Schwarzenberg: Schubertiade August/September 2019 – Teil 2

Konzerte vom Feinsten

Eine Sternstunde war der Liederabend mit Violeta Urmana und Helmut Deutsch am 28.8., die mit Schubert, Strauss und Mahler ein klassisches Programm gewählt hatten. Im Schubert-Block des ersten Teils stellte die Mezzosopranistin wieder einmal unter Beweis, wie man eine große Opernstimme durch vermehrten Liedgesang schlank und locker halten kann. Kleine elegante Wendungen (u.a. in „Auf dem See“ und „Die Perle“) gelangen ganz exakt und wirkten wie zufällig hingestreut; große Ruhe strömten z.B. „An die Musik“, „Auf den Tod einer Nachtigall“ und das beeindruckende „Der blinde Knabe“ aus. Bekanntes und seltener Gehörtes wurde geschickt gemischt und durchgehend äußerst textverständlich dargeboten. Mit Helmut Deutsch stand ihr einer der ganz großen Begleiter unserer Zeit ebenbürtig zur Seite, der stets mit der Sängerin atmete und auch eigene Impulse einbrachte. Das Nachspiel von „Das Zügenglöcklein“ mit seinen ersterbenden Glockenschlägen gelang ebenso gut wie die flotte Hinführung zu „Bei dir allein“, bei der man den Eindruck hatte, die Sängerin trieb ihn zum opernhaft gesteigerten Schluss hin noch an. Der erste Teil gipfelte in einer farbenreichen Interpretation beider Künstler mit „Der Zwerg“.

Bei den sechs Strauss-Liedern nach der Pause entwickelte Violeta Urmana aus piano-Phrasen opulenten Klang („Nur Mut“), zeigte üppige Höhen („Mit deinen blauen Augen“) und fließende Klänge („Befreit“). Beim getragenen „Wer hat’s getan?“ bewies Deutsch abermals sein Gespür für längere Ausklänge eines Liedes; gelungene, Strophen-verbindende Zwischenspiele kamen z.B. in Mahlers „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ bestens zu Geltung. In der Mahler-Gruppe stellte die Sängerin auch ihr darstellerisches Talent heraus: Nach dem ausdrucksstarken „Wo die schönen Trompeten blasen“ kamen urkomisch „Trost im Unglück“ daher und das intensive „Scheiden und Meiden“.

Mit einem Schubert-Lied, zwei Strauss-Liedern und einem melancholischen litauischen Volkslied bedankten sich die Künstler für den enthusiastischen Beifall. (ME)

Vier junge Damen begeisterten am Nachmittag des 29.8. in einem Kammerkonzert von besonderer Güte: Die lettischen Schwestern Lauma Skride (Klavier) und Baiba Skride (Violine) musizierten gemeinsam mit Lise Berthaud (Viola) sowie Harriet Krijgh (Violoncello) Klavierquartette von Schubert, Suk und Brahms. Nach Schuberts gefälligem, schwungvoll präsentierten Adagio e Rondo concertante D 487 erklang das Werk eines 17-Jährigen, das als Abschlussarbeit seines Studiums bei Antonín Dvorak komponierte Klavierquartett a-Moll op.1 von Josef Suk. Die bereits erstaunlich ausgereifte Komposition enthält viele spätromantische, geradezu schwelgerische Passagen, die ineinander verwoben sind und die in angenehm süffigem Klang präsentiert wurden. Nach der Pause bewunderte man in dem sehr ausgedehnten, teilweise sinfonisch anmutenden Klavierquartett A-Dur op.26 von Johannes Brahms durchweg spannungsvolles, in der Intensität nie nachlassendes Musizieren. Das Zentrum des Quartetts, das Adagio, in dem Brahms das eher depressive Lied „Die Stadt“ von Franz Schubert („…wo ich das Liebste verlor.“) zitiert, erfuhr eine tief beeindruckende Interpretation. Nach dem kontrastreichen Scherzo kostete das Quartett die Effekte des mit seinem „all’ongarese“-Thema fast schon witzigen Finales genüsslich aus und servierte sie mit Bravour. Wieder gab es zu Recht begeisterten Applaus. (GE)

Am Abend des 29.8. gab es mit Rossinis „Petite messe solennelle“ ein bei der Schubertiade ganz seltenes Chorkonzert im Schwarzenberger Angelika-Kaufmann-Saal. Die Leitung hatte Benjamin Lack, Leiter des Orchesters und Chores des Vorarlberger Landeskonservatoriums Feldberg, der daneben als Domkapellmeister in Feldkirch und Künstlerischer Leiter des Bregenzer Festspielchores sowie des Kammerchores Feldkirch wirkt. Mit letzterem gestaltete er eine intensive Wiedergabe dieser erst 1863 geschriebenen Messe Rossinis für Chor, Solisten, Klavier und Harmonium. 1866 hatte er sie noch selbst orchestriert, damit sie nicht nach seinem Tod von einem Anderen bearbeitet würde, die womöglich durch zu starke Orchestrierung „meine Singstimmen totschlagen.

