Bericht von der Premiere am 10. Juni 2018
Da werden Weiber zu Hyänen
Mit den Koproduktionen hatte die Oper Frankfurt in dieser Saison kein Glück. Zu Beginn der Spielzeit stand ein belangloser „Troubadour“, der zwar zuvor immerhin an „Covent Garden“ in London herausgebracht worden war und dessen Vorstellungen in Frankfurt nahezu vollständig ausverkauft waren, über dessen mediokre szenische Qualität der Frankfurter Intendant Bernd Loebe aber derart verärgert war, daß er seinen Mißmut öffentlich zum Ausdruck brachte. Zum krönenden Abschluß der Spielzeit war nun erneut eine Koproduktion geplant, dieses Mal mit der Oper Oslo. Was dort bei der Premiere im Januar dieses Jahres zu sehen war, ließ Loebe sofort die Notbremse ziehen. Das Produktionsteam wurde ausgetauscht. Regisseur Christof Loy erwies sich als Retter in der Not und sprang kurzfristig ein. An der Oper Frankfurt gehört er zu den prägenden Künstlern und hat in den vergangenen Jahren eine Serie von mustergültigen Inszenierungen präsentiert, so daß die Erwartungen hoch waren. Was man bei Loy wie selbstverständlich voraussetzt, ist eine psychologisch ausgefeilte Personenregie und eine zwingende Führung von Kollektiven. So ist es nun auch in der neuen „Norma“ zu erleben. Insbesondere die beiden Protagonistinnen werden konturenstark individualisiert, ihre inneren Nöte und äußeren Konflikte plastisch herausgearbeitet. Interaktionen haben die Qualität fein ausgeleuchteter Kammerspiele.
Das Loy-typische Einheitsbühnenbild (Raimund Orfeo Voigt) ist dieses Mal ein kahler, schmucklos aus dunklem Holz gezimmerter Kasten, der düster vor sich hinbrütet, und der im Laufe der Aufführung durch eine sich immer weiter absenkende Decke eine zunehmend klaustrophobische Wirkung verbreitet. Links befindet sich ein Fenster, durch dessen trübe Scheiben das Mondlicht dringt. Am Boden gibt es eine Luke, unter der die gallische Druidin Norma ihre beiden Kinder verbirgt. Sie stammen aus einer heimlichen Beziehung mit dem römischen Anführer Pollione. Mit seinen Truppen ist er der Repräsentant einer grausamen Besatzungsmacht. Durch die verbotene Liebe zum Feind übt Norma Verrat an ihrem Volk, dessen spirituelle Anführerin sie ist. Loy nimmt diesen Kern und transformiert ihn in eine in den 1940er Jahren angesiedelte Geschichte eines Widerstandskampfes. Dabei standen ihm die von den Nazis besetzten Niederlande vor Augen. Er geht dabei jedoch sehr dezent vor, zeigt keine NS-Uniformen, Hakenkreuze, Maschinengewehre oder sonstigen Plattheiten, sondern beläßt es dabei, über die schlichten Kostüme (Ursula Renzenbrink) eine zeitliche Verortung mehr anzudeuten, als sie vorzuführen. Letztlich kommt es darauf auch nicht an, denn die Geschichte einer zwischen der Liebe zu den eigenen Kindern, zum heimlichen Geliebten und zum eigenen Volk verzweifelt zerrissenen Frau erhält durch die Konzentration auf innere Konflikte etwas Zeitloses. Was in dieser Produktion jedoch zu selten gelingt, ist das Erzeugen nachhaltiger Bildeindrücke. Der schwach beleuchtete Holzkasten brütet trostlos vor sich hin, und trostlos agieren darin die grau gekleideten Darsteller. Wenn nicht ein paar Stühle und ein Tisch herumstünden, hätte man das Ganze auch ohne Kulissen spielen können. Und mitunter geschieht genau das. Immer wieder nämlich geht ein schwarzer Vorhang herunter und verbirgt das Bühnenbild, während vor dieser dunklen Wand auf dem schmalen Streifen bis zum Orchestergraben die Handlung weitergeht. Am Ende, wenn Norma in einem Akt der Selbstopferung laut Libretto einen Scheiterhaufen besteigen soll, züngeln ein paar mickrige Flammen um die Stuhlbeine herum. Das ist dann doch ein recht kraftloser Schluß.
