt`s auch da nichts zu mosern: das Herz der Aufführung sind natürlich die Titelfigur, der Vogelhändler Adam und seine Briefchristl. Als Gast für die Titelpartie hat man den Tenor Roman Pichler gewinnen können, der sprachlich ja auch den "Tiroler" glaubhaft über die Rampe bringen muss, die Figur schöpft prima das machohafte des kernigen Naturmenschen aus, ohne ihn deswegen unsympathisch werden zu lassen, ein feiner lyrischer Tenor mit herrlicher Höhe erfreut im munteren Auftrittslied, wie in der nuancenhaften Nummer vom "Ahnl", alles ganz ohne Kitsch. Nora Lentner spielt eine köstlich spröde Werktätige aus der Poststelle ohne den naiven Charme der Briefchristl zu vernachlässigen, die Pointen werden auf den Punkt serviert. Oft wird der intrgante Neffe Stanislaus zu leicht, mit einem reinen Buffo besetzt, hier zeigt Adam Sanchez, sonst Tenorliebhaber von Dienst, das es sich um eine gesanglich sehr anspruchsvolle, zweite Tenorhauptpartie handelt und eben mit strahlendem Schmelz gesungen werden muss und wird! Lilli Wünscher schmeißt sich voller Verve in den hohen Auftrittswalzer von der Pfalz und gestaltet das Kirschenbaum-Lied voller Innigkeit, eine bildschöne Intendantengattin/Kurfürstin Marie mit leuchtendem Sopranklang. Michael Raschle als Baron Weps ist ein absolut gestandener Bass(bariton)-Komiker, der weiß, wie man dem Affen szenisch wie vokal Zucker gibt. Eine etwas "andere" Besetzung der Hofdame Adelaide ist der Charaktertenor Andreas Rainer, dem es gelingt die Komik der "alten Schrulle" nie zu ordinär oder gar allzu schenkelklopfend werden zu lassen. Mirko Milev und Justus Seeger müssen die beiden Professoren Süffle und Würmchen etwas wohlfeil vekaufen, da hätte man , von Seiten der Regie, "mehr" draus machen können. Angela Mehling gefällt als resolute Wirtschafterin des Westbades mit dem unterhaltungstechnisch bedeutsamen Namen "Frau Nebel".

Fazit: ein schöner, wenngleich nicht perfekter Abend voller Unterhaltung. Und die Erkenntnis, das der schlichte Komponist Carl Zeller ein wirklich Guter war.

Martin Freitag 13.11.2019