Leipzig: „Undine“, Albert Lortzing

In einer Dekoration, in der man alles und nichts spielen kann, verorten Regisseur Tilmann Köhler und Bühnenbildner Karoly Risz Albert Lortzings Romantische Zauberoper Undine“ an der Oper Leipzig. Auf der Drehbühne steht eine hohe Treppentribüne, auf deren Stufen oder vor ihrer hinteren Wand die Aktionen stattfinden. Die öde, phantasielose Szene entbehrt jedes romantischen Zaubers, besitzt weder lokales Kolorit noch einen zeitlichen Bezug auf die um 1450 angesiedelte Handlung in vier Aufzügen. Es wird auch kein einziger Schauplatz des Geschehens bedient, also sieht man keine Fischerhütte am See, keine Halle im Schloss, keine Landschaft nahe der Burg, auch nicht deren Hof und Festsaal. Einzig für die Hochzeitsfeste von Ritter Hugo mit Undine und später Bertalda, wo der Chor auf der großen Treppe die Paare links und rechts einsäumt, mag die Bühnenlösung funktionieren.

Kühleborn (Mathias Hausmann) tröstet Undine (Olga Jelínková), Bertalda (Olena Tokar) und Hugo (Matthias Stier) im Hintergrund © Kirsten Nijhof

Zur deprimierenden Optik tragen auch die scheußlichen Kostüme in wüstem Stil-Mix von Susanne Uhl bei. Sportanzüge und Billigklamotten sieht man neben Kleidern in geblümten Mustern oder aus Spitze und Lurex. Undines Gewänder, zuerst weiß und später blau, sind von schlichter Eleganz, ohne das übernatürliche Wesen der Figur zu verdeutlichen. Der Regisseur schildert bei seinem Hausdebüt auch die Vorgeschichte der Handlung, zeigt den Fürsten der Wassergeister Kühleborn mit seiner Tochter, der kleinen Undine, die er Tobias und Marthe, einem Fischerehepaar, überlassen hat, nachdem er deren Kind Bertalda entführt und dem Herzog anvertraut hat. Köhler gelingt es nicht, den Spannungsbogen zwischen den gesprochenen Dialogen und den Gesangsnummern aufrecht zu erhalten. Das beeinträchtigt sogleich den 1. Aufzug mit Ritter Hugo und seinem Knappen Veit sowie Tobias (Sejong Chang) und Marthe (Karin Lovelius), zumal die Dialoge unter dem starken Akzent der Interpreten leiden. Dan Karlströms in der Höhe limitiertem Tenor fehlt es für den Veit an buffonesker Beweglichkeit. Im 3. Akt fällt ihm mit „Vater, Mutter, Schwestern, Brüder“ eine der berühmtesten Nummern des Werkes zu, die er angemessen liedhaft vorträgt. Das Duett im 4. Aufzug mit dem Kellermeister Hans (Peter Dolinsek szenisch präsent und vokal markant) lebt von der vitalen Aktion und beider munterem Gesang, wie auch der Zwiegesang mit Hugo „Im Wein ist Wahrheit nur allein. Matthias Stier in weißem Golfplatz-Outfit singt den Ritter mit potentem Zwischenfachtenor. Seine erste Romanze, „Ich ritt zum großen Waffenspiele“, geht er beherzt an und findet in der Arie zu Beginn des 4. Aufzuges, „Mir schien der Morgen aufgegangen“, zu kantablem Wohllaut, gerät im vehementen Schlussteil aber an Grenzen, die sich in gequälten Spitzentönen offenbaren. Mathias Hausmann ist ein imposanter Kühleborn von stattlicher Statur und eleganter Aura. Er erscheint in mehrfacher Verkleidung – als Pater Heilmann im weißen Ornat, der Undine und den Ritter Hugo traut, und als Diplomat des Königreiches Neapel, der in abenteuerlichem Outfit im Gefolge Bertaldas auftritt. Der resonante Bariton könnte für den Wasserfürsten noch mehr dämonische Schwärze haben, doch ist sein Gesang „Nun ist’s vollbracht“ am Ende des 3. Aufzugs besonders klangvoll.

Dan Karlström (Veit, oben), Peter Dolinšek (Hans) © Kirsten Nijhof

In der Premiere am 29.10.2022 gab es wegen Erkrankung mehrere Umbesetzungen, so auch in der Titelrolle, die nun von Olga Jelinková wahrgenommen wurde. Ihr Sopran wirkte anfangs etwas kleindimensioniert und entbehrte der lyrischen Fülle. In der großen Arie des 2. Aktes, „So wisse, dass in allen Elementen“, hört man jedoch mehr klangliche Valeurs und auch zarte Nuancen, im jubelnden Schlussteil „Ich bin beseelt!“ strahlende Ausbrüche. Problemfall der Besetzung ist Olena Tokar als Bertalda, die sich zwar gewandt bewegt, mit ihrem in der Höhe schrillen Sopran und schneidend scharfen Spitzentönen aber für akustisches Unbehagen sorgt.

Glänzend präsentiert sich der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint), der vom Regisseur zu oft an der Rampe platziert wird. In einer Jagdszene zu Beginn des 3. Aktes singt er „Auf, ihr Zecher!“ inmitten von auf dem Boden liegenden Bierdosen. Bei der Hochzeit von Hugo und Bertalda lässt er mit „Füllt die Pokale!“ das Paar hoch leben. Doch dessen Liebesglück ist nur von kurzer Dauer, denn unter Blitzen und Donnergrollen wird die Burg von eindringenden Wasserfluten zerstört. Alle versinken unter effektvollem Einsatz der Unterbühne in das Reich des Wassergeistes, auch Hugo, der auf ewig dort verbleiben muss. Hat das Regieteam auf jeden romantischen Zauber verzichtet, so ist dieser wenigstens im Spiel des Gewandhausorchesters zu erleben.

Olga Jelínková (Undine) und Matthias Stier (Hugo) © Kirsten Nijhof

Unter Leitung von Christoph Gedschold lässt es ein farbenreiches Klangbild mit vielen Schattierungen und wunderbaren instrumentalen Feinheiten hören. Das Publikum honorierte dies mit begeisterter Zustimmung, doch brachte es auch seinen Unmut über die Inszenierung zum Ausdruck. Lortzings 1845 Magdeburg uraufgeführte Zauberoper war erstmals in Leipzig zu sehen und bildet den Auftakt für einen geplanten Zyklus mit Werken des Komponisten.

Bernd Hoppe, 1. November 2022


Albert Lortzing Undine“ / Premiere am 29. Oktober 2022

Oper Leipzig

Inszenierung: Tilmann Köhler

Musikalische Leitung: Christoph Gedschold

Gewandhausorchester

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