Frankfurt: „Otello“, Gioachino Rossini

Bevor gleich kleinere Kritikpunkte aufgelistet werden, was Rezensentenpflicht ist, soll vorweggenommen werden, daß sich die Oper Frankfurt mit dem Erwerb dieser Produktion vom Theater an der Wien eine erstklassige Inszenierung für ihr Repertoire gesichert hat. Wie Damiano Michieletto das dramaturgisch ungeschickte Libretto vor sich selbst rettet, indem er dessen Verunstaltung der Shakespeare-Vorlage teilweise rückgängig macht, ist schlüssig und höchst sehenswert. Das gelingt ihm ohne Eingriffe in Noten oder Text insbesondere durch die Reaktivierung der Figur des Jago als Urbild eines diabolischen Intriganten und Strippenziehers. In der Premiere vor viereinhalb Jahren war es Theo Lebow, der durch sein intensives Spiel diese Figur zur Hauptrolle erhöhte. Nun hat Francisco Brito die Partie übernommen. Wenn man seinen Fenton vor Augen und Ohren hat, den er gerade parallel im Wiesbadener Falstaff als liebenswürdigen Musterschwiegersohn gibt, staunt man nicht schlecht, mit welcher Spiellust, ja beinahe Spielwut er sich hier ins Zeug legt. Brito genießt es offensichtlich in vollen Zügen, endlich einmal einen Bösewicht spielen zu können.

Theo Lebow (Otello) und Francisco Brito (Jago) / © Barbara Aumüller

Sodann nimmt der Regisseur eine leichte Transformation der Grundkonstellation vor. Aus dem Feldherrn Otello ist ein Geschäftsmann geworden, aus dem Farbigen ein Muslim. Damit entgeht der Regisseur der Peinlichkeit des Blackfacings, bei dem ein Weißer mit Schminke zum Farbigen gemacht werden muß. Letztlich geht es aber um kulturelles Außenseitertum. Da ist die Präsentation eines arabischen Muslims in einer westlichen Gesellschaft mindestens so plausibel. Raffiniert greift die Regie aber das Schwarzmachen am Ende des ersten Aktes auf, in dem auf einem Festbankett zunächst Otello sich mit einer braunen Masse Kleidung und Gesicht beschmiert und schließlich auch die anwesende Festgesellschaft nach und nach besuldet wird, bis die Szene in einer regelrechten Schlammschlacht endet. Theo Lebow ist nun in der Titelpartie statt als Jago zu erleben. Für ihn wie für Brito gilt, daß die Partien nicht optimal zu ihren Stimmtypen passen, jedoch technisch respektabel bewältigt und darstellerisch überzeugend durchdrungen werden. Im Uraufführungsjahr des Otello, 1816, war die große Ära der Kastraten in der italienischen Oper zwar nahezu beendet, prägte aber durchaus noch die Konventionen. Rossinis Tenöre im frühen und mittleren Werk bewegen sich im Hinblick auf den Tonumfang häufig in der Altlage. Leichtgängig müssen Stimmen dafür sein, auch im Hinblick auf die geforderten kunstvollen Verzierungen. Francisco Brito kommt zwar mit dem Belcanto-Ziergesang ordentlich zurecht, muß aber Spitzentöne regelrecht stemmen und kann sie nicht immer in die Gesangslinien integrieren. Allerdings weist die Partie gerade so wenige Spitzentöne auf, daß dies angesichts einer außerordentlichen stimmschauspielerischen Gesamtleistung nicht ins Gewicht fällt. Theo Lebow hat mit Spitzentönen und Ziergesang keine Probleme. Jedoch führt Rossini zur Charakterisierung dieser tragischen Figur die Stimme mitunter in baritonale Tiefen herab. Lebow hat zwar seine Mittellage für die Rolle etwas abgedunkelt und sein Stimmvolumen vergrößert, was ihm nicht schlecht steht. Auch paßt sein immer etwas scharf-herbes Timbre zu diesem emotional instabilen gesellschaftlichen Außenseiter. Tiefere Töne bleiben jedoch blaß und ohne Fundament.

