Mannheim: „Alceste“

Besuchte Aufführung: 19.2.2016, Premiere: 21.2.2015

Ehehölle à la Strindberg

Sie ist immer wieder sehenswert, Dietrich W. Hilsdorf s Inszenierung von Glucks „Alceste“ am Nationaltheater Mannheim. Seit ihrer Premiere vor einem Jahr hat die Produktion nichts von ihrer Kraft eingebüßt und ist in mancherlei Hinsicht vielleicht sogar noch stärker geworden.

Cornelia Ptassek (Alceste), Chor

Die Handlung geht auf Euripides zurück. König Admète liegt im Sterben. Die Götter fordern seinen Tod, sind aber bereit, ihn zu verschonen, falls ein anderer sich für ihn opfert. Seine Ehefrau Alceste erklärt sich gleich dazu bereit. Am Eingang zum Hades tritt sie todesmutig den Göttern entgegen. Der Held Hercule, der mit dem Königspaar befreundet ist, rettet die Situation, drängt den seiner Frau nachgeeilten Admète zurück und gebietet den Göttern Einhalt. Von der glücklichen Rettung Alcestes und Admètes erfährt das Volk durch Apollon. Liebe und Opferbereitschaft sind mithin die zentralen Themen der Oper. Obwohl das zeitlose Sujets sind, fügt sich das antike Geschehen in seiner Originalgestalt nicht in heutige Gegebenheiten ein. Die thessalische Welt der Mythen mit ihren altbackenen Göttern, Helden und Orakeln entzieht sich einer zeitgenössischen Mentalität und fordert neue Ausdrucksformen. Darüber ist sich Hilsdorf im Klaren. Er verlegt die Handlung kurzerhand in die Entstehungszeit des Werkes und misst obendrein dem psychologischen Moment große Bedeutung zu.

Cornelia Ptassek (Alceste), Andreas Hermann (Admète)

Der Regisseur misstraut dem innigen Liebesverhältnis zwischen dem Königspaar und deutet es in tiefe Abneigung um. Das Ganze spielt sich in einem von Dieter Richter entworfenen, ziemlich heruntergekommen und marode wirkenden Palast eines französischen Königs namens Admète ab. Aus dem Boden steigt Rauch auf und der Putz bröckelt von der Decke. Die Französische Revolution naht mit riesigen Schritten. Nicht nur der Herr des Hauses, der im ersten Bild im rechten Bereich des Raumes in einem mit Vorhängen verdeckten Krankenbett dahinsiecht, sondern das gesamte Herrscherhaus liegt in den letzten Zügen. Die äußere Fassade kann nur noch mit die Realität zwar prunkvoll, aber unzutreffend abbildenden Filmen und den prachtvollen Kostümen des Chores, für die Renate Schmitzer verantwortlich zeigte, aufrechterhalten werden. Revolutionäre stehen schon bereit, die verarmte Königsfamilie und ihren Anhang zu stürzen. Andererseits scheinen sich die aus dem Gluck nachempfundenen Apollon, dem Gott der Unterwelt und dem Säufer Hercule bestehenden Aufwiegler untereinander nicht sonderlich zu verstehen. So schafft es Hercule einmal trefflich, seine Meinung gegenüber Apollon derart kraftvoll zu verteidigen, dass diesem nur noch übrig bleibt – gleich der ebenfalls recht erzürnten Alceste – seinen Frust in Alkohol zu ertränken. Die Untergebenen des Trios haben bereits in der ersten Szene den dem Königshaus treu ergebenen Herold gefangen nehmen lassen, nachdem dieser noch einen letzten Aufruf gestartet hatte, der bei ihnen aber augenscheinlich nicht gut angekommen ist. Ebenfalls keine Bedeutung mehr hat das unter einem Tisch liegende und durch eine Flüstertüte singende Orakel. Die Gegner der Monarchie unterliegen nur noch den Zwängen des Augenblicks. Die Zukunft interessiert sie nicht mehr.