Elza van den Heever als Norma
Eine derart starke Reduktion des szenischen Beiwerks bedarf außerordentlicher schauspielerischer Leistungen. Sie werden insbesondere von Elza van den Heever in der Titelpartie aufgeboten. Sie formt das Bild einer handfesten, mitunter geradezu derben Frau, die auch einmal bloßfüßig und breitbeinig über die Bühne stapft. Ihre enormen stimmlichen Mittel stellt sie schonungslos in den Dienst einer totalen Einverleibung einer vom inneren Zwiespalt aufgeriebenen Figur. Über weite Strecken nimmt sie ihre an sich recht kräftige Stimme zurück, dünnt sie geradezu auf Bindfadenstärke aus. Doch hat diese Zurückgenommenheit nichts Verzärteltes. Stets ist die eingehegte Kraft dahinter präsent, ist die Anstrengung hörbar, welche die Bändigung der Stimme erfordert. Der so geformte Charakter hat etwas Animalisches. Besonders sinnfällig wird das, als Norma in Adalgisa eine Rivalin um Pollione erkennt und ihre zunächst freundlich zugeneigte Stimmung in Wut umschlägt. Hier läßt der Regisseur sie auf allen Vieren zu Boden gehen und dort regelrecht zum sprungbereiten Raubtier mutieren. „Da werden Weiber zu Hyänen.“ Wenn sie voll aussingt, offenbart die Stimme ein herbes Timbre mit einer gewissen Schärfe in exponierten Lagen. „Belcanto“, Schöngesang im schlichten Wortsinne, ist das nicht. Gleichwohl packt diese darstellerische und musikalische Entgrenzung das Premierenpublikum und reißt es am Ende zu Beifallsstürmen hin.
Stefano La Colla als Pollione mit Elza van den Heever
Ihr zur Seite steht Stefano La Colla, dessen robuster Tenor mit guter Mittellage und allzu protzig aufgesetzten Spitzentönen sich gut zum Porträt eines etwas eindimensionalen Karrierebeamten Pollione fügt. Für Robert Pomakov scheint die Tessitur des „Oroveso“, Normas Vater, mitunter unbequem hoch zu liegen, so daß sein solider Einsatz hier deutlich hinter dem fabelhaften Eindruck zurückbleibt, den er in Frankfurt zuletzt als „Fürst Gremin“ in „Eugen Onegin“ gemacht hat.
Das Gegenbild der bis zum Wahnsinn zerrissenen Titelfigur liefert Gaëlle Arquez in der Rolle der „Adalgisa“. Ihr runder, schöner Mezzo darf sich in Schwärmerei verströmen und in Terzen an die Stimme der van den Heever anschmiegen. Dieser stimmliche Kontrast der weiblichen Hauptfiguren zueinander bei jeweils exemplarischer musikalischer Ausleuchtung ist der musikalische Coup der Besetzung, der diese Produktion in den Rang des Außerordentlichen hebt.
Gaëlle Arquez als Adalgisa
Im Orchestergraben waltet mit Antonio Fogliani ein idealer Bellini-Dirigent, der kapellmeisterliche Qualitäten mit italienischem Esprit verbindet. Bei den Tempi ist er flexibel und verwirklicht mit dem aufmerksam folgenden Orchester organisch wirkende Rubati. Der Klang ist nicht zu dick, wirkt gut ausgehört und farbig. Es sind schöne Kantilenen von Flöte und Cello zu hören. Sehr wirkungsvoll machen die prasselnden Pauken mit harten Schlegeln auf sich aufmerksam. Vor allem aber ist Fogliani ein aufmerksamer Begleiter, der die Sänger nie zudeckt, mit ihnen atmet und sie behutsam zu führen versteht.
Wie gewohnt überzeugt der von Tilman Michael vorbereitete Chor mit homogenem Klang und dynamisch gut abgestuften Einsätzen.
Die Produktion ist derart auf Elza van den Heever in der Titelrolle zugeschnitten, daß eine Umbesetzung bei künftigen Wiederaufnahmen den Charakter der Inszenierung verändern wird. So trifft es sich, daß die Oper Frankfurt ihr ehemaliges Ensemblemitglied für die Reprise in einem Jahr bereits gebucht hat. Wer nicht auf Restkarten spekuliert, wird sich so lange gedulden müssen, denn alle Vorstellungen des Premierenzyklus sind bereits ausverkauft.
Michael Demel, 12. Juni 2018
Bilder (c) Barbara Aumüller
PS
Eine instruktive Audio-Einführung der Frankfurter Opern-Dramaturgie ist online verfügbar.