Frankfurt: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2022/23“

Nein, ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen. Den Anfang machen wir mit der Oper Frankfurt. Weitere Bilanzen sollen folgen.


Beste Produktion:
Zwei „Kirchenparabeln“ von Benjamin Britten im Bockenheimer Depot. Außergewöhnliches Bühnenbild, plastische Regie, großartige Sänger-Schauspieler.

Größte Enttäuschung:
Die Regie von Ted Huffman für „Die Zauberflöte“. Ohne Charme und Zauber. Schade um die abgesetzte Sowa-Kirchner-Produktion!

Entdeckung des Jahres:
Die ersten Menschen“ von Rudi Stephan.

Beste Wiederaufnahme:
Don Giovanni“ in der Regie von Christof Loy. Großartig gespielt und fabelhaft musiziert. Mit der Frische einer Premiere.

Beste Gesangsleistung (Ensemble, Hauptpartie):
Iain McNeil als Fürst in Tschaikowskis „Die Zauberin“ und Kajin in „Die ersten Menschen“.

Beste Gesangsleistung (Ensemble, Nebenrolle):
Kateryna Kasper als Zerlina in „Don Giovanni“.

Beste Gesangsleistung (Gast):
Asmik Grigorian als Manon Lescaut und in der Titelpartie von „Die Zauberin“.

Nachwuchssänger des Jahres:
Nombulelo Yende als Tatiana in „Eugen Onegin“. Was für eine wunderbar durchgeformte, große, warm flutende Stimme, was für eine glühende Leidenschaft!

Jarrett Porter, der als Opernstudiomitglied in mehr Aufführungen mitgewirkt hat als die meisten Ensemblemitglieder und bei einer staunenswerten Bandbreite von Barock bis zu einer zeitgenössischen Uraufführung immer sängerisch und darstellerisch überzeugen konnte.

Bestes Dirigat:
Sebastian Weigle in „Elektra“ und „Die ersten Menschen“.

Beste Regie:
Vasily Barkhatov, der aus Tschaikowskis „Die Zauberin“ einen filmreifen Thriller gemacht hat.

Bestes Bühnenbild:
Christian Schmidt für Tschaikowskis „Die Zauberin“.

Beste Chorleistung:
Hercules“ von Händel. Nicht nur fabelhaft und stilsicher gesungen, sondern in der Regie von Barrie Kosky auch darstellerisch überzeugend.

Größtes Ärgernis:
Wie eine irrlichternde Stadtpolitik den immer dringlicher werdenden Neubau von Oper und Schauspiel seit Jahren verschleppt.


Die Bilanz zog Michael Demel.