Lüttich: „Don Carlos“, Giuseppe Verdi

Premiere: 30. Januar 2020

Fünfaktige französische Fassung

Solch ein Ausstattungsspektakel wie bei der Inszenierung von Verdis „Don Carlo“ im belgischen Liege bekommt man in Deutschland höchstens zu sehen, wenn die Opernhäuser in Berlin, Hamburg oder München eine Produktion zeigen, die sich seit 30 oder 40 Jahren im Repertoire befindet. Bühnenbildner Gary Mc Cann, der schon bei „Anna Bolena“ auf optische Überwältigung setzte, führt dieses Konzept nun fort.

Drei verschiebbare Bühnenelemente dienen als Palastfassade, gewendet zeigen sie einen Umgang mit Galerie. Acht verschiedene Bühnenbilder erschafft Mc Cann so und bei jedem Umbau ist man gespannt, wie der nächste Raum, aussehen wird. Im Kloster von San Yuste gibt es zusätzlich eine Statue Karls V. In der Gartenszene stellt der Ausstatter sogar einen großen Brunnen mit echten Fontänen auf die Bühne, und Landschaftsprojektionen sorgen für zusätzliche Atmosphäre.

Im deutschen Sprachraum ist Mc Cann bisher nur durch die Ausstattung für zwei missglückte Produktionen der Wiener Staatsoper („Macbeth“ und „Freischütz“) aufgefallen, aber seine Arbeiten für Liege lassen staunen. In den nächsten Jahren wird Gary Mc Cann vor allem für die niederländische Reisopera tätig sein. Im Kölner Musical Dome ist im März 2020 die von ihm ausgestatte „Saturday Night Fever“-Produktion zu sehen.

Gary Mc Canns Bühnenbilder würden reine starke Regie benötigen, doch Stefano Mazzonis di Pralafera beschränkt sich auf statische Arrangements, bei denen die Sängerinnen und Sänger bequem singen können. Gelegentlich gibt es kleine Regieeinfälle: Wenn König Philipp vor seiner großen Arie noch einen Windhund tätschelt, lenkt das von der Musik ab, weil jeder Zuschauer gespannt ist, wie das Tier reagiert. Wenn Prinzessin Eboli in der gleichen Szene dem König die Kassette mit den Schriftstücken Carlos überreicht und dann in einen langen Kuss mit dem König versinkt, profiliert das die Eboli. Gleichzeitig versäumt es die Regie Eboli aber als Anführerin des Aufstandes in der Gefängnisszene zu zeigen.

Beim Autodafé-Szene verschenkt die Regie den politischen Gehalt der Szene: Die Ketzer, die in großen Käfigen zu ihrer Verbrennung gefahren werden, wirken sehr gelassen. Die flandrischen Gesandten präsentieren sich als brave Untertanen. Wenn der Großinquisitor von zwei Statisten mit Down-Syndrom auf die Bühne geführt wird, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden, ob dies eher eine Integration oder Vorführung der beiden Kleindarsteller ist.

In Liege ist erstmals die fünfaktige französische Version des „Don Carlos“, welche Grundlage der Pariser Proben war, zu sehen, was zu einer Spieldauer von vier Stunden und vierzig Minuten führt. Paolo Arrivabeni leitet eine Aufführung, in der das Orchester sehr plastisch erklingt, er entlockt der Partitur aber nicht nur düstere Farben, sondern auch viele aufgehellte lyrische Momente voller Hoffnung.

Den Carlos singt Gregory Kunde mit einem kräftigen und farbenreichen Tenor, der über viele kultivierte Zwischentöne verfügt. Er ist kein jugendlicher Prinz, sondern wirkt optisch eher wie ein Onkel des Königs. Den Philipp singt Ildebrando d´Arcangelo mit mächtigem Bass, der sowohl die bedrohlichen als auch lyrischen Seiten der Rolle lebendig macht. Mit warm strömenden Bariton gestaltete Lionel Lhote den Marquis Posa.

Yolanda Auyanet wird als indisponiert angekündigt, singt aber eine klangvolle und dramatische Königin Elisabeth. In der Rolle der Eboli verfügt Kate Aldrich über einen hellen und klaren Mezzo, der in der Höhe jedoch schneidend wird. Mit dunkler Bassgewalt singt Roberto Scandiuzzi den blinden Großinquisitor.

Die Oper in Liege bietet in der aktuellen Saison noch mehr Verdi: Neben der Mega-Rarität „Alzira“ (ab 17. April) gibt es noch ein Wiedersehen einer „Nabucco“-Inszenierung von 2016 (17. Juni).

Rudolf Hermes, 2.2.2020

Bilder (c) ORW