Stuttgart: „Der Räuber Hotzenplotz“, Sebastian Schwab

Zu einem umjubelten Erfolg geriet die Neuproduktion von Sebastian Schwabs neuem Singspiel Der Räuber Hotzenplotz  an der Staatsoper Stuttgart. Die erfolgreiche Uraufführung fand bereits am 4. Februar 2023 statt. Bei der hier zu besprechenden sechsten Aufführung handelte es sich um eine morgens um 11 Uhr stattgefundene Schülervorstellung. Das ganze Opernhaus war mit Grundschülern und ihren Lehrern gefüllt. Am Ende spendeten die Kinder begeisterten Applaus. Was sie auf der Bühne sahen, hatte trotz einer technischen Panne, deretwegen die Aufführung im zweiten Akt kurz unterbrochen werden musste, den sprichwörtlichen Funken zum Überspringen gebracht.

(c) Staatsoper Stuttgart

Otfried Preußler wäre dieses Jahr hundert Jahre alt geworden. Grund genug für die Junge Oper der Staatsoper Stuttgart bei dem Komponisten Sebastian Schwab ein neues Stück Musiktheater in Auftrag zu geben, das auf Preußlers wohl berühmtestem Kinderbuch Der Räuber Hotzenplotz beruht. Bislang hatte es nur drei Filme und einige Theaterstücke über den Hotzenplotz gegeben. Nun also tritt ein Singspiel dazu. Und gar kein schlechtes. Was man an diesem Morgen zu hören bekam, war durchaus beachtlich. Schwab hat zusammen mit Elena Tzavara, Anne X. Weber und Susanne Lütje, die für das Libretto und die Liedtexte verantwortlich zeichneten, hervorragende Arbeit geleistet. Das Singspiel bewegt sich ganz nah an Preußlers Buch und gibt dessen Inhalt größtenteils eins zu eins wieder. Eine Abweichung von der Vorlage gibt es nur einmal: Der große und böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann, ein großer Kartoffelnarr, überlebt. Nachdem Kasper die Fee Amaryllis von ihrem Unkendasein erlöst hat, beschließt Zwackelmann, aus dem Stück auszusteigen und in die Kantine zu gehen, wo es an diesem Tag Nudeln mit Tomatensauce gibt. Bratkartoffeln kann er nicht mehr sehen. Das war eine veritable, durchaus kindgerechte Umdeutung. Schwab und sein Team haben Preußlers Geschichte ernst genommen und gekonnt in ein sehr heiteres Singspiel für Jung und Alt gekleidet.

(c) Staatsoper Stuttgart

Die Musik kann sich sehen lassen. Wir haben es hier mit einem ständigen Wechsel von gesungenen und gesprochenen Passagen zu tun. Oftmals werden melodramatische Einflüsse spürbar. Ein Großteil der Partitur gemahnt an Volksmusik. Auch Musical-Klänge sind haufenweise vernehmbar. Insbesondere Leonard Bernstein stellt offensichtlich eine enorm wichtige Inspirationsquelle für Schwab dar. Darüber hinaus zeichnet sich das Werk durch eine prägnante Rhythmik aus, die man in erster Linie mit der Figur des Hotzenplotz in Verbindung bringen kann. Das alles gilt insbesondere für den ersten Akt. Im zweiten Akt wird der Einfluss der italienischen Oper spürbar. Da hört man auf einmal sehr lyrische, weiche und getragene Stellen. Die Musik kann auch mal ungemein dramatisch werden. Verdi und Wagner reichen sich hier die Hände. Hier handelt es sich um ein eindrucksvolles Potpourri unterschiedlichster Musikstile. Und zu den traditionellen Orchesterstimmen gesellen sich so außergewöhnliche Instrumente wie Akkordeon, Cimbalom, Harmonium und allerlei Schlagwerk. Das alles ergibt ein recht abwechslungsreiches Klangbild, das Dirigent Christopher Schumann mit dem gut disponierten Staatsorchester Stuttgart trefflich auslotet und in seiner großen Differenziertheit ausgezeichnet wiedergibt.

