Hamburg: „Don Giovanni“

besuchte Aufführung am 23.10.2019

Prima la musica

Man kann mit der Neuinszenierung von Mozarts Don Giovanni an der Hamburgischen Staatsoper gut leben, weil Regisseur Jan Bosse dem Werk keine Gewalt antut. Das ist per se schon mal erfreulich, weil es heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Aber wenn man eine tiefgründige Interpretation erwartet, die dem „Mythos Don Giovanni“ nachspürt, ist man eher enttäuscht. Eine differenzierte Personenführung und eine individuelle Charakterisierung der Figuren bleibt hier eher die Ausnahme, etwa wenn Don Giovanni und Zerlina sich schon bei dem Duett „La ci darem la mano“ spielerisch und in fast kindlicher Freude ihren Gefühlen hingeben. Aber oft wird einfach nur statisch an der Rampe gestanden. Viel Platz ist (im 1. Akt) auch nicht, denn das Bühnenbild von Stéphane Laimé ist mit seinen immer neuen Ansichten von heruntergekommenen Palazzo-Fronten eher etwas erdrückend. Dafür hat Bosse seine Arbeit mit einigen Zutaten „angereichert“. Da ist zum einen die erfundene Figur Amor/Tod – ein androgynes Wesen, das an Fassaden klettert, skurrile Tänze aufführt oder lauernd sie Szenerie beäugt. Anne Müller vollführt das mit beachtlichem körperlichem Einsatz. Aber die Funktion dieser Figur und deren Aussage wird nicht deutlich, was sie letztlich überflüssig macht. Überflüssig sind eigentlich auch die Video-Bilder, die oft über die Fassaden projiziert werden und erst recht der Einsatz einer Live-Kamera, die (zudem noch unsynchron) die Gesichter vergrößert.

Im 2. Akt öffnet sich die Bühne etwas und beschwört den Charakter eines Nachtstücks. Nur Don Giovannis Festsaal ist hier ein heller Albtraum in Lametta. Und fast alles, was hier an Bewegung zugelassen wird, ist Sache der Drehbühne, die nur noch pausenlos rotiert. Eindrucksvoll gerät immerhin Don Giovannis Höllenfahrt, auch wenn ihr ein Hauch von „Geisterbahn“ anhaftet. Damit endet auch die Oper, das „lieto fine“ hat Bosse gestrichen. Eine Inszenierung, die nicht weh tut, die aber auch keine nachhaltigen Eindrücke hinterlässt. In Bremen, wo der Don Giovanni am gleichen Tag Premiere hatte, war die Regie ausgefeilter, dafür aber eher näher an Beckett als an Mozart.

Uneingeschränktes Vergnügen bereitet die musikalische Seite. Adam Fischer und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg sorgen für eine klanglich fein austarierte Wiedergabe, bei der die instrumentalen Details ebenso zu ihrem Recht kommen, wie die mit großen Bögen entfachte Dramatik. Exzellent auch die auf der Bühne postierten Musiker (Cello bei Zerlinas Arie „Batti, batto o bel Masetto“!).

Mit André Schuen als Don Giovanni und Kyle Ketelsen als Leporello steht ein prachtvolles Duo auf der Bühne, das an stimmlicher und darstellerischer Präsenz keine Wünsche offen lässt. Ketelsen hat an stimmlicher Substanz sogar noch etwas die Nase vorn. Seine Registerarie begeistert, ebenso Schuens im Liegen gesungenes Ständchen. Bei Julia Kleiter und Federica Lombardi sind Giovannis Opfer Donna Anna und Donna Elvira bestens aufgeboten. Beide Sängerinnen können mit Glanz und Ausdruck überzeugen.

Anna Lucia Richter ist mit lieblichem Sopran als Zerlina wie ein Sonnenschein. Sie ist die einzige, die aus ihrem Abenteuer ohne seelischen Schaden herauskommt und mit ihrem Masetto (Alexander Roslavets) wohl doch noch ihr Glück findet. Dovlet Nurgeldiyev singt beide Arien des Don Ottovio mit kraftvollem, männlichem Ausdruck. Eine Klasse für sich ist Alexander Tsymbalyuk als Komtur. Sein voller Bass ertönt mit erzener Wucht raumgreifend und bedrohlich durch das Finale.

Wolfgang Denker, 24.10.2019

Fotos von Brinkhoff/Mögenburg