Stuttgart: „Nixon in China“

Besuchte Aufführung: 3.5.2019 (Premiere: 7.4.2019)

Die Nachrichten in der Oper

Zu einer beachtlichen Angelegenheit geriet die Neuproduktion von John Adams` auf einem Libretto von Alice Goodman beruhender, 1987 an der Houston Grand Opera aus der Taufe gehobener Oper Nixon in China in der Inszenierung von Marco Storman, dem Bühnenbild von Frauke Löffel und den Kostümen von Sara Schwartz. Auf den ersten Blick konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Nachrichten hier in die Oper gehen, denn wir haben es hier mit einem interessanten Stück ehemaliger Tagespolitik zu tun. Geschildert wird der erste Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Nixon in der Volksrepublik China im Febr 1972.

Im Zentrum des Geschehens steht die auch von der Regie nachhaltig thematisierte Medienwirksamkeit von Nixons Staatsbesuch in China. Schon bei der Ankunft sinnt Nixon vor allem über die Nachrichtenbilder, die sein Besuch erzeugt. Bei philosophischen Gesprächen mit Mao, einem alkoholgesättigten Staatsbankett, der Absolvierung des fast musicalhaften Rahmenprogramms und dem Besuch einer kulturrevolutionären Modelloper überlagern sich Realität, Polit-Inszenierung und Erinnerung und verbinden sich zu einem Ort – oder einem Zustand – außerhalb der Zeit (vgl. Programmbuch S.6). Dem Regisseur geht es nicht um eine historisch-realistische Abbildung des Staatsbesuches. Das Bühnenbild spart eine Abbildung des wirklichen China aus. Es stellt vielmehr eine Installation dar, die auch für manches andere Werk gepasst hätte. Ein Flughafen und ein Düsenjäger sind zu Beginn nicht zu sehen. Nixon senkt sich vielmehr in einem riesigen Käfig vom Himmel herab. Auch die Kostüme gehen in eine neutrale Richtung. Die Gewandungen von Nixon, seiner Frau und Kissinger kann man noch als amerikanischer Natur bezeichnen, die Kleider der Chinesen wirken aber alles andere als fernöstlich. So ist Mao ein in einem weißen Anzug erscheinender Sektenprediger, der viel liest und sich im Philosophieren gefällt. Ein erster Höhepunkt des Ganzen ist sein Gespräch mit Nixon im ersten Akt. Der amerikanische Präsident glaubt, aus der Debatte als Sieger hervorzugehen. Indes merkt Nixon nicht, dass Mao die Vorzeichen längst so gekonnt variiert hat, dass er nun hoffnungslos unterlegen ist. Bereits diese Szene hat Storman sehr stringent inszeniert. Auch sonst ist an seiner Personenregie nicht das Geringste auszusetzen. Das war ein abwechslungsreicher, spannungsgeladener Abend, an dem es an keiner Stelle langweilig wurde.

Insgesamt geht es in dieser Produktion um die Überlagerung verschiedener Stücke und unterschiedlicher politischer Systeme und Erzählebenen sowie das Gegeneinander von chinesischen Traditionen und christlichen Inhalten. Insbesondere im Opern-Bild des zweiten Aktes wird das Spiel von Realitäts- und Wahrnehmungsebenen gehörig thematisiert. Es sind starke, eindringliche Impressionen, die das Regieteam hier präsentiert. Derartige Bilder können sich indes auch mal widersprechen, was ein zentraler Aspekt von Stormans Ansatzpunkt ist. Was bedeuten diese Bilder? Wie schnell kann man auf sie hereinfallen? Das zu Beginn vom Schnürboden herabfliegende amerikanische Time-Magazin sowie eine Anzahl von roten Mao-Bibeln, mit denen auch die amerikanischen Gäste eifrig hantieren, sind hier zu erwähnen. Stehen sie wirklich für die anvisierte Eintracht? Diese essentiellen Fragen werden von Storman nachdrücklich in den Raum gestellt. Er geht aber noch weiter. Alice Goodman kam es darauf an, eine große heroische Oper zu schreiben. Die Figuren versuchen alle, sich zu Helden zu machen. Wer sind die Helden des 20. Jahrhunderts? Was macht sie aus? Der ganze Staatsbesuch Nixons ist eine einzige, groß angelegte Heldenkonstruktion. Derartigen Heldenbildern misstraut der Regisseur indes voll und ganz. Er setzt auf eine völlige Dekonstruktion von Heldenmythen und interpretiert Nixon allein durch das Entertainment-Element. Dem Präsidenten kommt es in erster Linie darauf an, durch eine Selbstinszenierung zu wirken. In seinem Heimatkontinent auf dem Fernsehbildschirm zu erscheinen, ist ihm das Wichtigste. Dass Mao der Anführer einer Sekte ist, wurde schon erwähnt. Er wird über die Räume definiert und debattiert mit dem amerikanischen Präsidenten auf psychologischer Ebene. Nachhaltig werden die Strukturen offen gelegt, wie sich Macht manifestiert. Es ist ein interessanter Gegensatz zwischen zwei Staatsoberhäuptern, den die Regie hier so eindringlich herausgearbeitet hat. Daran, dass Mao ein ausgemachter Verbrecher war, kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Das wird spätestens an der Stelle deutlich, als der chinesische Machthaber an einer Reihe von Delinquenten mit Namensschildern vorbeigeht, die dann der Reihe nach tot umfallen.

