Köln: „L’amour de loin“, Kaija Saariaho

Premiere: 24.10.2021, besuchte Vorstellung: 27.10.2021

Betörende Langweile

TRAILER

Der Begriff der „Liebe aus der Ferne“ mag in Zeiten Coronas ein Dogma sein, dass wir Dank Abstandsregeln und Besuchsverboten in unseren Köpfen präsenter haben, als es uns lieb ist. So mag der Titel der fernen Liebe, die letztlich nichts anderes als eine unbändige Sehnsucht ist, als Titel der nun in Köln zu erlebender Oper der finnischen Komponistin Kaija Saariaho hohe Aktualität suggerieren, was jedoch ein Trugschluss ist, denn das im Jahr 2000 uraufgeführte Werk fußt auf einer historischen Vorlage. Worum geht es? Vorlage ist die Geschichte des aquitanischen Troubadours Jaufré Rudel, dessen Wirken im 12. Jahrhundert verortet wird. In Saariahos Oper träumt dieser von einer fernen Geliebten, er beschreibt diese als Inbegriff von Schönheit, Tugendhaftigkeit und Reinheit, dass man ihn verspottet. Ein Pilger, der dies belauscht, verrät ihm, er habe genau diese Frau in Tripolis gesehen. Rudel begibt sich auf eine Reise über das Meer, an deren Ende eine Begegnung steht, die zugleich Rudels Lebensende ist. Man mag sich bei der Sonderlichkeit der Beziehung durchaus an Debussys „Pelleas“ oder gar Wagners „Tristan“ erinnert fühlen.

Saariahos Musik ist freilich eine ganz andere. Man beschreibt die 1952 in Helsinki geborene Saariaho immer wieder als Klangmagierin und die Bezeichnung ist ein nur allzu passendes Attribut. Voller Farbe, Vielfalt, voll sprühender Einfälle ist die Musik. Dabei setzt sie den gerade mal drei agierenden Personen auf der Bühne ein wahrhaftes Riesenorchester entgegen – elektronische Klänge ergänzen die analogen Klänge. Es entsteht eine schwelgerische, eine rauschhafte Musik, die sich in der Weichheit Debussys verliert, aber auch atonale Schroffheit nicht scheut. Immer wieder flackern Anklänge an mittelalterliche Troubadourklänge auf – allen Musikern auf der Bühne und im Orchester wird Großes abverlangt. Constantin Trinks beweist hier am Pult des Gürzenich-Orchesters eine sichere Hand und bringt Saariahos Musik zum Leuchten. Man kann die Leistung des Orchesters, des Chores und natürlich der drei Solisten nicht hoch genug loben. Denn – das muss man "L’amour de Loin" attestieren – der Stoff ist langweilig. Faszinierend ist aber das Gesamtergebnis. Die inneren Monologe, die Dialoge – all das ist wenig interessant, verfügt über keinerlei Spannung und man verliert schnell das Interesse sich mit den Figuren, deren Streben und Sein ohnehin wenig nachvollziehbar ist, zu befassen. Das ist schade und man müsste dieses Werk wahrlich nicht spielen, wäre da nicht die betörende Musik Saariahos. Das mag paradox klingen, denn natürlich ist Oper immer ein Gesamtkunstwerk, doch selten hat man ein so eklatantes Auseinanderdriften zwischen brillanter Musik und so unerträglich langatmigem Wortgeklingel, so blutleeren Figuren und nichtssagendem Handeln erlebt.