Zur instrumentalen Begleitung standen herausragende Solisten zur Verfügung: Igor Levit stellte sein hohes pianistisches Können ganz in den Dienst der Begleitung der Solisten; kraftvolle Akkord-Attacken und weiche Legato-Phrasen standen ihm gleichermaßen zu Gebote bei Einleitung und Übergängen der Messe-Teile. Sobald der Chor dazukam, verstärkte Ryoko Morooka am Harmonium das Klavier mit passender Registrierung, so dass stets ausgewogene Klänge erzielt wurden. Im rein instrumentalen Offertorium hatte vor allem Ryoko Morooka Gelegenheit, viele Farben dieses besonderen Instrumentes herauszuarbeiten. Der Kammerchor Feldkirch war ausgesprochen exakt einstudiert, sang textverständlich, klanglich ausgewogen und sehr intonationsrein, was besonders positiv im a-cappella-Sanctus auffiel. Das Solisten-Quartett war mit den kurzfristig eingesprungen Simona Saturová (Sopran) und Ilker Arcayürek (Tenor) sowie der Mezzosopranistin Tara Erraught und dem Bariton Andrè Schuen gut zusammen passend besetzt. Die Soli der Sopranistin waren recht unterschiedlich: Im Crucifixus störten viele unsaubere und von unten angesungene Töne die angestrebte Gestaltung, während O salutaris hostia lupenrein und intensiv gelang. Tara Erraught nutzte ihre Chance im Agnus Dei, ihre gut sitzende, opulente Stimme opernhaft zu präsentieren. Ilker Arcayürek und Andrè Schuen wollten anfangs bei kleinen Soli im Gloria zu sehr auftrumpfen, fügten sich aber schnell dem Gesamtklang ein. Benjamin Lack hielt durchweg alle Fäden sicher in der Hand und animierte alle Beteiligten zu einer insgesamt gelungenen Wiedergabe dieser schönen Messe.

Das Publikum verfolgte den Abend gebannt und dankte allen Mitwirkenden mit reichem Applaus. (ME)

Mit einem nun wirklich außergewöhnlichen Programm, das Diana Damrau und der Harfenist Xavier de Maistre bereits bei den Salzburger Festspielen präsentiert hatten, kamen sie nun nach Schwarzenberg zur Schubertiade. Es begann am Abend des 30.8. sozusagen klassisch mit fünf bereits romantisch anmutenden Liedern von Felix Mendelssohn Bartholdy auf Texte von u.a. Heine, Eichendorff und Schiller. Dabei rührte „Des Mädchens Klage“ besonders an, während bei „Der Mond“ (Emanuel Geibel) die zarten Höhen in berückender Klarheit beeindruckten. Von Anfang an nahm Diana Damrau, die – auf allen großen Opernbühnen der Welt zu Hause – so gar nichts von einer Operndiva hat, durch ihre freundlich zugewandte Ausstrahlung für sich ein. Dazu kam gleich bei den ersten Liedern ihre gesangstechnisch über jeden Zweifel erhabene Singweise mit wunderbaren piani und geradezu vollendeter Legato-Kultur zum Tragen, was für die späteren fremdsprachigen Lieder in gleichem Maße gilt. Natürlich war der Zusammenklang des Soprans mit den rauschenden Harfen-Arpeggien zunächst ungewohnt, aber wenn die beiden „Stimmen“ so aufeinander abgestimmt sind, wie es bei den beiden zu erleben war, vergaß man doch schnell, dass es nun eben andere Begleitung als das übliche Klavier gab. Der Franzose Xavier de Maistre, der sich 2010 seit seinem Ausscheiden bei den Wiener Philharmonikern ganz seiner Solistentätigkeit widmet, spielte in jedem Programmteil ein Stück für Harfe solo, das jeweils mit Henriette Renié (1975-1956), einer Pariser Harfenistin und Komponistin, zu tun hatte. Zuerst erklang ihre Bearbeitung des Liszt-Klavierstücks „Le Rossignol“ und später mit „Legende“ eine eigene Komposition. Bei beiden Werken bewunderte man die hohe Virtuosität des Harfenisten, der den gesamten Umfang seines Instruments auskostete und die spieltechnischen Höchstschwierigkeiten mit Bravour meisterte..

