Graz: „Die Macht des Schicksals“

7. Oktober 2021 (2. Vorstellung nach der Premiere vom 2. Oktober)

Bildgewaltiges Spektakel – Stimmenglanz

Alle Ankündigungen der Oper Graz für die Eröffnungspremiere der Saison 2021/22 lauten Die Macht des Schicksals, sodass man vermuten könnte, das Verdi-Werk werde wie vor Jahrzehnten in deutscher Sprache aufgeführt. Dem ist natürlich nicht so, aber wahrscheinlich meinten Intendanz und Dramaturgie, mit dem deutschen Titel könne man vielleicht auch Publikum in die Oper bringen, das wenig opernaffin ist und mit La Forza del Destino nichts anzufangen weiß. Ich konnte die Premiere nicht besuchen. Da war ich in Stuttgart beim Rosenkavalier (wen’s interessiert, kann hier meinen Bericht nachlesen). Mein Bericht über die zweite Vorstellung der Grazer Neuproduktion: Das szenische Leadingteam (Eva-Maria Höckmayr-Inszenierung, Momme Hinrichs-Bühne&Videodesign, Julia Rösler-Kostüme, Olaf Freese-Licht, Marlene Hahn, Alexander Meier-Dörzenbach-Dramaturgie) hat dem Werk eine Bilder-und Videoflut samt Neudeutungen übergestülpt. In einem Gespräch hatte die Regisseurin dies als großes bildgewaltiges Musiktheater bezeichnet. Auf der Homepage der Oper Graz kann man nicht nur dieses Gespräch abrufen, sondern auch viele Produktionsfotos und die Pressestimmen über die Premiere finden. Ich will daher nicht neuerlich über die Inszenierung schreiben, sondern an den Anfang meines Berichts diesmal einfache eine (kommentierte!) Bilderflut stellen – ich denke, das spricht für sich!

Und nachdem Sie diese Fotos durchgesehen haben, empfehle ich dringend, dieses Video (vor allem ab Minute 23) anzuschauen, in dem Elisabeth Kulman mit Christian Thielemann spricht. Thema: Die Video-Clippisierung der Oper (ein Ausdruck von Thielemann). Dann kennen Sie auch meine Meinung zum Grazer Inszenierungskonzept! Die Grazer Intendantin Nora Schmid, die ja ab 2024/25 die Intendanz der Semperoper übernehmen wird, wird sich mit Thielemanns Sichtweise nicht in der Praxis auseinandersetzen müssen: Christian Thielemann verlässt Dresden, wenn Nora Schmid als neue Intendantin kommt!

Wie in den letzten Jahren so oft, waren auch diesmal wieder die musikalischen Leistungen sehr erfreulich und auf hohem Niveau.

Aurelia Florian war eine ganz ausgezeichnete Leonore. Mit ihrem dunklen Sopran beherrschte sie nicht nur die dramatischen Ausbrüche, sondern verstand auch, wunderschöne lyrische Phrasen zu gestalten. Ihr ebenbürtig war Jordan Shanahan . Er war mit seinem markanten Charakter-Bariton eine ideale Verkörperung des nach Blutrache dürstenden Bruders. Seine strahlenden Spitzentöne beeindruckten ebenso wie seine Fähigkeit, große Legatobögen zu spannen.Aldo di Toro war sein Rivale Alvaro, der über absolut sichere metallische Spitzentöne verfügt. Nur im Piano – etwa beim lyrischen Aufstieg Oh, tu che in seno agli angeli in seiner großen Arie zu Beginn des 3.Aktes – hatte er ein wenig Schwierigkeiten, sein heldisches Material zu zentrieren. Man kann sich übrigens sehr gut vorstellen, dass die beiden Herren im Vorjahr in Bern ein großartiges Paar Otello/Jago waren. Timo Riihonen war ein würdiger Pater Guardian. Diesmal fiel mir allerdings auf, dass im Piano und im mezzoforte die Stimme nicht immer so ganz gestützt war und damit etwas flach. Da bestand dann die Gefahr von Intonationstrübungen. Im Forte waren die Spitzentöne makellos. Alle vier Gäste kennt man schon aus verschiedenen Produktionen in Graz, sodass sie gleichsam zum erweiterten Ensemble gehören. Die übrigen Partien waren ausgezeichnet aus dem Ensemble besetzt. Da sei als erste Mareike Jankowski genannt. Sie war zunächst im Opernstudio und ist nun seit 2 Jahren fix im Grazer Ensemble. In dieser Inszenierung war sie als Preziosilla und personifiziertes Schicksal praktisch durchgehend auf der Bühne. Sie verfügt über ein reiches Stimmmaterial und bewältigte die stimmlich exponierte Partie sehr gut. Nur ganz zu Beginn forcierte sie ein wenig – da waren die Spitzentöne (immerhin H!) ein wenig gefährdet. Neven Crnić ließ sich als indisponiert entschuldigen. Dennoch bewältigte er die Partie des Melitone (samt der großen und früher oft gestrichenen Bettlerszene im 4.Akt) ganz ausgezeichnet. Auch die kleinen und kleinsten Partien waren stimmlich exzellent besetzt – vom Marchese des Wilfried Zelinka über den Trabucco von Mario Lerchenberger bis zum chirurgo des Dariusz Perczak und zur szenisch ungemein aufgewerteten Curra von Corina Koller. Spezielles darstellerisches Profil konnten weder die Hauptrollen noch die Nebenrollen entwickeln, zu sehr waren sie in das Regiekonzept gezwängt. Chor & Extrachor der Oper Graz (Leitung: Bernhard Schneider) bewährten sich außerordentlich – man ist geneigt zu sagen: wie immer. Die musikalische Gesamtleitung hatte der erstmals in Graz auftretende junge Italiener Matteo Beltrami. Mit den glänzend disponierten Grazer Philharmonikern vermittelte er authentischen Verdi-Klang mit vielen feinen Details und viel Gespür für die Solisten. Insgesamt war es von der Ouvertüre weg ein sehr breit angelegtes Musizieren, dem ich manchmal mehr Vorwärtsdrängen gewünscht hätte.

Das recht gut besuchte Haus spendete am Ende reichen Beifall – musikalisch war es ein sehr guter Abend, dessen Besuch sehr zu empfehlen ist – es gibt bis zum Jahresende noch 10 Vorstellungen.

Hermann Becke, 8.10.2021

Fotos: Oper Graz