Vorstellung am 30.04.2022
Nicht zuletzt die Aussicht und das Versprechen, hier in Zürich Wagners Monumentalwerk DER RING DES NIBELUNGEN einstudieren und leiten zu dürfen, haben Gianandrea Noseda wohl gelockt, das Amt des Gerneralmusikdirektors am Opernhaus Zürich anzunehmen. Gestern Abend nun feierte der Vorabend zu Wagners Bühnenfestspiel, DAS RHEINGOLD, seine heftig applaudierte Premiere. Mit straffen Tempi führte Noseda durch den pausenlosen Abend, ihm gelang eine ungemein differenzierte, farbenreiche Lesart der Partitur. Die Philharmonia Zürich hatte einen ganz grossen Abend, meisterte die heiklen Einsätze des Blechs mit Bravour, liess feine Kantilenen der Holzbläser aufschimmern und begeisterte mit satter Streichergundierung. Das Orchester agierte im besten Sinne "beredt", wusste viel und hoch Spannendes zu erzählen. Dabei war Noseda stets sehr bedacht auf die Dynamik. Das konnte durchaus laut werden, aber nie die Sänger in Bedrängnis bringen, eine herausragende Balance und Transparenz des Gesamtklangs waren garantiert.
Nun hatte die Produktion natürlich auch Künstler auf der Bühne zur Verfügung, dennen es an stimmlicher Durchschlagskraft nicht mangelte. Allen voran der Wotan erfahrene Tomasz Konieczny, welcher dem Göttervater seinen klanggewaltigen Bassbariton lieh. Seine gestalterische Durchdringung des Textes war phänomenal, ja geradezu exemplarisch. Darin stand ihm seine Gemahlin Fricka in nichts nach: Patricia Bardon gelang ein vielschichtiges Porträt (Rollendebüt) dieser auf die Einhaltung von Regeln bedachten, strengen (aber den Verlockungen des Reichtums auch nicht abgeneigten) Frau. Die Publikumsherzen flogen dem durchtriebenen Feuergott Loge von Matthias Klink zu, welcher sich mit stimmlicher und körperlicher Agilität als magischer Strippenzieher entpuppte. Aufhorchen liess die von Wotan an die Riesen in einem Vertrag verschacherte Göttin Freia: Kiandra Howarth gelang ein grossartiges Rollendebüt, da kündigt sich im höhensicheren, blühenden Sopran bereits eine zukünftige Sieglinde an. Jordan Shanahan (Donner) und Omer Kobiljak (Froh) mit ihren Cricketschlägern ergänzten vortrefflich die von der Regie als ziemlich deppert präsentierten Götter.
Wotans Gegenspieler ist der Nachtalbe Alberich. Der Bariton Christopher Purves debütierte mit fantastischer Bühnenpräsenz und dramatisch gestaltender Interpretation der umfangreichen, sehr textlastigen Partie. Schon für Sänger mit deutscher Muttersprache ist das Zurechtfinden in und Memorieren von Wagners Stabreim Ergüssen äusserst anspruchsvoll. Wie muss das erst für Sänger mit anderer Muttersprache sein. Deshalb Hut ab vor Purves‘ intelligenter Gestaltung der schwierigen Partie, in der er sich auch nicht scheute, hässliche Töne zu intonieren. Der Mime gehört zu den zentralen Rollen in Wolfgang Ablinger-Sperrhackes Repertoire, sein Auftritt im dritten Bild als von seinem Bruder Alberich versklavter Schmied zeugte von seiner grossen Rollenerfahrung; er begeisterte mit seiner klaren Diktion und der gekonnt ausgeführten, spitz-scharfen Tongebung. Man freut sich schon auf den ersten Akt von SIEGFRIED in der nächsten Saison, in dem der Mime dann zu einer richtig grossen Partie wird. David Soar (Fasolt) und Oleg Davydov (Fafner) porträtierten die beiden Riesen mit beinahe schon zu klangschön geführten Bassstimmen. Ihre Dialoge, Drohungen und das Gezänk dürften ruhig ein bisschen polternder und bedrohlicher klingen. Wunderbar frisch, verspielt und grossartig harmonierend klangen die drei Rheintöchter: Uliana Alexyuk (Woglinde), Niamh O’Sullivan (Wellgunde) und Siena Licht Miller (Flosshilde) machten als barfüssige, platinblonde Marylin-Kopien (die Idee, jede sexy-verführerische Frau als Monroe Verschnitt auf die Bühne zu bringen, erscheint mir ziemlich ausgelutscht) in den weissen Seidenpyjamas gute Figur. Der Erda von Anna Danik fehlte irgendwie die klanglich dunkle Stimmfarbe einer echten Altistin. In der Biografie im Programmheft kann man lesen, dass sie erst vor neun Jahren vom Sopran- ins Mezzofach gewechselt hatte. Für die Erda bevorzuge ich jedoch eine echte, satte Altstimme (ich weiss, die sind selten), erst dann erzeugt ihr kurzer, aber entscheidender Auftritt seine volle Wirkung.