Cornelia Ptassek (Alceste)

In dem gelungenen Bühnenbild sind auch psychologische und symbolische Elemente zu bemerken. Es setzt sich gleichsam als Reflektion in den Hintergrund fort. Als das Spiegelbild von Alceste auf einmal eine andere Richtung einschlägt als sie selbst, erweist sich, dass ihre Emotionen mit den äußeren Verhältnissen nicht übereinstimmen. Das ist aber auch kein Wunder, denn ein Einverständnis zwischen ihr und Admète besteht schon lange nicht mehr. Diese Ehe existiert nur noch aus puren Zweckmäßigkeitsgründen und soll lediglich der Erhaltung der Dynastie dienen. Liebe ist hier nicht mehr im Spiel. Wenn die Königin im privaten Rahmen auf einmal unvermittelt ihre elegante Perücke ablegt, die sie bei ihren öffentlichen Auftritten trägt und unter der sie einen Kurzhaarschnitt trägt, wird die große Abneigung offenkundig, die sie gegenüber ihrem Ehemann hegt. Dieser hat für seine Frau indes auch nicht gerade viel übrig. Die beiden leben in einer von Hilsdorf stringent und einfühlsam gezeichneten Ehehölle nach Strindberg’schem Vorbild, der gute Schein muss aber nach außen hin aufrechterhalten werden. Aus diesem Grund muss Alceste so handeln, wie es sich für eine liebende Gattin gehört. Dass die beiden Kinder am Ende durch Kopfschüsse ins Jenseits befördert werden, ändert nichts. Der Untergang des Hauses Admète ist nunmehr beschlossene Sache. Sein Eintritt ist nur noch eine Frage der Zeit. Dem sich hassenden Ehepaar bleibt nichts mehr übrig, als am Tisch unablässig Suppe zu löffeln und seinem unausweichlichen Ende entgegenzusehen. Sie haben sich nichts mehr zu sagen, nichts verbindet sie mehr. Alceste und Admète sind in einem Hades auf Erden gefangen und können nur noch auf die Revolution warten, was Apollon mit einem hämischen Lachen quittiert – ein sehr pessimistisches Bild von großer Eindringlichkeit.

Cornelia Ptassek (Alceste), Oberpriester

Gesanglich konnte man insgesamt zufrieden sein. In erster Linie für sich einzunehmen vermochte Cornelia Ptassek in der Titelpartie. Seit der Premiere vergangenes Jahr hat sie ihre Interpretation noch mehr verfeinert. Sie zog mit famos fokussiertem, substanz- und farbenreichem jugendlich-dramatischem Sopran, der auch über eine sichere Höhe verfügt, alle Register ihrer anspruchsvollen Partie, als einer deren ersten Vertreterinnen sie sich erwies. Perfekt waren Linienführung, Pianokultur und Differenzierungsvermögen. Insbesondere mit dem wunderbar gesungenen „Divinités du Styx“ konnte sie punkten. Neben ihr fiel Andreas Hermann als Admète mit recht körperlos klingendem, zu hoch gestütztem Tenor ab. Darstellerisch vermochte er mit impulsivem Spiel besser zu überzeugen. Reichlich dünnstimmig präsentierte sich auch der Evandre von David Lee. Bartosz Urbanowicz war ein hervorragend singender Oberpriester. Sauber fundiertes, sonores Baritonmaterial brachte Nikola Diskic in die Partie des Apollon ein. Markant und kräftig sang Raymond Ayers den Hercule. Gut gefiel der tiefgründig intonierende Sung Ha als Gott der Unterwelt. Mit untadeligem Bariton machte Thomas Jesatko aus der kleinen Rolle des Herolds recht viel. Gerne mehr gehört hätte man von Valentin Anikin s Orakel. Mit profundem Sopranmaterial stattete Eun Young Kim die Thessalierin aus. Sie sah man auch im Ensemble der vier Chorführer, dem außer ihr noch Gudrun Hermanns, Dong-Seok Im und Chi Kyung Kim angehörten. Auf hohem Niveau präsentierte sich der von Anton Tremmel einstudierte Chor.

Cornelia Ptassek (Alceste), Andreas Hermann (Admète)

Am Pult vollführte Ruben Dubrovsky mit dem versiert aufspielenden Orchester des Nationaltheaters Mannheim eine gelungene stilistische Gratwanderung. Insgesamt war das Dirigat stark der Klassik verpflichtet, insbesondere was Präzision und Klarheit der Tongebung angeht. Indes waren bei den emotionalen Passagen auch romantische Elemente zu bemerken.

Fazit: Eine bemerkenswert starke Aufführung, deren Besuch sich gelohnt hat.

Ludwig Steinbach, 20.2.2016

Die Bilder stammen von Hans Jörg Michel