Graz: „Polnische Hochzeit“

(4. Vorstellung nach der Premiere vom 8. 12. 2018)

Silvestervergnügen mit vergessener Operette

Es ist durchaus vergnüglich, wenn man als Berichterstatter nicht die Premiere besuchen konnte und stattdessen wieder einmal zu Silvester ins Grazer Opernhaus geht – und das noch dazu bei einem Stück, das man nicht kennt! Der altösterreichisch-ukrainisch-jüdische Komponist Joseph Beer (1908 – 1987), der in Wien bei Joseph Marx studiert hatte, feierte mit seiner Polnischen Hochzeit im Jahre 1937 bei der Uraufführung in Zürich einen ungeheuren Erfolg. Er hatte das Werk gemeinsam mit dem renommierten Autorenduo der Wiener Operette Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald in nur wenigen Wochen geschaffen, ein Werk, das sofort nach seiner Züricher Uraufführung in acht Sprachen übersetzt und innerhalb von 11 Monaten auf 40 Bühnen nachgespielt wurde. Für Wien war eine Aufführung mit Richard Tauber, für Paris eine Produktion mit Jan Kiepura und Martha Eggerth geplant. Doch durch die nationalsozialistische Machtergreifung kam es zu all diesen Aufführungen nicht mehr. Joseph Beer tauchte in Frankreich unter, seine Eltern und seine Schwester wurden in Auschwitz ermordet.

Nach dem Krieg fand Joseph Beer nicht mehr den Anschluss an das Musikleben. Erst durch die unermüdlichen Bemühungen seiner Frau und seiner beiden Töchter (und durch einen Verlagswechsel) tauchte Beers Werk in den letzten Jahren wieder auf und so kam es erst jetzt (nach einer Freilichtaufführung im Hof des Wiener Theresianums im Jahre 2012 – siehe dazu den damaligen Bericht im Online-Merker) zur ersten Aufführung auf einer großen österreichischen Bühne. Über Joseph Beer gibt es eine eigene Homepage , auf der man über die Grazer Produktion liest: We are proud to announce that Polnische Hochzeit, Joseph Beer’s huge success as a youth in pre-World War II Europe, is being revived in a major production by Oper Graz, Austria’s second largest opera house during an unprecedented 3-months run, including a New Year’s Eve bash!! Über diese „Silvester-Party“ sei hier berichtet.

Um es gleich zu Beginn in einem Satz zusammenzufassen:

Es war eine in jeder Hinsicht wohlgelungene Aufführung eines schwungvollen Werks, das völlig zu Recht aus der Vergessenheit hervorgeholt wurde – Inszenierung und musikalische Umsetzung verdienen, dass die Produktion medial festgehalten wird – siehe dazu unten den TV-Hinweis.

Das szenische Team (Inszenierung – Sebastian Ritschel, Bühne – Martin Miotk, Kostüme – Andy Besuch) hat für die Grazer Erstaufführung eine sehr kluge Lösung geschaffen.

Chor und Ballett waren durchgehend Matrjoschka – Püppchen, zwischen denen einzig die Solisten als menschliche Figuren agierten. Das gab dem Stück von vornherein eine surreal-märchenhafte Atmosphäre. Durch diese Stilisierung – die keinerlei verunglimpfende Karikierung bedingte! – wurde sehr geschickt eine heute wohl nicht mehr erträgliche Operettenseligkeit der 1930-er Jahre vermieden und ein vergnüglicher bunter Bilderbogen geschaffen, in dem die Handlung ganz dem Libretto entsprechend erzählt werden konnte. Das nenne ich eine gelungene zeitgemäße Operetteninszenierung: das Stück wird ernst genommen, ins Märchenhafte überhöht und dadurch von seiner Zeitgebundenheit befreit.

Die Besetzung der Hauptfiguren war ein buntes, geradezu altösterreichisches Nationalitätengemisch, das ideal zum Stück passte. Das zentrale Liebespaar verkörperte der prächtige ungarische Tenor Szabolcs Brickner, der mit breiten Belcantophrasen und sicheren Spitzentönen unbestritten der stimmliche Mittelpunkt der Aufführung war. Die junge weißrussische Sopranistin Katharina Melnikova – in Graz ausgebildet und Mitglied des Opernstudios der Oper Graz – bewährte sich in ihrer ersten Grazer Hauptrolle durchaus. Die Stimme ist sicher geführt, wenn auch noch nicht sehr facettenreich und manchmal noch ein wenig zu schmal für den üppigen Orchesterklang.

