Macerata: „The Circus“ und „Pagliacci“

Vorstellung am 7.8.22 (Premiere am 5.8.22)

Das Macerata Opera Festival, kurz MOF, hat in Paolo Pinamonti einen neuen künstlerischen Leiter, der auch auf dem Gebiet der Filmographie besonders beschlagen ist. Dies führte zu einem besonders interessanten Gespann, wurde doch Charlie Chaplins Stummfilm "The Circus" Leoncavallos Oper vorangestellt. Die Thematik verbindet die zwei Werke, die sich beide in der Welt der fahrenden Künstler abspielen. Dem Musikwissenschaftler und -forscher Timothy Brock ist es nach langer Suche gelungen, die Originalpartitur zu finden, mit welcher der Stummfilm begleitet wurde, und er dirigiert sie nun mit dem groß besetzten Orchestra Filarmonica Marchigiana (FORM). Die von Chaplin selbst zusammengestellte Musik zitiert wiederholt "Pagliacci", aber auch "Carmen" und sogar Wagner.

Der Film selbst zeigt Charlots bekannten Vagabunden, der, wenn er in die Zirkusmanege platzt, unfreiwillig komisch ist, sich aber nach seinem Engagement als Clown unfähig zeigt, die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Es gibt ein paar zwerchfellerschütternde Szenen, als sich der Vagabund beispielsweise, von einem Polizisten verfolgt, in ein Spiegelkabinett verirrt. Doch die Gesamtstimmung des Films ist letztendlich melancholisch, was durchaus eine Brücke zu "Pagliacci" baut. Der auf eine Riesenleinwand projizierte Film stimmte das Publikum somit bestens auf die Oper von Leoncavallo ein.

Diese nahm in der Regie von Alessandro Talevi den Faden auf, denn wir befinden uns gegen Ende der Fünfzigerjahre, als das Kino auch und gerade in Italien die wandernden Schauspieltruppen ablöste. So langweilt das Drama im Stil der Commedia dell’arte das Publikum rasch, und es verläuft sich, um erst zurückzukehren, als sich abzeichnet, dass die Szene vermutlich eine reale Tragödie zeigen wird. Dieser Einfall wird von Talevi szenisch ausgezeichnet interpretiert, wobei der Coro lirico marchigiano "Vincenzo Bellini" eine erstklassige schauspielerische Leistung zeigte. Einstudiert von Martino Faggiani, stand dem der vokale Eindruck keinesfalls nach. Obwohl das Bühnenbild, für das Talevi gemeinsam mit Madeleine Boyd verantwortlich war, nicht viel mehr als Beleuchtungstürme und Stühle zeigte, zwischen denen sich die Bühne der fahrenden Künstler noch armseliger ausnahm (Kostüme: Anna Bonomelli), ergab sich fast wie von selbst die depressive Atmosphäre, wie sie über den handelnden Personen hängt.

Die große Überraschung für mich war Fabio Sartori als Canio. Natürlich nicht vokal, gehört der Tenor doch zur wenig umfangreichen Spitzengruppe seines Stimmfachs, dem er auch hier vokal mit Attacke und glanzvollen Spitzentönen Ehre machte. Doch zum ersten Mal habe ich diesen Künstler mit großer Hingabe spielen sehen, überzeugend in Canios Verzweiflung wie im Aufflammen seiner Rachegelüste. Großartig. Gleich nach ihm muss Tommaso Barea als Silvio genannt werden, der Neddas unglücklichen Liebhaber mit vollem lyrischem Bariton gestaltete. Es sieht so aus, als bliebe der junge Mann seinem bisherigen Fach treu, ohne sich in ein Fach à la Germont oder Posa drängen zu lassen, in welchen Rollen so viele vokale Versprechen zu früh verheizt werden. David Astorga gab mit angenehmem Tenor einen mitfühlenden Beppe. Als Tonio erwies sich Fabián Veloz als guter Schauspieler, aber sein Bariton klang viel zu trocken, obwohl er die Schwierigkeiten des Prologs gut meisterte. Bei Rebeka Lokar, die ich als Butterfly in Novara in sehr guter Erinnerung hatte, waren allerdings stimmliche Defizite nicht zu überhören (die inzwischen gesungene Minnie aus der "fanciulla del West" dürfte ihr nicht gut getan haben). Die Stimme flatterte und war nur gelegentlich unter Kontrolle zu bringen.

Mit Timothy Brock am Pult erwies sich neuerlich, dass ein Musikwissenschaftler, und sei er noch so sehr in seine Themen verliebt, am Pult keine Glanzpunkte zu erzielen vermag. Es gelang ihm immerhin eine saubere, vom Publikum – mit Spitzenwerten für Sartori – gefeierte Wiedergabe.

Eva Pleus 15.8.22

Bilder: Luna Simoncini