Premiere am 29. 10. 2015
Wiederum höchst respektables Niveau!
Benjamin Britten s Sommernachtstraum – uraufgeführt 1960 bei dem von Benjamin Britten und Peter Pears 1948 gegründeten Aldeburgh-Festival – wurde durch Walter Felsensteins maßstabsetzende Inszenierung an der Komischen Oper Berlin im Jahre 1961 international berühmt und hat sich seither auf den Bühnen der ganzen Welt durchgesetzt. Allein für die letzten 15 Jahre verzeichnet Operabase 179 Aufführungen von 33 Produktionen in 26 Städten. Die letzte Premiere des Stücks war am 3.10. in Gelsenkirchen (sehr positiv im Opernfreund besprochen), am 7. November folgt dann Bergen und am 20.November Genf – und im Dezember setzt die Oper in Leipzig ihre Produktion des Jahres 2013 wieder auf den Spielplan. Das Stadttheater Klagenfurt hat sich mit seiner Neuproduktion in eine Kette bedeutender Häuser eingereiht – und das durchaus höchst respektabel!
Regisseur Immo Karaman hat eine reiche Britten-Erfahrung – und man kennt ihn in Klagenfurt seit 2014 mit einer intellektuell-bunten Inszenierung von Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“. Wie bei Prokofjew arbeitete er wiederum mit dem Choreographen Fabian Posca zusammen – diesmal in der Bühnen- und Kostümausstattung von Nicola Reichert. Die Traumgeschichte ist in das Kaminzimmer eines zu einem Geisterhaus gewordenen englischen Manor House verlegt und spielt offenbar in der Entstehungszeit von Brittens Werk. Hitchcock-Assoziationen werden wach: wallende Vorhänge vor großen offenen Fenstern und Titania ganz in Weiß im Grace-Kelly-Look – Hitchcocks „Dial M for Murder“ (Bei Anruf Mord) stammt aus dem Jahre 1954. Bei Shakespeare spielt der Sommernachtstraum in Athen und das ist nicht das historische, sondern das Athen der Poesie, dem freilich einige Farben des Shakespeareschen London beigemischt sind – warum also Brittens Sommernachtstraum nicht im England der Mitte des vorigen Jahrhunderts ansiedeln ?! Der kluge Berliner Theaterwissenschaftler und Dramaturg Han-Jochen Irmer schrieb einmal zum Sommernachtstraum: „Zeit der Handlung – jede Gegenwart, die fähig ist, sich auf diese Handlung einzulassen.“ Und die Klagenfurter Inszenierung hat sich schlüssig und bühnenwirksam auf die Traumwelt der Gefühlsverwirrungen eingelassen – ja sie hat die Gefühlsverwirrungen zwischen Mann und Frau noch erweitert: ganz offensichtlich bestehen nämlich auch zwischen dem Elfenkönig (Ziegenbock) Oberon und seinem – lustvoll gezüchtigten – Diener (Jungböcklein) Puck beträchtliche Gefühlsverwirrungen – dazu ist auch noch die Figur des Puck gleichsam verdoppelt durch den Knaben, der der Ausgangspunkt für den Streit zwischen Oberon und Titania war. Nicht dass diese gleichgeschlechtlichen Gefühlsspannungen ungebührlich oder allzu vordergründig dargestellt werden, aber sie werden deutlich spürbar, zum Beispiel wenn Oberon den Knaben in seinen Armen von der Bühne trägt und Puck allein zurückbleibt.
Benjamin Britten hat die Figuren des Stücks nach einem genauen Klangplan geordnet. Die beiden Liebespaare erhalten die konventionellen Stimmlagen Sopran-Tenor bzw. Mezzosopran-Bariton (Orchesterbegleitung: Holzbläser und Streicher). Die Figuren aus der Zwischenwelt bewegen sich alle im hohen Klangregister: die Feen sind Kinderstimmen, die Feenkönigin Titania ist Koloratursopran und die Partie des Oberons wurde von Britten eigens für den ersten Countertenor des 20.Jahrhunderts Alfred Deller geschrieben. Diese Feenwelt wird durch Harfen, Cembalo, Celesta und Schlagzeug charakterisiert. Dagegen ist die Begleitung der Handwerker im tiefen Register des Orchesters angesiedelt (Blechbläser und Fagott). In diese drei „Welten“ des Stückes verirrt sich in dieser Inszenierung eine Kindergruppe, angeführt von dem schon erwähnten Knaben, offensichtlich dem zukünftigen Puck, auf den Oberon sein Auge geworfen hat. Diese dazu erfundene Kindergruppe dringt zu Beginn nächtens durch die geöffneten Fenster in das verlassene Geisterhaus ein und bildet gleichsam eine Rahmenhandlung für das ganze Stück – am Ende verwandelt sich die Bühne wieder in das verlassene Geisterhaus – der Spuk ist vorüber – „nun denn, wir sind erwacht, wohl an so lasst uns gehen“. Das ist ein dramaturgisch an sich durchaus akzeptabler Einfall – allerdings störte mich ernsthaft, dass nach dem Aufgehen des Vorhangs und vor Einsetzen der Musik die Kinder bei Blitzen und lautem Donner hereinbrechen. Damit war dem musikalisch zauberhaft gestalteten Beginn – von Britten ausdrücklich „Slow and mysterious (lento misterioso)“ im Pianissimo bezeichnet – jegliche Wirkung genommen und der Zuhörer brauchte einige Zeit, um sich in das subtile Geflecht der Britten-Musik einhören zu können.