Regisseur Johannes Erath und Bühnenbildner Bernhard Hammer haben in ihrer Konzeption, deren bauliche Anordnung etwas sehr Installatives hat, den Tücken des Stückes durchaus Rechnung getragen. Das Orchester ist die gesamte Zeit sichtbar, ebenfalls der Chor, der neben dem Orchester sitzt. In dieser enormen Masse musizierender Menschen befinden sich zur linken ein Kubus, der Ort Jaufré Rudels. Wie ein geschwungenes, gewelltes Floß dreht sich zur rechten der Ort der Gräfin. im Hintergrund suggerieren gewölbte Spiegelflächen glitzerndes Wasser. Das ist alles wunderbar gedacht, stellt das Stück die Regie doch eben vor die Frage, wie eben die Distanz der Liebenden zu behandeln, zu visualisieren ist. Erath greift hier zu Doppelgängern die zur menschlichen Projektionsfläche der Figuren werden. Ob das hilfreich ist oder mehr verwirrt sei, dahingestellt, denn eins ist doch beachtlich: so sehr sich die drei exzellenten Darsteller mühen – der Star des Abends ist und bleibt das riesige, omnipräsente Orchester. Und so entgleitet dem Zuschauer die Handlung immer mehr, das Interesse an den Figuren löst sich auf, aber was bleibt ist ein fasziniertes Beobachten des Orchesters, ein Abtauchen in die Klangwelten dieser magischen Partitur.

Es wäre unfair nicht noch etwas genauer auf die Singenden einzugehen. Die etwas unter drei Stunden dauernde Vorstellung wird von gerade einmal drei Solisten bestritten. Man mag sich vorstellen, welch umfangreiche Partien dies zur Folge hat. Holger Falk zeigt in der Rolle des Jaufré Rudel einmal mehr, dass er ein Fachmann für Neue Musik ist. Souverän manövriert er seinen wohlklingenden Bariton durch die höchst anspruchsvolle Partie. Weich und warm klingt bei ihm das Sehnen nach der fernen Angebeteten, sehr wohl ist aber auch etwas mehr Stahl in der Stimme, wenn es darum geht sich gegen das üppig besetze Orchester zu behaupten – dennoch, Wohlklang und ein höchstes Maß an Textverständlichkeit sind ihm zu eigen. Als Gräfin Clémence steht ihm Emily Hindrichs zur Seite, die ebenfalls eine hervorragende Leistung liefert. Die junge Sängerin zeigt in dramatischen, wie lyrischen Passagen, dass sie ihre Stimme exzellent zu führen weiß, einzig, wenn die Komponistin ihr in den Höhen das ein oder andere forte abverlangt, büßt sie an Klangschönheit für kurze Momente etwas ein und schießt über das Ziel hinaus. Auch Katrin Wundsam als Pilger ist eine perfekte Besetzung diese Partie. Stimmlich einwandfrei und mit hoher Agilität meistert sie alle Klippen dieser Rolle.

Der Chor unter der Leitung von Rustan Samedov ist nicht nur dramatisch, sondern quasi instrumental eingesetzt. So ist die Positionierung am Orchester durchaus sinnvoll. Mal sind es hauchfeine ätherische Vokalisen im Sopran, mal ein Flüstern, ein Zischen, ein Summen und Singen – es ist begeisternd, mit welcher Vielfalt an Klangfarben Saariaho den Chor einsetzt und über ein „normales“ Maß einsetzt und mit welch beeindruckender Kraft und Genauigkeit der Kölner Opernchor sich der Aufgabe annimmt.

Was am Ende dieses Abends bleibt ist letztendlich ein durchwachsener Eindruck. Das Stück an sich ist sicherlich problematisch, was alle Beteiligten daraus gemacht habe ist aber ein musikalisches Erlebnis.

Anmerkung: Die Partie des Pilgers singen alternierend Katrin Wundsam und Adriana Bastidas-Gamboa

Sebastian Jacobs, 30.10.2021

Die Fotos stammen von © Paul Leclaire

Redaktions P.S.

Hier gibt es für die echten wahren und leidensfähigen Opernfreunde die gesamte Oper – Aufführung der Finnischen National Oper – mit einer ertäglichen, überlebensfähigen Länge von gut zwei Stunden – YOUTUBE sei Dank. 😉
P.B.