Nach dem ersten Harfen-Solo erklangen Liedern von Sergeij Rachmaninow, deren sehnsuchtsvolle, aber auch traurige Stimmungsbilder beide Künstler eindringlich gestalteten. Zum Abschluss des ersten Programmteils gab es – ebenfalls auf Russisch gesungen – „Die Brunnen von Bachtschyssaraj“ des Opernkomponisten Wladimir Wlasow (1902-1986), der ein Gedicht über den „Brunnen der Liebe“ von Puschkin vertont hatte. Hier konnte die Damrau zu aufrauschenden Arpeggien einige Operndramatik einbringen.

Nach der Pause wurde es französisch, zunächst mit Liedern von Reynaldo Hahn (1875-1947), die manchen Charme ausstrahlten, aber auch teilweise tieftraurig („Mai“/“Nachtstück“) waren. Mit eingängigen, keineswegs atonalen Liedern von Francis Poulenc (1899-1963) ging der hochinteressante Liederabend zu Ende: Es erklang der Liederkreis „La courte paille“ (Der kurze Strohhalm), der einiges Besinnliche („Die Herz-Dame“ oder „Aprilmond“) sowie allerlei Skurriles enthält, von der Damrau mit Esprit und Witz rübergebracht. Wenn z.B. von einem Floh die Rede ist, der einen kleinen Elefanten in einem Wagen zieht („Quelle aventure“), und von einer Karaffe, die sich dringend eine Baby-Karaffe wünscht (und auch bekommt) oder wenn vom Gestiefelten Kater erzählt wird („Ba, Be, Bi, Bo, Bu“). Ganz am Schluss stand „Les chemins de l’amour“ (Die Wege der Liebe), ein schwelgerisches Walzer-Lied auf ein Gedicht von Jean Anouilh.

Das Publikum feierte beide Künstler mit starkem Beifall, wofür diese sich mit zwei Strauss-Liedern („Nichts“ und „Wiegenlied“) bedankten. (GE)

Auch in diesem Jahr gab es während der Schubertiade einen Meisterkurs für Gesang, den die gefeierte Sopranistin und ehemalige Professorin an der Wiener Musikuniversität Edith Mathis leitete. Als Kursbegleiter brachte sie den Pianisten Dieter Paier mit, der bis 2006 ihr Assistent in den Liedklassen der Universität war. Vom 26.-30. August arbeiteten die beiden Künstler nun täglich von 10 bis 13 Uhr mit sechs ausgewählten jungen Damen im Alter von 22 bis 35 Jahren. „25 bis 30 Minuten täglich für jede sind viel zu kurz“, befand Frau Mathis gleich zu Beginn; da möchte sie „vor allem inspirieren. So ein offener Kurs mit Publikum ist für die Teilnehmer natürlich ungewohnt, und dementsprechend rücksichtsvoll ging Edith Mathis mit den fünf Sopranistinnen und einer Mezzosopranistin um, als sie merkte, wie aufgeregt manche waren, andere dagegen betont lässig nach außen. In täglich unterschiedlicher Reihenfolge stellten die Sängerinnen zunächst jeweils ein gut vorbereitetes Lied vor, dann ging es an die Feinarbeit und Interpretation einzelner Zeilen und Wörter. Dabei forderte Frau Mathis die Einzelnen liebevoll ihren Fähigkeiten und ihrem Ausbildungsstand gemäß mehr oder weniger. Es gab Angebote und Hilfen zur jeweiligen Lied-Interpretation, wobei besonders herausgearbeitete musikalische Phrasen sowie abphrasierte Bögen und Endsilben im Fokus standen. Auf exakte Beachtung von Pausen und genaue Ausführung von Vorschlägen und musikalischen Angaben wie piano, forte, crescendo und decrescendo wurde immer wieder hingewiesen.