Die für Klagenfurt zusammengestellte Solistenbesetzung war sehr gut – es war eine geschlossene Ensembleleistung ohne Schwachpunkt. Anna Pennisi (Hermia) und Nikos Kotenidis (Demetrius) hatte man schon als Dorabella und Guglielmo in der Eröffnungspremiere dieser Saison kennengelernt. Sie überzeugten auch bei ihrem Britten-Debut – Anna Pennisi mit warmem und ausgeglichenem Mezzo, der sich auch in den Ensembles mühelos behauptet – Nikos Kotenidis mit kräftig auftrumpfendem virilen Bariton. Laura Tatulescu hatte man im Vorjahr als berührende Blanche in den Dialogues des Carmélites erlebt – diesmal war sie eine energische Helena mit sicherer Stimmführung. Neu für Klagenfurt war der irische Tenor Robin Tritschler , der als Lysander eine ideale Besetzung war – mit klarer stimmlicher (und natürlich auch textlicher) Artikulation führte er das Quartett an. Bei allen vier war zu erleben, wie wunderbar Britten für Stimmen komponiert hatte – das Quartett mit den ansteigenden Oktavphrasen im 3.Akt war ein Musterbeispiel englischer Kantilene.
Die Feenkönigin Titania war – in traumhafte weißer Robe – die Französin Elsa Benoit – die Despina der Eröffnungs-Cosi. Sie war nicht nur ein wunderschönes und kühl-distanziertes Frauenidealbild, sondern sie sang auch die durchaus exponierte Koloraturpartie klangschön und präzise. Ihr Gemahl Oberon war der Countertenor Yosemeh Adjei – auch er war darstellerisch als exotisch-abgehobene Figur der Männlichkeit eine sehr gute Besetzung. Beim ersten Auftritt mit Titania geriet er stimmlich ein wenig ins Hintertreffen. Britten hat allerding die Partie so klug angelegt, dass er den Countertenor primär solistisch und nicht in Ensembles einsetzt. Und in diesen Solophrasen sang Yosemeh Adjei sehr geschmackvoll und sauber, wenn auch mit wenig differenzierenden Klangfarben. Puck ist eine Artisten- und Sprechrolle – Klagenfurt hatte diese wichtige Partie dem blutjungen Schauspielstudenten Gregor Kohlhofer übertragen, der seine Sache ausgezeichnet machte und auch die wenigen englischen Sätze sehr prägnant artikulierte. Das Sextett der Handwerker wurde vom Engländer Nicholas Crawley als Zettel/Bottom angeführt – und man ist geneigt, ihn als die geschlossenste Gesamtleistung des Abends besonders herauszuheben. Da stimmte einfach stimmlich und darstellerisch alles – mit kernigem Bassbariton, exzellenter Textartikulation und trocken-markantem Humor stellte er eine Figur prallen Lebens auf die Bühne. Dabei half ihm bei der Verwandlung in einen Esel auch noch ein wahrhaft perfektes Kostüm. Zu Recht wurde er am Ende vom Publikum bejubelt.
Die übrigen Handwerker waren allesamt prägnante Charaktere – der baumlange Waliser Sion Goronwy als Peter Squentz, der Engländer Alexander Sprague, der Kroate Grga Peroš und die beiden Österreicher Michael Schober und Thomas Tischler. Im letzten Akt kamen dann noch Christiane Döcker und Kristian Paul als skurril gezeichnetes und stimmlich solides Herzogpaar dazu. Beim gesamten Ensemble merkte man die Arbeit mit einem eigenen Sprachcoach – das Englisch aller war bemüht. Allerdings wenn man die zahlreichen Muttersprachler im Ensemble hörte, dann war doch ein markanter Unterschied zu registrieren. Übrigens sollte man den Einsatz der Übertitel verbessern – allzu oft, speziell in den Handwerkerszenen, war der gezeigte deutsche Text nicht annähernd synchron mit dem, was gerade von der Bühne auf Englisch erklang …..
Die Elfengestalten verkörperten in grotesken Puppenkostümen mit klarer und sicherer Stimme Mitglieder der Singschule Carinthia. Das ist ein wertvolles Projekt des Stadttheaters Klagenfurt gemeinsam mit den Musikschulen des Landes Kärnten zur Förderung junger Kärntner Gesangstalente – das Projekt steht unter der Ehrenpatronanz der berühmten Mezzosopranistin Bernarda Fink, die auch unter den Premierengästen war. Die musikalische Leitung lag beim Chefdirigenten des Klagenfurter Hauses, dem 33-jährigen Briten Alexander Soddy natürlich in kompetenten und engagierten Händen. Die intensive Probenarbeit war deutlich zu erkennen. Dennoch: diesmal klang das Kärntner Sinfonie-Orchester trotz vieler schöner Instrumentalsoli für mich insgesamt etwas stumpf und es fehlte ein wenig an Transparenz und Klarheit – ich vermute allerdings, dass dieser Klangeindruck vielleicht auch an meinem akustisch nicht optimalen Platz am Rande des hinteren Parterrebereichs unter dem Balkon lag.
Am Ende gab es im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Haus viel Beifall für alle Beteiligten.
Hermann Becke, 30. 10. 2015
Ein Postscriptum zu einer heiteren Panne im Programmheft:
Die Lebensdaten von Benjamin Britten lauten 1913 bis 1976 (Die jedem Musikfreund geläufigen Daten 1756 -1791 sind offensichtlich noch aus dem Programmheft der Eröffnungspremiere „übrig geblieben“……..)
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt (c) Aljosa Rebolj
Hinweise:
– 8 weitere Termine im November
– Zu Recht empfiehlt der Britten-Verlag
Boosey & Hawkes als Referenztonaufnahme die nach wie vor erhältliche Gesamtaufnahme unter der Leitung von Benjamin Britten mit Alfred Deller, Peter Pears, Elizabeth Harwood usw. (der link ermöglicht auch Hörproben!)