Konzert am 22. August 2020
Eine symphonische Sternstunde!
Christian Thielemann mit den Wiener Philharmonikern, eine singuläre Beziehung, die den Salzburger Festspielen 2020 in Corona-Zeiten einen ganzvollen Höhepunkt bescherte. Und natürlich muss es Wagner geben, wenn Thielemann ans Pult der Wiener tritt, wenn auch einen eher verhaltenen, nachdenklichen – passend zur gegenwärtigen Lage der Kultur – aber natürlich auch Anton Bruckner mit der 4. Symphonie, der „Romantischen“.
Die Mezzosopranistin Elina Garanca gab mit den Wesendonck-Liedern von Richard Wagner ihren alljährlichen Salzburg-Auftritt und vermochte mit der überaus einfühlsamen Unterstützung von Thielemann den fünf Liedern, die der Komponist 1857/58 schon im Hinblick auf seine Werke „Tristan und Isolde“ für seine Muse und heimliche Geliebte Mathilde Wesendonck zu deren Gedichten komponierte, einige Emotion und stimmliche Leuchtkraft zu verleihen. Ursprünglich für Klavierbegleitung komponiert, orchestrierte der Bruckner-Schüler und Bewunderer Wagners, Felix Mottl, die Lieder später und erhöhte damit die musikalische Assoziation zu dessen Musikdramen, vor allem zu seinem opus summum, „Tristan und Isolde“.
„Der Engel“ gerät mit herrlich lyrischer Transparenz und großer Klarheit, wobei Garanca Akzente durch lange vokale Bögen setzt. In „Stehe still!“ erzielt Thielemann mit dem Orchester einen fast traumwandlerischen Gleichklang mit dem Erzählton der Mezzosopranistin. Mühelos erhebt sich ihre Stimme über das Tutti des Orchesters und mündet in einen hymnischen Schlusston. „Im Treibhaus“, in der Tat eine Studie zu „Tristan und Isolde“, ist „Tristan“-Lyrik vom Feinsten zu hören. Hervorzuheben ist hier, dass Christian Thielemann, der ja stets auch mit starker Körperlichkeit dirigiert, sich Garanca auch physisch so eng zuneigt, dass eine intensive Vereinigung von Gesang und Musik zu entstehen scheint. Sie kann das Melancholische und die Trübsal, die hier die nicht realisierbare Nähe Wagners zu Mathilde andeuten, stimmlich eindrucksvoll wiedergeben, wenn auch die Textverständlichkeit Garancas, und nicht nur in diesem Lied, nicht immer die beste ist. Wunderbar das kurze Viola-Solo und die aufsteigende Linie der Streicher im Finale! In „Schmerzen“ lässt Thielemann die ganze Kraft des Orchesters aufblühen. Überwältigend dabei die prägnanten Blechbläserfanfaren. Im finalen „Träume“, der zweiten Studie zu „Tristan und Isolde“, fühlt man sich unmittelbar in den 2. Aufzug des Musikdramas versetzt, auf dessen romantische Interpretation sich Thielmann ja besonders gut versteht. Er macht hier gemeinsam mit Elina Garanca musikalisch nachvollziehbar klar, wie intensiv die Neigung Wagners zur für ihn unerreichbaren Mathilde Wesendonck war. Die Beziehung führte bekanntlich schließlich zum Bruch mit seinem Mäzenaten, ihrem Mann Otto Wesendonck.
Dann folgte mit der 4. Symphonie von Anton Bruckner das Werk eines von Christan Thielemanns Lieblingskomponisten, und er kann mit den Wiener Philharmonikern einmal mehr beweisen, das er wohl der beste Bruckner-Dirigent unserer Tage ist. Diese „Romantische“ wurde zu einer Sternstunde der Wiener Philharmoniker unter seiner erfahrenen Führung und vermochte mit der Klarheit, Prägnanz und Transparenz, die auch immer wieder Solo-Passagen ebenso klang- wie eindrucksvollen Raum gaben, das Publikum zu begeistern. Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Dirigent nach so einem Konzert in Salzburg noch mehrmals, nachdem bereits alle Musiker verschwunden sind, zu einem Einzelapplaus „herausgeklatscht“ wird.
Mit zehn Celli, acht Kontrabässen, fünf Hörnern, vier Trompeten und drei Posaunen war das Orchester im Blech angetreten. Die in einer Reihe am oberen Ende aufgebaute Blechbläser-Phalanx wirkte wahrlich beeindruckend und sollte das musikalische Geschehen in der kommenden Stunde immer wieder eindrucksvoll beherrschen. Im 1. Satz geben nach dem zurückhaltenden und verklärten Beginn durch die Streicher gleich die Hörner mit geballter Kraft den Ton an. Das Andante des 2. Satzes beginnt mit großer Lyrik und setzt sich in einem langsamen, getragenen, ja trauermarschartigen Rhythmus fort. Hier lässt Thielmann sehr schön einige Einzelinstrumente zu „Wort“ kommen und ist mit den entsprechenden Musikern stets in intensivem Augenkontakt. Großartig sodann das sich langsam aufbauende Crescendo zu einem fast eruptiven musikalischen Höhepunkt, einmal mehr mit der unbestrittenen Dominanz der Blechbläserreihe. Im Scherzo geben dann immer wieder die Hörner mit klar artikulierten Klangkaskaden den Ton an. Aber auch die anderen Bläsergruppen beteiligen sich an Motiven, die auf eine Jagd hinweisen. Bestechend ist dabei die Transparenz der einzelnen Instrumentengruppen, die Thielemann offenbar ein erstes Anliegen ist. Im Finale mit seiner großen Dramatik sind zunächst auch romantischen Streicherlinien zu hören, bevor es dann wieder explosionsartig ins Tutti geht, mit mächtigem Auftritt der Posaunen, unterstützt von der zentral platzierten Tuba. Thielemann fordert den maximalen Einsatz dieser Musiker mit entsprechenden Körperbewegungen regelrecht heraus.
Und dann eben der Riesen- und kaum enden wollende Applaus! Ich hoffe, die Osterfestspiele Salzburg sind sich klar (geworden), was sie mit der unerwarteten und in ihrer Art zumindest bemerkenswerten Beendigung der Zusammenarbeit mit Christian Thielemann bewirkt haben. Es ist kaum zu glauben, zumal wenn man die ersten Ideen zu einer Neugestaltung der Osterfestspiele hört, dass etwas musikalisch Hochkarätigeres nachkommt.
Klaus Billand/11.9.2020
Fotos: SF / Marco Borrelli