Mannheim: „Der Spieler“

Besuchte Aufführung: 9.4.2016 , Premiere: 27.2.2016

Spielleidenschaft in einer zerstörten Welt

Zu einem mitreißenden Opernabend gestaltete sich die Neuproduktion von Sergei Prokofjews „Der Spieler“ am Nationaltheater Mannheim. Nach Weinbergs „Der Idiot“ und Adriana Hölszkys „Böse Geister“ war dies bereits die dritte in Mannheim zur Aufführung gelangte Oper, die auf einen Roman von Dostojewski zurückgeht. Für diesen Schriftsteller scheint das Nationaltheater eine ausgemachte Affinität zu haben – eine Vorliebe, die auch dieses Mal wieder voll aufging.

Zurab Zurabishvili (Alexej)

Bei dem „Spieler“ handelt es sich nach „Undine“ (1907) und „Maddalena“ (1913) bereits um die dritte Oper von Prokofjew, allerdings um seine erste große. Dostojewskis autobiographisch angehauchter, 1866 erschienener Roman – auch der Schriftsteller war in hohem Maße spielsüchtig – war ihm im Jahre 1915 in die Hände gefallen. Von dem Sujet ausgesprochen begeistert beschloss er, aus dem Buch eine Oper zu machen, für die er ausgehend von Dostojewskis Originaltext auch selbst das Textbuch verfasste. Der erst 26jährige Prokofjew beendete die Komposition nach nur sechs Monaten Kompositionsarbeit im Jahre 1917. Angesichts der russischen Oktoberrevolution war an eine Uraufführung am St. Petersburger Mariinski-Theater aber nicht zu denken. Erst zwölf Jahre später, am 29.4. 1929, wurde das Werk etwas überarbeitet im Théatre Royal de la Monnaie in Brüssel in französischer Sprache aus der Taufe gehoben.

Zurab Zurabishvili (Alexej), Sebastian Pilgrim (General)

Hier haben wir es mit einer ausgemachten Rarität zu tun, die von den Opernhäusern leider nicht allzu häufig auf den Spielplan gesetzt wird. In den vergangenen Jahren war das Werk u. a. in Berlin und Frankfurt zu sehen gewesen. Und auch die Mannheimer Aufführung bewies, dass der „Spieler“ nicht zu verachten ist. Zwar befindet sich Prokofjew hier noch auf dem Weg zu seinem späteren Stil, die Musik hat indes durchaus ihre Meriten. Sie weist keine großen Arien auf, sondern ist in einem einfachen Konversationston gehalten. Neben den rezitativischen Passagen gibt es aber durchaus auch einige melodiöse Aufschwünge, die bereits auf die späteren Werke des Komponisten hinweisen. Auffällig ist der rasante, ruhelose Grundduktus, von dem der „Spieler“ beherrscht wird. Dem Rauschhaften sind Tür und Tor geöffnet. Deutlich wird, dass sich der junge Komponist von der traditionellen Oper abgewandt hat und in Anlehnung an die Lehren Meyerholds mit einem neuen Opernverständnis aufwartete. Zwar gibt es einige Themen, die immer wiederkehren, die man aber dennoch nicht im Sinne von Wagner’schen Leitmotiven auffassen darf. Packend und farbenreich ist die Partitur aber allemal. Prokofjews Aussage, dass er dabei auf Einfachheit setzte, wirkt allerdings etwas übertrieben. Leicht sind die verschiedenen Partien wahrlich nicht zu singen.

Ludmila Slepneva (Polina), Zurab Zurabishvili (Alexej)

An dem gewaltigen Eindruck, den die Musik hinterließ, hatten auch Alois Seidlmeier und das versiert und hoch konzentriert aufspielende Orchester des Nationaltheaters Mannheim regen Anteil. Seidlmeier bewies ein gutes Gespür für die Feinheiten der Partitur, die er exellent auffächerte und sehr differenziert vor den Ohren des Publikums ausbreitete. Er versuchte jeder klanglichen Facette gerecht zu werden, und das waren nicht wenige. Unter seiner musikalischen Leitung beschränkten sich die Musiker nicht lediglich auf puren Schönklang, sondern warteten auch mit einer für Prokofjew typischen rhythmischen Prägnanz auf, der es auch an bissigen, ironischen und reichlich burlesken Untertönen nicht mangelte. Auch im Herausarbeiten der verschiedenen Dynamiken und einer reichhaltigen Farbenskala sowie in minutiöser Detailarbeit erwies sich der Dirigent als Meister seines Fachs. Genauso muss diese Oper klingen.

