Graz: „Salome“

Premiere am 10. 11. 2018

Psychedelische Video-Kühle

In Wikipedia ist zu lesen Psychedelisch bezeichnet einen durch den Konsum von Psychedelika, aber auch mittels geistiger und ritueller Praktiken (etwa Trancetanz oder Meditation) erreichbaren veränderten Bewusstseinszustand. Dieser ist unter anderem durch die teilweise oder komplette Aufhebung der Grenzen zwischen Selbst und Außenwelt sowie das zeitweilige Transzendieren von Alltagsbewusstsein und Alltagserfahrung charakterisiert.

Das wird wohl ein Ausgangspunkt für das Szenische Leading-Team um die Regisseurin Florentine Klepper für diese Salome-Premiere gewesen sein. Man kennt dieses Team in Graz gut – mit einer sehr eindrucksvollen Inszenierung von Schrekers Der Ferne Klang im Jahre 2015 und mit einer nicht recht geglückten Norma im Jahre 2017.

Die Idee für die aktuelle Salome-Produktion ist weder neu noch sonderlich originell:

Das Stück spielt in einer modernen Villa, die durch verschiebbare Glaswände geschickt in Innenraum und Terrasse verwandelt werden kann. Die männlichen Party-Gäste vergnügen sich mit in scheußlich-knappe Plastikdressen gezwängten Damen, Security-Personal mit Pistolen ist omnipräsent. Alle bedienen sich hin und wieder aus dem beim Öffnen der Tür Qualm verbreitenden Kühlschrank offensichtlich mit Drogen. Salome im weißen Partykleidchen irrt mit üppig-blonder Haarpracht, grellen rot-weißen Stiefeln, Kopfhörern und mit sich selbst und ihre Umgebung narzisstisch bespiegelnder Videokamera durch die Szenerie.

Dem Publikum wird simplifizierend vermittelt: eine desorientierte Gesellschaft, deren politische, religiöse und moralische Werte im Umbruch sind (so die Regisseurin im Programmheft). Diese kühl-distanzierte Szenerie wird zusätzlich durch Video-Sequenzen überlagert. So beginnt das Stück im völlig abgedunkelten Haus nicht mit Richard Strauss – nein, es wird ein Video, Salome zeigend, vorgeschaltet, das mit pulsierenden elektronischen Klängen unterlegt ist (offenbar das im Programm gesondert ausgewiesene Sound-Design Intro). Erst dann wird es im Orchestergraben hell, und es erklingt der geniale musikalische Einfall des einleitenden schwirrenden Klarinetten-Laufs, der in das Pianissimo der Flöten, Oboen, gedämpften Trompeten und der tremolierenden 2. Violinen mündet. Damit ist von Beginn an die Musik im Hintertreffen gegenüber den überreichen optischen Eindrücken, die immer wieder von der Musik ablenken und sie dominieren. Das gewählte szenische Konzept wird konsequent durch alle Szenen durchgezogen – es ist eine brutale, blutige Bilderfolge, der man zwar gespannt folgt, die aber nie berührt. Der Tanz der Salome ist für die Regisseurin eine Chiffre für Rituale weiblicher Erniedrigung, ein Platzhalter für tief in uns verwurzelte Zerrbilder von Weiblichkeit quer durch verschiedene Kulturen und Religionen. Salome tanzt nicht, sondern in einem Video werden Assoziationen zu diesen Gedanken der Regisseurin vermittelt – ein wahrhaft untheatralisches Element, das die großartige Musik in ihrer ekstatischen Steigerung nicht zur Wirkung kommen lässt und die im Stück angelegte Spannung zwischen Herodes und Salome völlig vernachlässigt. Meiner Meinung nach war dies ein besonderer Schwachpunkt dieser Inszenierung. Übrigens gab es vor 2 Jahren eine Salome-Produktion des Stadttheaters Klagenfurt, die erst vor kurzem den Österreichischen Musiktheaterpreis 2018 als beste österreichische Opernproduktion verliehen bekam. Die Klagenfurter Produktion war ebenfalls in der Gegenwart angesiedelt, hatte sogar ein ähnliches Bühnenbild und fand gerade für Salomes Tanz eine packende und überzeugende Lösung. Die Beurteilung von Opernproduktionen kann nicht auf Vergleiche verzichten – also sei es ausdrücklich gesagt: die Klagenfurter Produktion war meiner Überzeugung nach szenisch der Grazer Produktion deutlich überlegen!