Levy Sekgapane (Rodrigo) und Francisco Brito (Jago) / © Barbara Aumüller

Ganz in seinem Stimmelement erscheint dagegen Levy Sekgapane als Rodrigo. Mit hellem Timbre und quecksilbriger Leichtigkeit wird er an diesem Abend zum Favoriten des Publikums. Unter den drei Tenören in den Hauptpartien kommt er als einziger dem Typus eines Tenore di grazia nahe, was allerdings auch bedeutet, daß er die „weißeste“, am wenigsten markante Stimme besitzt, deren auffälligstes Merkmal ein sehr schnelles, aber ebenmäßiges Vibrato ist. Prägend ist der hohe Anteil der Kopfresonanz, was auch eine bruchlos-elegante Integration des Falsetts ermöglicht.

Nino Machaidze ist mit der Desdemona in dieser Produktion seit der Wiener Premiere 2016 vertraut und hat sie auch in der Frankfurter Übernahmepremiere 2019 gesungen. Originellerweise soll sie in einem Monat auch die Desdemona in Verdis Otello-Version in Frankfurt singen. Daß die Stimme für die beiden musikalisch unterschiedlich angelegten Partien gleichermaßen geeignet erscheint, liegt an ihrem reifen und fruchtigen Timbre, dem es gleichwohl nicht an der für den Belcanto erforderlichen Geläufigkeit mangelt. Das paßt zu Michielettos Regieansatz, der Desdemona keineswegs als passives Opfer, sondern als durchaus selbstbewußte Frau zeigt, die noch im tragischen Schluß das Heft des Handelns in der Hand behält, indem sie sich nicht von Otello ermorden läßt, sondern den Freitod wählt.

Nino Machaidze (Desdemona) und Kelsey Lauritano (Emilia) / © Barbara Aumüller

Vorzüglich besetzt sind die Nebenrollen. Wie schon in der Premiere begeistert Kelsey Lauritano mit ihrem warmen und dabei jugendlich-blühenden Mezzosopran als Emilia. Fabelhaft gelingt Erik van Heyningen das Rollendebüt als Elmiro mit seinem vollmundigen und höhensicheren Baßbariton. Abraham Bretón bleibt mit seinem jugendlich-strahlenden Tenor der Partie des Gondoliere nichts schuldig.

Das Orchester steht wie in der Premiere unter der Leitung von Sesto Quatrini. Es braucht an diesem Abend einige Zeit, um auf Betriebstemperatur zu kommen. In der Ouvertüre wirken die Musiker ein wenig unkonzentriert, erlauben sich kleinere Patzer und vernuschelte Phrasen. Beim ersten Choreinsatz wackelt es zwischen Orchestergraben und Bühne. Ob es da zwischen Tannhäuser und Elektra womöglich an Probenzeit gemangelt hat? Im Laufe des ersten Aktes stabilisiert sich die Lage, und nach der Pause sind dann endlich die Farbigkeit und das Brio zu hören, die man von der Premiere in Erinnerung hatte. So macht Rossini Spaß.

Der Regie ist es gelungen, aus einem mäßigen Libretto mit überzeugenden szenischen Einfällen und einer attraktiven Ausstattung ein erstklassiges und spannendes Stück Musiktheater zu formen. Dafür bietet die Wiederaufnahme erneut eine Besetzung auf, die darstellerisch mindestens so stark ist, wie sie musikalisch sattelfest ist.

Michael Demel, 20. Mai 2024


Otello ossia Il moro di Venezia
Dramma per musica in drei Akten von Gioachino Rossini

Oper Frankfurt

Wiederaufnahme am 17. Mai 2024
Premiere am 8. September 2019

Inszenierung: Damiano Michieletto
Musikalische Leitung: Sesto Quatrini
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Trailer