Auch das zweite, das „niedere Paar“ Casimir/ Suza war sehr gut besetzt. Ideal ist der Casimir des aus Serbien stammenden Ivan Oreščanin, der sich glänzend zu bewegen weiß und durch seine Bühnenpräsenz überzeugt. Die dominante Gutsverwalterin Suza war an diesem Abend erstmals die in Kroatien geborene, in Wien aufgewachsene und ausgebildete Mezzosopranistin Andrea Purtic , auch sie ein erfolgversprechendes Mitglied des Opernstudios. Die großgewachsene elegante Bühnenerscheinung passt sehr gut zu dieser Rolle. Ihre schlanke, technisch sauber geführte Stimme überzeugt durch erfreuliche Wortdeutlichkeit – vielleicht könnte man sich für diese Partie ein dramatischeres, ein „saftigeres“ Timbre wünschen – wie auch immer, Purtic bot eine sehr solide Leistung. Beiden Figuren wurden als grotesk-plastische Charaktere durch überzeugende szenische und choreographische Führung zu den Drahtziehern des Stücks.

Und zu diesen beiden Paaren kamen zwei „Ur-Österreicher“ mit großer Opern- und Operettenerfahrung. Der siebzigjährige KS Josef Forstner war eine ideale Baron- und Vaterfigur. Er verstand es sehr gut, die Balance zwischen übertriebener Komik und berührend-einfältiger Ehrlichkeit zu wahren – und noch dazu hatte er im Dialog die rechte altösterreichische Sprechfärbung. Der Kavalierbariton Mathias Hausmann (Leipzigs Graf, Wolfram und Orest) gab erstmals in dieser Produktion den eitel-aufgeblasenen Grafen Staschek. Hausmann kannte das Stück bereits, war er doch in der Münchner CD-Produktion der Casimir. Nun konnte er als Graf seine nobel-virile Stimme wirkungsvoll in Szene setzen – und berührte letztlich als alternder Casanova in der elegischen Schlussszene. Die kleineren Rollen waren durchwegs adäquat besetzt und mögen sich mit einem Pauschallob begnügen. Chor (Einstudierung: Georgi Mladenov) und Ballett (Choreographie: Simon Eichenberger) ergänzten ausgezeichnet und die Grazer Philharmoniker spielten unter der animierenden Leitung von Marius Burkert schwungvoll. Da ist allerdings ein Wermutstropfen nicht zu verschweigen: wie es heute allgemein in Operetten- und Musicalproduktionen üblich ist, war alles (Solisten, Chor und Orchester) elektronisch verstärkt und zu einem recht undifferenzierten Einheitsklang gemischt, ja eigentlich verfälscht. Damit wurde zwar ein üppiges Klangbild nach der Art eines amerikanischen Breitwandfilmes erzielt, aber die Individualität der guten Stimmen ging verloren – schade!

Um zu Anfang meines Berichtes zurückzukommen – nämlich zum angekündigten New Year’s Eve bash: Bei Silvesteraufführungen ist es Theater-Usus, Überraschungen für das Publikum einzubauen – und so schob man nach dem Hit des ausgelassenen Ragtime-Duetts „Katzenaugen“ plötzlich ein Klavier auf die Bühne. Es erklang das Rossini zugeschriebene Katzenduett – diesmal aufgeteilt auf drei Duo-Paare – ein sehr netter und unaufdringlicher Gag, der freundlichen Beifall fand.

Das Publikum im ausverkauften Haus spendete lebhaften Beifall und feierte alle Protagonisten. Da trat dann zuletzt auch noch Intendantin Nora Schmid auf die Bühne, wünschte gemeinsam mit dem Ensemble dem Publikum ein gutes neues Jahr und lud alle zu einem Glas Sekt in das Foyer ein. Das wurde gerne angenommen – das Publikum konnte animiert ein neues Opernjahr begrüßen – die nächste Premiere der Oper Graz erwartet uns mit Flotows Martha schon am 12.Jänner!

Hermann Becke, 1. 1. 2019

Szenenfotos: Oper Graz, © Werner Kmetitsch

Hinweise:

Bis März 2019 noch 7 weitere Vorstellungen – dazu postete der Musikverlag Doblinger stolz auf Facebook: Die Operetten-Vorstellungen am 16.1. und 18.1. werden vom ORF aufgezeichnet, am 18.1. wird live auf „Fidelio“ gestreamt! Die TV-Ausstrahlung auf ORF III erfolgt im März 2019. Wir sind begeistert! Vielen Dank an Barbara Rett (ORF), Intendantin Nora Schmid (Oper Graz), Georg Hainzl (Fidelio) sowie an ORF III und an das ganze Team & Ensemble der Oper Graz für das Ermöglichen dieses weiteren Meilensteins für diese grandiose Operette & Inszenierung!

– Sieben – Minuten – Video der Produktion

– Münchner CD-Produktion aus dem Jahre 2015 unter Ulf Schirmer