In Graz bleiben die handelnden Personen bloße Kunstfiguren mit einem recht stereotypen Gestenrepertoire – einzig die Salome von Johanni van Oostrum erreicht (erst) in ihrem Schlussgesang eigenständiges und damit glaubhaftes und anrührendes darstellerisches Profil.

Erfreulicher Weise war die Grazer Premiere in musikalischer Hinsicht eine Aufführung auf hohem und zu Recht vom Publikum einhellig mit großem Beifall gewürdigtem Niveau.

Der erfahrene deutsche Heldenbariton und Jochanaan-erprobte Thomas Gazheli überzeugte mit stimmlicher Wucht. Allerdings war er durch die Regie angehalten, einen hektischen Eiferer zu mimen. Das mag zu der Äußerung von Richard Strauss gegenüber Schreker passen: lauter perverse Leute, und, nach meinem Geschmack, der perverseste der ganzen Gesellschaft ist – der Jochanaan. Aber der heftig gestikulierende Exzentriker passt so gar nicht zur unnahbaren Prediger-Figur mit den breiten hymnenhaften Phrasen, für die man sich auch ein wenig mehr warmaufblühendes Pathos gewünscht hätte anstelle des an Alberich erinnernden Charaktertimbres. Pavel Petrov als Narraboth verbreitete den von ihm zu erwartenden tenoralen Wohlklang. Seit dieser Saison neu im Grazer Opernstudio ist die deutsche Mezzosopranistin Mareike Jankowski, die als Page mit schönem Stimmmaterial aufhorchen ließ. Iris Vermillion überzeugte als dominant-grelle Herodias – man versteht, dass sie mit dieser Rolle bereits an der Wiener Staatsoper eingeladen war und demnächst auch an der Met in New York gastieren wird. Das seit Jahrzehnten bewährte Ensemblemitglied Manuel von Senden war ein überaus wortdeutlicher, schäbig-herabgekommener Herodes.

Auch alle kleineren Rollen waren adäquat und präzise besetzt (siehe am Ende das genaue Rollenverzeichnis) – auch wenn sie in ihrem Charakter anders als gewohnt gestaltet waren. Zum Beispiel wandelten sich die Partygäste im Anzug – wie es sich heute auf jeder feuchtfröhlichen Veranstaltung als Partyeinlage am Buffet abspielen könnte (Zitat der Regisseurin) – zu Juden und Nazarenern. Sie waren also nicht die vorgesehenen Figuren, sondern sie verkleideten sich gleichsam erst in Partylaune zu diesen. So torkelt der 2. Nazarener mit einem Weinglas in der Hand – und die Juden bedecken sich gegenseitig mit Kippa-artigen Kopfbedeckungen und versuchen, sich die typischen Schläfenlocken anzuheften. Verständlich, dass diese „Juden“ nicht reagieren, als Herodes Salome den Vorhang des Allerheiligsten anbietet. Ernstgenommene religiöse Werte existieren in dieser Inszenierung nicht mehr.

Die zentrale Figur war unbestreitbar die Südafrikanerin Johanni van Oostrum, die in Graz ihre erste Salome sang. Man hatte sie in Graz schon vor drei Jahren in Schrekers Der Ferne Klang als sehr sympathische Sängerin schätzen gelernt. Sie wurde bei ihrem Rollendebut am Ende vom Publikum einhellig umjubelt. Sie bewältigte die exponierte Partie mit sicherer Technik, glänzenden Spitzentönen und sehr schönen Pianophrasen ausgezeichnet, wenn man auch zu Beginn einige leichte Schwierigkeiten registrieren konnte beim bruchlosen Spannen der großen Strauss-Bögen. Aber sie steigerte sich im Laufe des Abends zu einer großen stimmlichen Leistung. Darstellerisch fehlte ihr ein wenig das Zwiespältig-Verderbte – das versteht man, sieht man sich ihre bisher gestalteten „hellen“ Partien in operabase an: Contessa Almaviva, Eva, Elsa, Chrysothemis, Marschallin… Aber in der Schlussszene beindruckte sie darstellerisch und stimmlich vollends. Am Ende des großen Salome-Monologs ruft Herodes aus einer Proszeniumsloge sein Man töte dieses Weib! Niemand folgt dieser Aufforderung – stattdessen bleibt Salome am Boden blutbeschmiert liegen – ein Double erscheint hinter einem Gazevorhang und hat einen Salome-Kopf mit blonden Haaren in der Hand. Auch dieser Schluss bleibt daher im Plakativen stecken…