Julia Faylenbogen (Babuschka), Statisterie

Stark unter die Haut ging die Inszenierung von Tilman Knabe, für die Johann Jörg das Bühnenbild und Kathi Maurer die Kostüme beisteuerten. Der Regisseur hat dem Nationaltheater schon so manche eindringliche Produktion beschert, und auch heuer stellte er wieder einmal mit Nachdruck unter Beweis, dass er zu den besten seines Fachs zählt. In Sachen spannender, stringenter Personenregie und einfühlsamer Charakterzeichnungen zeigte er sich wieder einmal ganz in seinem Element. Langweilig wurde es wirklich nie. Alles wirkte wie aus einem Guss. Dabei verlegte er das Stück gekonnt in die Gegenwart. Johann Jörg hat ihm einen ziemlich trist und hermetisch abgeschlossen wirkenden Einheitsraum auf die Bühne gestellt, der die verschiedensten Funktionen erfüllt. Er ist gleichzeitig Spielsaal wie Hotellobby. Deutlich wird, dass wir es hier mit einer zerstörten Welt zu tun haben. Der Putz bröckelt von den mit Panzertüren versehenen Wänden. Ein Dachfenster ist geborsten. Die von Bernard Häusermann in Einklang mit der Regie vorgenommene Beleuchtung ist durchweg dunkel gehalten. Ferner wird der Raum von drei Bars, in denen man dem Alkohol frönen kann, und schäbigen Ledergarnituren eingenommen. Auf Bildschirmen kann man die neuesten Börsekurse beobachten. Gut bewältigt Knabe den Spagat zwischen tragischen und grotesken Elementen. So trotten Krokodile über die Bühne oder hängen ausgestopft an der Wand. Eines von ihnen wird gegen Ende sowohl den General als auch den Casinobesitzer verschlingen. Hier werden Bezugnahmen auf Dostojewskis im Programmheft abgedruckten Text „Das Krokodil“ deutlich und die beiden Opfer mit dem unglücklichen Iwan Matwejitsch identifiziert. Im linken vorderen Bereich haust ein Pennerpärchen, das zudem anscheinend rauschgiftabhängig ist. Klar ersichtlich hat seine Spielleidenschaft beide auf die Straße gebracht. Mehr als eine Suppe können sie sich nicht mehr leisten. Auch der Spieler Alexej setzt sich im Schlussakt eine Spritze. Zuvor durfte er die Baronin Würmerhelm noch in beleidigender Absicht anpinkeln.

Ensemble

Es ist eine sehr dekadente, gleichsam am Abgrund torkelnde Gesellschaft, die sich hier versammelt hat und in ihrer Gesamtheit in hohem Maße entfremdet wirkt. Um Entfremdung geht es hier dann auch in verstärktem Maße. Eine Ausnahme davon bildet lediglich Alexej, der von allen Personen die authentischste ist. Hier erschließt sich dem Auge des Zuschauers ein ausgesprochen surreal anmutendes Sittlichkeitsgemälde, das nur von Geldgier bestimmt wird. Alles ist liederlich und verkommen, humane Werte spielen in diesem heruntergekommenen Ambiente letztlich keine Rolle mehr. Diese Welt muss schließlich zugrunde gehen. Es kommt zum Aufstand gegen die herrschenden fragwürdigen Verhältnisse. Maskierte Protestler stürmen in die Logen, werfen den Text der Internationale in das Parkett und rollen politische Spruchbänder aus. Da ist beispielsweise „Nieder mit den Banken“, „Keine Tierversuche“ und „Percing statt Petting“ zu lesen. Nieder mit dem Kapitalismus heißt die Devise, das gierige Streben nach immer mehr Geld muss endlich aufhören. Denn es bringt letzten Endes kein Glück. Das muss auch Alexej einsehen. Polina, mit der er kurz zuvor noch Sex hatte, will das Geld nicht, das er ihr anbietet, und trennt sich von ihm. Eine irgendwie geartete Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wenden würde, ist nicht ersichtlich. Alexej bleibt nur übrig, in den Spielsaal zurückzukehren. Es bleibt alles beim Alten.

Zurab Zurabishvili (Alexej)

Schon rein darstellerisch war Zurab Zurabishvili für den Alexej eine Idealbesetzung. Sein Spiel atmete große Leidenschaft und glühendes Feuer. Auch stimmlich vermochte er mit seinem bestens fokussierten, glutvollen Tenor, der insbesondere in der Höhe großen Glanz entfaltete, voll zu überzeugen. Bestens schnitt Ludmila Slepneva ab, die der Polina gleichermaßen arrogante wie emotionale Züge abgewann. Vokal bestach sie durch einen wunderbar italienisch geführten, differenzierten und gefühlvollen Sopran, mit dem sie sämtliche Nuancen ihrer anspruchsvollen Partie zog. Markantes Bassmaterial brachte Sebastian Pilgrim für den General mit. Mit fein geführtem, vorbildlich verankertem und warmem Mezzosopran gab Ludovica Bella der von der Regie als Flittchen vorgeführten Blanche großes vokales Gewicht. Ein wahres Kabinettstückchen von komischer Alter gelang der schauspielerisch und stimmlich ansprechenden Julia Faylenbogen als Babuschka. Mit tadellosem Bariton stattete Nikola Diskic den Mr. Astley aus. Nur über dünnes Tenormaterial verfügte der Marquis von David Lee. Ähnlich verhielt es sich mit Christoph Wittmann s Fürst Nilskij und Croupier sowie Stephan Somburg (Baron Würmerhelm und Direktor des Casinos). Durchwachsen waren die Leistungen der sehr individuell gezeichneten kleinen Spieler-Rollen. Da hörte man gute und weniger befriedigende Stimmen.

Fazit: Ein spannender, intensiver Opernabend, der die Fahrt nach Mannheim voll gelohnt hat und dessen Besuch sehr zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 11.4.2016

Die Bilder stammen von Hans Jörg Michel