Zürich: „3. Philharmonisches Konzert“, Strauss, Bartok, Mahler

Was für ein klug zusammengestelltes Konzertprogramm voll aufwühlender Intensität präsentierte uns die Philharmonia Zürich anlässlich ihres 3. philharmonischen Konzerts gestern Abend im Opernhaus Zürich! Der 26 jährige Richard Strauss stand bei der Komposition seiner Tondichtung „Tod und Verklärung“ ganz am Anfang seiner Karriere, Béla Bartók hinterließ sein Viola Konzert nur skizzenhaft auf 18 losen, unnummerierten Blättern, Bloß die Stimme des Soloinstruments schien einigermaßen fixiert, aber Angaben zur Harmonik und Orchestrierung waren nicht vorhanden. Und auch Gustav Mahler hatte nicht mehr die Kraft, seine 10. Sinfonie zu vollenden, ausser dem Kopfsatz; dieses unendlich schmerzhafte Adagio, hatte er einigermaßen vollendet (wenn auch nicht von ihm revidiert) hinterlassen.

Während bei Richard Strauss zwar im ersten Teil die physischen Schmerzen des Todeskampfes (eines Künstlers?) hörbar sind, so lässt Strauss seinen Helden (oder wenigstens dessen Seele dann in leuchtend gleißender C-Dur Verklärung unsterblich werden. Ganz Im Gegensatz zu Mahlers Adagio. Auch hier werden Schmerzen hörbar, doch es sind psychische. Mahler litt unsägliche Qualen am Zerbrechen seiner Ehe mit Alma und an seinem schwachen Herzen, seinem Herzfehler. Und ein Entrinnen oder gar eine glückliche oder wenigstens verklärende Auflösung gibt es bei Mahler nicht. Das qualvolle Thema, das bereits den ganzen Satz dominiert hat, verklingt sterbend und immer noch schmerzhaft in den höchsten Lagen der ersten Violinen in einem dichten Streichergewebe, sanft fundiert von den beiden Bläsergruppen. Die Philharmonia Zürich unter der expressiven Leitung von Markus Stenz intonierte diese letzten Takte mit einem wunderbar zarten Gesamtklang, einem empfindsamen Musizieren, das zutiefst berührte. Stenz gab diesem Adagio die notwendige, ausladende Breite, den Raum und den Atem. Sehr genau lotete er die dynamische Tiefe aus, qualvolle, durch Mark und Bein gehende Ausbrüche im Fortissimo sanken ab in praktische Unhörbarkeit.

(c) Sannemann

Auch in der das Konzert eröffnenden Tondichtung von Richard Strauss beeindruckten Stenz und die Philharmonia Zürich mit der plastischen Intensität, mit welcher sie die programmatische Musik interpretierten und fein hintupften. Sehr genau wurden der unregelmäßige Puls des Sterbenden herausgearbeitet, das letzte Aufwallen des Blutes, die Krämpfe der Todesqualen, der Dämmerzustand des Sterbenden, die aufkeimenden Erinnerungen an lichte Momente seines Lebens mit dem wunderschönen Violinsolo der Konzertmeisterin Hanna Weinmeister, das Hinübergleiten in den Tod und die strahlende Verklärung. Der Dirigent führte die Philharmonia Zürich mit weit ausholenden Bewegungen und klarer Zeichensetzung zu klar und präzise formender Interpretation vollpackender Dynamik.

Im Mittelteil des Abends stand das „Konzert für Viola und Orchester“ von Béla Bartók. Wie Mahler hatte auch er nicht mehr die Kraft, seine Komposition im amerikanischen Exil zu vollenden. Geplagt von Armut und schwerer Krankheit versinken die letzten Melodien des Meisters aber nicht in qualvollem Selbstmitleid, im Gegenteil, das wunderbare Konzert endet in einem mitreißenden, von irrwitzigen Tempi geprägten und mit folkloristischen Anklängen an seine ungarische Heimat aufwartenden Allegro vivace! 

Nils Mönkemeyer verzauberte mit dem Klang seiner Bratsche, der sympathische und bescheiden auftretende Mann begeisterte mit virtuosem Spiel, entlockte seinem Instrument im ersten Satz so wunderbar melancholische Weisen, berührte mit feinfühliger Kantabilität voller Klangschönheit – wie wunderbar klingt doch eine Bratsche in der hohen Lage, it wogenden Figuren, inniger Gestaltung und leuchtendem Klang. Der zweite Satz, ein Adagio religioso, verströmte eine traumverlorene Sanftheit; Mönkemeyer wartete mit einer blitzsauber gespielten kurzen Solopassage und perfekten Trillern auf, bevor er sich zusammen mit dem Orchester in den witzig-tänzerischen Schlusssatz stürzte, mit faszinierend schnellen Läufen in Erstaunen versetzte. Nils Mönkemeyer ging diesen Kehraus so vehement an, dass manchmal Haare seines Bogens rissen, doch auch davon ließ er sich weder aus der Ruhe noch aus dem Takt bringen. Als Zugabe spielte er eine bestechend schön und klar intonierte Sarabande von Johann Sebastian Bach.

(c) Monika Rittershaus

Markus Stenz und die Philharmonia Zürich präsentierten kein leicht verdauliches Programm. Interessant war auch die Reihenfolge. Nicht die Tondichtung von Strauss mit ihrem effektvollen Finale stand am Schluss des Programms, sondern eben das zerreißende, qualvolle Thema von Mahler, das von den wunderbar innig intonierenden Bratschenspielerinnen vorgetragen wurde, die damit an den Klang von Mönkemeyer anknüpften und diesem oftmals zu Unrecht etwas in den Hintergrund gedrängten Instrument Gewicht attestierten.

Kaspar Sannemann 25. Januar 2023


Zürich, Opernhaus

3. Philharmonisches Konzert

22. Januar 2023

Richard Strauss „Tod und Verklärung“

Béla Bartók „Konzert für Viola und Orchester“

Gustav Mahler „Adagio aus der 10. Sinfonie“

Nils Mönkemeyer, Bratsche

Dirigat: Markus Stenz

Philharmonia Zürich