Zu den positiven Eindrücken des Abends zählt unbedingt auch die Leistung der Grazer Philharmoniker unter seiner Chefdirigentin Oksana Lyniv. Nach den Empfehlungen von Strauss an den „jungen Kapellmeister“ soll die Welt Mendelssohns in ihrer ganzen Sinnlichkeit wach werden: „Dirigiere „Salome“ und „Elektra“ als seien sie von Mendelssohn: Elfenmusik“ (Aus: Zehn goldene Regeln. Einem jungen Kapellmeister ins Stammbuch geschrieben, 1925). Dieser Empfehlung ist Oksana Lyniv durchaus eindrucksvoll gefolgt. Speziell zu Beginn des Abends sorgte sie für eine ideale Klangbalance zwischen Orchester und Bühne – das war sehr schön durchsichtig und „durchhörbar“. Die gewaltigen Orchesterausbrüche waren kräftig akzentuiert und stets kontrolliert. Wenn man etwas anmerken darf: die warm-sinnlich aufblühenden hohen Streicherphrasen fehlten manchmal ein wenig – aber vielleicht waren auch nicht 16 erste, 16 zweite Geigen und 10 -12 Bratschen verfügbar, wie es sich Richard Strauss gewünscht hatte….

Musikalisch war es jedenfalls ein großer Abend der Grazer Oper – der Beifall am Ende war zwar kurz, aber intensiv mit vielen Bravorufen – und in den Beifall wurde auch die szenische Umsetzung einbezogen.

Hermann Becke, 11. 11. 2018

Fotos: Oper Graz, © Werner Kmetitsch

Credits

Musikalische Leitung: Oksana Lyniv (Nov: 15, 25, Dez: 1, 9, 12); Marius Burkert (Dez: 14, 19, Jan: 30, Feb: 2, 8)

Inszenierung: Florentine Klepper

Bühnenbild: Martina Segna

Kostüme: Adriane Westerbarkey

Licht: Reinhard Traub

Video: Heta Multanen

Dramaturgie: Marlene Hahn/Jörg Rieker

Herodes: Manuel von Senden

Herodias: Iris Vermillion

Salome: Johanni Van Oostrum

Jochanaan: Thomas Gazheli (Nov: 15, 25, Dez: 1, 9, Jan: 30, Feb: 2, 8); Wilfried Zelinka (Dez: 12, 14, 19)

Narraboth: Pavel Petrov

Ein Page: Mareike Jankowski

1. Jude: Roman Pichler

2. Jude: Martin Fournier

3. Jude: Albert Memeti

4. Jude: Mario Lerchenberger

5. Jude: Martin Simonovski

1. Nazarener: Neven Crnić

2. Nazarener: Dariusz Perczak

1. Soldat: David McShane

2. Soldat: Konstantin Sfiris

Ein Cappadocier: Dariusz Perczak

Ein Sklave: Martin Fournier

10 weitere Vorstellungen bis Februar 2019

Und hier ein interessanter Buchtipp zur Grazer österreichischen Erstaufführung der Salome im theater- und sozialgeschichtlichen Kontext. Die österreichische Erstaufführung der Salome an der Wiener Hofoper, um die sich Gustav Mahler bemüht hatte, wurde auf Betreiben der Kirche durch die Zensur verhindert. So kam es in Österreich nach der Dresdner Uraufführung erst im Mai 1906 zur österreichischen Erstaufführung – und zwar an der Grazer Oper. Das war ein denkwürdiger Abend! Richard Strauss dirigierte selbst und im Publikum saßen seine illustren Kollegen Berg, Mahler, Schönberg, Puccini und Zemlinsky. Angeblich war auch der 17-jährige Adolf Hitler auf dem Stehplatz dabei……