Elena Tzavara, in deren Händen ebenfalls die Regie lag, hat sich in Zusammenarbeit mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Elisabeth Vogetseder dem Stück mit viel Liebe angenommen und es beherzt auf die Bühne gebracht. Ihr geht es nicht um die psychologische Entwicklung der Charaktere, sondern mehr um holzschnittartige Figurenzeichnungen. Alle Personen und Konflikte sind aus dem Kasperletheater heraus entwickelt. Aus diesem entstammt auch der Spruch Seid ihr schon alle da?, auf den die anwesenden Kinder mit einem lautstarken  Ja antworteten. Die Kontaktaufnahme mit dem Publikum, sprich den Schülern, wird hier oft gepflegt. Dadurch wird die sogenannte vierte Wand aufgehoben. Eine Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum findet nicht mehr statt. Das ist ein altbewährtes Theatermittel, ebenso wie die Einbeziehung des Parkettes, durch dessen erste Reihe sich Kasper im zweiten Akt den Weg zur Hohen Heide sucht, in das Spiel. Hier handelt es sich um angewandten Brecht.

(c) Staatsoper Stuttgart

Die ganze Produktion stellt gleichsam ein Theater auf dem Theater dar, das durch viele verschiedene Vorhänge versinnbildlicht wird. Letztere werden von Statisten bewegt und weisen unterschiedliche Farben auf, die jeweils unterschiedliche Personen und Orte symbolisieren. So steht die Farbe Gelb für den Räuber Hotzenplotz, die Farbe Rosa für die Großmutter, die Farbe Schwarz für den Zauberer Zwackelmann sowie die Farbe Grün für den Wald. Im Übrigen werden die Handlungsorte nur angedeutet. Es bleibt dem Publikum viel Raum für eigene Assoziationen. Frau Tzavara erlaubt den Zuschauern bereitwillig, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und zu erkunden, wie das Theater funktioniert. Nachhaltig werden hier alle Effekte des Theaters herangezogen. Trefflich gelungen sind die herrlichen Zaubertricks, die vor allem die Kinder begeisterten. Zu alldem gesellt sich eine mehr konventionelle Personenzeichnung, die indes recht intensiv ausfällt. Besonders gelungen sind in dieser Beziehung der statt einer Zipfelmütze eine Narrenkappe tragende Kasper sowie der Zauberer Zwackelmann. Natürlich erhält aber auch der Räuber Hotzenplotz, der immer wieder einem Orchestermusiker sein Gewehr zur Aufbewahrung übergibt, eine sehr persönliche Zeichnung, die ihn sogar fast sympathisch wirken lässt. Das kann man so machen. Das war eine Deutung, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Auf variablem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Franz Hawlata sang mit beeindruckender Bassgewalt einen ansprechenden Räuber Hotzenplotz, den er auch beeindruckend spielte. Mit einer feinen Darstellung spielte sich der Kasper von Elliott Carlton Hines in die Herzen des jungen Publikums. Auch gesanglich überzeugte er mit gut fokussiertem Bariton. Die Tenöre Dominic Große (Seppel) und Torsten Hofmann (Wachtmeister Dimpfelmoser) fielen dagegen mit ihren jeder soliden Körperstütze entbehrenden und recht maskig klingenden Stimmen ab. Da konnte Heinz Göhrig als Zauberer Zwackelmann mit teilweise etwas kräftigerer Tongebung schon etwas besser überzeugen, indes sang er insgesamt mit variablem Stimmsitz. Einen imposanten Mezzosopran brachte Maria Theresa Ullrich in die Partie der Großmutter ein. Der Fee Amaryllis gab Clare Tunney mit tadelloser Tongebung ein vokal ansprechendes Format.

Fazit: Ein für alle Altersstufen geeignetes, hoch gelungenes neues Stück Musiktheater, dessen Besuch lohnt.

Ludwig Steinbach, 20. März 2023


„Der Räuber Hotzenplotz“
Sebastian Schwab

Staatsoper Stuttgart

Inszenierung: Elena Tzavara
Bühnenbild und Kostüme: Elisabeth Vogetseder
Musikalische Leitung: Christopher Schumann
Staatsorchester Stuttgart

Trailer