Steingraeber Kammermusiksaal, 17.9.2020
Beethoven bleibt eine Herausforderung. Dies ist durchaus nicht seltsam, obwohl die As-Dur-Sonate op. 110, verglichen mit den anderen Werken des Abends, selbst in der wilden Fuge des Schlusssatzes in rein manueller Hinsicht wie ein Spaziergang wirkt.
Eingeladen hatte die Deutsch-Tschechische Gesellschaft, die ihr jährliches Klavierkonzert mit dem jungen, in Ústí nad Labem geborenen, aber in Halle aufgewachsenen und nun in Salzburg studierenden Robert Bily veranstaltete. Angekündigt wurde er als „junger Star aus Tschechien“. Wenn wir einen Moment die Werbegirlanden vergessen, die um den „jungen Star“ geschlungen werden, bleibt die Beobachtung, dass wir es mit einem hochbegabten, technisch über jeden Zweifel erhabenen Pianisten zu tun haben – dem für Beethoven vielleicht noch der Sinn fehlt. Denn mit Technik, nobler Zurückhaltung und einem erstaunlich durchgehaltenen klassizistischen Gestus ist bei dieser außergewöhnlichen Sonate, die Altes und Neues zu einem Ganzen zusammenbindet, wenig gewonnen. Was sympathisch unaufgeregt daherkommt, mündet schließlich in einem ruhig fließenden Fluss. Positiv ausgedrückt: Bilys op. 110-Variation ist eher lyrisch als dramatisch, eher strukturell überlegt als von „Innigkeiten und Herzlichkeiten“ (wie Joachim Kaiser in seinem Beethovenbuch schrieb) erfüllt – das Arioso dolente, die Klage, bleibt bei diesem Klavierspieler vorläufig uneingelöst. Doch drängt sich die Vermutung auf, dass diese Zurückhaltung schlicht und einfach daran lag, dass Bily die Sonate an diesem Abend zum ersten Mal in der Öffentlichkeit spielte und daher mit großer Vorsicht an die Noten heranging. Soviel Dezenz müsste jedoch nicht sein, denn mit den andere Werken zeigte er problemlos, wie ein dramatisch akzentuiertes Spiel auch bei Beethoven aussehen könnte.
Was also für den Abend und den Pianisten spricht, ist die stupende Fingerfertigkeit, mit der er Debussys kleinem und sehr brillantem Zyklus Pour le Piano, dessen Reflets dans l´eau, dem 1. Mephistowalzer Franz Liszts, nicht zuletzt Prokofjews 7. Sonate und dem zweiten Zugabenstück, Siegfried Thieles Perpetuum mobile, nahe kommt. Populär ausgedrückt: Es macht einfach Spaß, der angewandten Schule der Geläufigkeit zu lauschen. Erweist sich Bily schon beim Prélude der Debussy-Suite als Grandseigneur des Klaviers (kein Wunder, dass der Komponist die rasenden Glissandi mit dem Musketier d’Artagnan verglich, „der sein Schwert zieht“), so ist die abschließende Toccata einstweilen scheinbar die Gattung des jungen Musikers. Es hämmert ja nicht erst in der berühmt-berüchtigten 7. und definitiv radikalen Klaviersonate Sergej Prokofjews, an derem letztem Satz und Precipitato-Anweisung schon andere Pultstars gescheitert sind. Bily aber schmiert keine Note lang. Ein Höllenritt, auch dank der bizarren Heiterkeit und der Präzision eines Maschinengewehrs, mit der der Kopfsatz auf uns eindringt – ein höchst kontrollierter Höllenritt: so wie der 1. Mephistowalzer, in dem die Kontraste zwischen dem Liebesthema und den böse hineinzuckenden, teuflischen Sottisen grandios herausgearbeitet werden. Ein Sommernachtsalbtraum, der, das steht schon so bei Liszt, ausdrücklich presto anhebt… Vergessen wir schließlich nicht, dass auch die spannungsgeladene Sarabande in Debussys Pour le Piano und das Andante caloroso der Kriegssonate gleichsam richtig in den Saal klingen: letztere mit einer Gelassenheit, die sich rasch eintrübt und schließlich zur Verzweiflung gerinnt. Man könnte sich höchstens wieder einmal fragen, welche dramatische Funktion die Wiederkehr des lyrischen Hauptthemas am Ende noch hat. Auch Bily findet darauf keine rechte Antwort.
Macht nichts: Mit dem Perpetuum mobile des Leipziger Komponisten Siegfried Thiele zeigt er am Ende in zweieinhalb rasanten Minuten, dass eine Musik, die es auf pure Brillanz und technische Wunderwerke abgesehen hat, ungeheuren Spaß machen kann. Übrigens ganz im Sinne Liszts, für den die Virtuosität kein Gegensatz zur Poesie war. Der dramatisch aufgeladene Liszt des Mephistowalzers, auch die Klangkaskaden Debussys und Prokofjews erschütternde Perkussionen aber liegen Bily scheinbar ganz besonders. Und Beethoven bleibt eine Herausforderung – nicht allein für jüngere Semester.
Frank Piontek, 18.9.2020