Die 136 Takte des Vorspiels zu Wagners DAS RHEINGOLD sind geradezu Kult: Ein einziger Es-Dur Akkord wird aus dem den Kontrabässen tiefst möglichen Ton geboren, steigt aus der beinahe Unhörbarkeit von den Bässen und den Fagotten auf zum wiegenden, schillernden Thema des Rheins. Im Opernhaus Zürich wird es dazu stockdunkel, man hofft, dass da szenisch etwas Spannendes entstehen könnte. Weit gefehlt. Schon bald öffnet sich der schwarze Zwischenvorhang und man blickt auf eine Drehbühne (Ausstattung: Christian Schmidt) mit weiss lackierten Wänden (Stil ungefähr Enstehungszeit des Musikdramas Mitte 19. Jh.), leere, identische Räume drehen sich, das war’s dann auch schon. Ein weisses Bett taucht auf, die Rheintöchter in ihren Seidenpyjamas spielen Verführung und Kissenschlacht. Die Drehbühne macht den ganzen Abend lang, was halt eine Drehbühne machen muss. Das ermöglicht zwar reibungslose Szenenwechsel, und doch bleiben wir zweieinhalb Stunden in der selben Zimmerflucht gefangen, "Auf dem Grunde des Rheins", "Freie Bergeshöhen", "unterirdische Kluft" und den erneuten Aufstieg zu den Bergeshöhen lauten die szenischen Anweisungen Wagners.
Das muss man natürlich nicht eins zu eins umsetzen, aber etwas mehr Einfallsreichtum als leere Räume, die – mit bewundernswerter Schnelligkeit und Präzision, das muss man anerkennen – während des Drehens mit ein paar Möbeln, Zimmerpalmen, geschürfter Erde oder Bergen von Goldnuggets austaffiert werden, sind dann doch etwas wenig. Die Burg Walhall sieht man auf Ölgemälden in gigantischen Goldrahmen, erst als Berglandschaft ohne Burg, dann mit Burg, allerdings wird das Burggemälde schnell zerstört, wenn Fasolt durch die Leinwand bricht. Das allerdings hatte was.
Ansonsten macht der Regisseur Andreas Homoki aus dem Rheingold eine eher brave Komödie, angesiedelt im Grossbürgertum, die Kostüme aus der Enstehungszeit des Werks. Diese Komödie allerdings gelingt dem Regisseur dank sehr genauer Personenführung ausgezeichnet, das ist streckenweise sogar ziemlich komisch. Die Götter sind allesamt regelrechte Deppen, Fricka noch die einzig einigermassen vernünftig argumentierende Figur. Loge ist ein quirliger Magier. Die Nachtalben kaum besser als die Lichtalben, trieb- und giergesteuert. Auch die beiden Riesen verfallen der Gier. Politisch etwas unkorrekt erinnern sie an Juden. Die märchenhaften, magischen Momente der Handlung werden ziemlich unspektakulär in Szene gesetzt. Wenn der durch Loge leicht zu manipuliernede Alberich sich mittels Tarnhelm in einen Lindwurm verwandeln soll, zieht er sich einfach in einen grossen Schrank zurück, die Türe schliesst sich, Rauch qualmt hervor, Türe öffnet sich wieder, Drachenkopf erscheint. Geschickt wird manchmal mit dem Schattenwurf der Gestalten auf den weissen Wänden gearbeitet (Licht: Franck Evin). Der Einzug der Götter in Walhall ist auch eine eher triste Angelegenheit, keine Regenbogenbrücke führt zur Burg, Göttinnen und Götter (und auch das Publikum) stehen erst geblendet durch weisses Licht aus dem Schrank da und die Götter schreiten dann ins nächste Zimmer. Das ist unterdessen immerhin zu einem grossen Saal geworden, mit gigantisch langem, goldenem Tisch. Man fühlt sich bei Putin im Kreml. Darum arrangieren sich die Götter, Donner und Froh flegelhaft, mit den Füssen auf dem Tisch, Wotan ist genervt von den Klagen der Rheintöchter. Loge setzt sich durch einen Sprung aus dem Fenster von den bedepperten Göttern ab, er ist ja der klügste von allen.
Ja, man hat sich gut unterhalten in diesem RHEINGOLD, es war konsequent dem Text nach in Szene gesetzt (was heutzutage schon viel ist), und doch bleibt eine gewisse Leere zurück, man hat mehr an Fantasie, Imagination erwartet – und hofft doch sehr, dass man die kommenden drei Abende der Tetralogie nicht noch 14 Stunden auf eine weisse Drehbühne mit leeren Zimmerfluchten starren muss.
"Weisst du wie das wird?" (Nornen, Vorspiel Götterdämmerung). Man darf gespannt sein.
P.S.: In der Mediathek der ARD kann man sich zur Zeit den neuen RING der Deutschen Oper Berlin in der Regie von Stefan Herheim abrufen. Ich habe mir DAS RHEINGOLD bereits angeschaut: Ungemein einfallsreich, provokant, intellektuell anregend und herausfordernd und auch hervorragend gesungen.
Kaspar Sannemann, 1.5.22
© Monika Ritterhaus