Frankfurt: „La Traviata“, Giuseppe Verdi

Bericht von der konzertanten Premiere am 7. November 2018

Sie kam, sang und siegte

Was rechtfertigt eine konzertante Aufführung, also Musiktheater ohne Theater?

In Frankfurt in fernerer Vergangenheit etwa das fehlende Budget für ein Bühnenbild (Parsifal) oder die Präsentation eines Stars in der Titelrolle (Otello), in jüngerer Vergangenheit aber lediglich die Präsentation von Raritäten, denen man keine szenische Wirksamkeit, keine inhaltliche Substanz oder jedenfalls kein für eine szenische Aufführungsserie ausreichendes Publikumsinteresse zuschreibt. So hatte man zunächst das Frühwerk von Richard Wagner präsentiert, um sich seit einigen Spielzeiten immer wieder vergessenen Opern aus der Frühzeit von Giuseppe Verdi zu widmen. Nun stand der Korsar für zwei Aufführungen auf dem Spielplan. Zwei der Sänger von tragenden Partien mußten jedoch so kurzfristig absagen, daß kein Ersatz organisiert werden konnte. So suchte man nach einer Verdi-Oper, welche die verbliebenen Sänger auch nachts um drei im Schlaf auswendig singen können, und kam auf La Traviata. Die Titelpartie wurde ad hoc von der ohnehin gerade am Haus probenden Brenda Rae übernommen. Sie kam, sang und siegte. Das Publikum dürfte das wohl differenzierteste und eindringlichste Porträt dieser Rolle präsentiert bekommen haben, das seit langem an einem Opernhaus zu hören war. Jede Nuance präsentierte das ehemalige Frankfurter Ensemblemitglied mit technischer Makellosigkeit und einer emotionalen Intensität, die ihresgleichen sucht. Selbst Koloraturen erschienen hier als selbstverständliches Mittel der Rollengestaltung. Brenda Rae befindet sich ohne Zweifel auf dem Gipfelpunkt ihrer enormen Möglichkeiten. Und ließ das Publikum in keiner Sekunde ein Bühnenbild vermissen. Was hätte uns ein Regisseur zu dieser Figur noch sagen können, was die Rae nicht schon mit Mimik und gut dosierter Gestik zum Ausdruck gebracht hatte?

Die beiden aus der ursprünglichen Besetzung übrig gebliebenen Sänger der beiden männlichen Hauptpartien rundeten den Abend zum Belcantofest ab. Dabei schien es mitunter so, als ob Zeljko Lucic als Vater Germont trotzdem gerne als Korsar aufgetreten wäre und daher seiner Figur regelrecht gewalttätig grobe Züge verlieh. Wenn er etwa Violetta zusprach: „weine nur“, dann erschien dies wie ein machtvoller Befehl, dem man sich besser nicht widersetzen sollte. Mario Chang gab dagegen genau die Rolle, mit der er in Frankfurt bereits im Rosenkavalier betraut war: ein italienischer Tenor. Dieses Mal hörte der Tenor eben auf den Namen Alfredo. Tat aber nichts zur Sache. Die Stimme ist samtig und wohlklingend, verfügt über stabile Spintoqualitäten und kann als idealtypisch für dieses Rollenfach bezeichnet werden.

Ein gut gelaunter Chor und ein unter der Leitung von Francesco Lanzillotta knackig und energiegeladen aufspielendes Orchester taten das ihre, das Publikum in Jubelstimmung zu versetzen.

Michael Demel, 9. November 2018

Bilder (c) Barbara Aumüller