Ein heikles Thema war die Aussprache der Vokale, die nicht nur für die Damen aus Japan, Hongkong und Spanien naturgemäß schwierig war, sondern auch für die deutschsprachigen Teilnehmerinnen. Das Singen klingender Konsonanten sowie das schnelle Artikulieren von Konsonantengruppen wurde angesprochen und ausprobiert, um z.B. dichtes Legato zu erreichen, sozusagen „die Phrase auf ein Gleis zu setzen“. Es wurden auch unterschiedliche Wege zu einer Interpretation aufgezeigt und akzeptiert: „Wenn Ihnen meine Interpretation nicht gefällt, versuchen Sie einfach, mich von Ihrer zu überzeugen“.

Viele gute Anregungen kamen von Dieter Paier, z.B. zum rechtzeitigen Vorbereiten des Einsatzes der Singstimme, zum Atmen, zu weichen Einsätzen, zum Singen der Konsonanten vor dem Schlag, damit der Vokalklang pünktlich auf den Schlag kommt, und viele andere für einen Sänger wichtige Kleinigkeiten.

Nur technische Fehler bei Atmung und Haltung wurden kaum aufgezeigt, da die Zeit nicht auch noch für eine intensive Behandlung gereicht hätte. Einige Sängerinnen nahmen die vielen Anregungen sehr gut auf und konnten sie sofort umsetzen, manche brauchen sicher noch etwas länger, um das Beste daraus zu machen. Insgesamt waren es höchst interessante Vormittagsstunden, die auch dem Laien im Publikum einiges an Erklärung zum Gesang als „Hochleistungssport“ enthüllten. Schade war, dass es kein Abschlusskonzert des Kurses gab, in dem die Probanden sich noch einmal mit ihren veränderten Lied-Interpretationen einem größeren Publikum hätten präsentieren können. (ME)

Ein höchst anspruchsvolles Liedprogramm hatte die Mezzosopranistin Sophie Rennert für den Konzertnachmittag des 31.8. ausgewählt. Gemeinsam mit Helmut Deutsch präsentierte sie Schubert-Vertonungen von ausschließlich Schiller-Gedichten, dabei die Ballade „Der Taucher“. Von Anfang an beeindruckte die junge Sängerin durch in jeder Beziehung ausgefeilte Gestaltung der inhaltlich nicht einfachen Lieder. Das erreichte sie durch beispiellose Artikulation und damit hohe Textverständlichkeit, durchweg intonationsreines Singen sowie gute Führung ihres hellen, ausdrucksstarken Mezzos durch alle Lagen ohne zu forcieren. Dazu kam die Unterstützung durch ihre Mimik, der man den jeweiligen Inhalt nachvollziehbar ablesen konnte. Zu Beginn gab es Lieder aus der Frühzeit Schuberts, wie das leicht und locker servierte „An den Frühling“, das anrührende „Des Mädchens Klage“ oder das hoffnungsfrohe „Der Jüngling am Bache“. Bereits bei diesen ersten Liedern zeigten sich die hohen Qualitäten des versierten Liedbegleiters Helmut Deutsch, der wieder zeigte, wie er mit Sängern mitatmet, und so ein zuverlässiger partnerschaftlicher Mitgestalter war. Das bewährte sich sodann in der fast halbstündigen Ballade „Der Taucher“. Diese erfuhr durch die beiden Künstler eine mitreißende Wiedergabe, wobei Helmut Deutsch die vielen pianistischen Finessen mit Bravour meisterte, und Sophie Rennert durch die Schilderung des durchweg hoch spannenden Geschehens das Publikum in ihren Bann schlug. Nach der Pause setzte sich das kluge, stets einleuchtende Gestalten der Lieder fort: Da erklangen die mit unterschiedlichen Naturbeschreibungen durchsetzte „Erwartung“, die inhaltlich nicht von vorherein zu erfassenden, hier aber schön verdeutlichten Lieder „Der Flüchtling“ und „Gruppe aus dem Tartarus“ sowie das wie im „Taucher“ tonmalerisch durchsetzte. jubelnde „Elysium“, aber auch die abschließende im sängerischen Ausdruck dem Titel gerecht werdende „Sehnsucht“. Mit drei weiteren Schiller-Vertonungen Schuberts bedankten sich die Künstler beim sie mit „standing ovations“ feiernden Publikum – insgesamt war es ein wunderbarer Abschluss unseres Konzert-Marathons bei der Schubertiade. (GE)

Fotos: © Schubertiade/Peter Mathis

Marion und Gerhard Eckels 31. August 2019

Weitere Schubertiaden: 20./21.9. + 2.-9.10.2019 (Hohenems) und wieder 2020 in Hohenems und Schwarzenberg