Mit seinem Staatsbesuch hat Nixon China die westliche Welt erschlossen, was auch wesentlich für seine Wiederwahl gewesen sein dürfte. In seiner Reise nach Peking liegt eine Wurzel dessen, wie heute Politik gemacht wird. Insoweit bekommt die Aufführung einen ungemein aktuellen Anstrich, der vom Regisseur groß herausgestellt wird. Der Kampf zweiter Kulturen mag heute in mancher Hinsicht noch genauso zeitgemäß sein wie damals. Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Systemen kann es immer geben. Und auch dem Faktor Macht kommt hier großes Gewicht zu. Es geht darum, wie die Protagonisten längst von ihm infiltriert sind, und wie die Bilder von Macht innere Meinungen gerieren. Hier haben wir es mit Rollenspielen zu tun. Allerdings wenden sich die Beteiligten irgendwann von ihren Rollen ab und wollen von diesen dann auch nichts mehr wissen. Ferner wird offenkundig, wie dem zu Beginn sehr selbstsicher auftretenden Nixon nach und nach seine Sicherheit genommen wird. Seine anfängliche Stärke wandelt sich in Schwäche. Das wird insbesondere im kammerspielartig inszenierten dritten Akt deutlich. Der Orchestergraben ist jetzt überdeckt, die Bühne reicht bis an das Parkett heran. Dirigent und Souffleuse sitzen im linken Teil der Bühne und kommen ihrer jeweiligen Arbeit nach. Das Orchester wird aus dem Off eingespielt. Die sechs Handlungsträger versuchen sich darüber klar zu werden, wo sie in ihrem Leben gestrandet sind, und verlieren sich in Erinnerungen. Der Aufbau einer gemeinsamen Zukunft ist nun unwesentlich geworden. Die Frauen haben sich von ihren Männern abgewandt und einen gehörigen Schuss an Eigeninitiative entwickelt. Nixon hält es schließlich auf der Bühne nicht mehr länger aus und flüchtet sich ins Publikum, wo er bis zum Schluss sitzen bleibt. Bertolt Brecht lässt grüßen. Auch der Chor singt seine Passagen oft aus den Rängen, was einen ganz eigenen Klangeindruck hinterließ. Insgesamt kann man die Inszenierung als voll gelungen betrachten.

Auch Adams’ Musik konnte beeindrucken. In erster Linie huldigt der Komponist hier der Minimal-Music, bringt aber auch andere Faktoren mit ins Spiel. So zum Beispiel das Musical. An einer Stelle fühlte man sich stark an Leonard Bernsteins West Side Story erinnert. Auch traditionelle Oper lässt Adams in sein Werk mit einfließen. So vernimmt man einmal Jochanaan-Musik aus Richard Strauss’ Salome. Anklänge an Wagner und Schönberg werden ebenfalls deutlich. Jazz-Elementen wird in gleicher Weise gehuldigt. So ergibt sich ein ansprechendes Klanggemisch, dass bei André de Ridder und dem versiert aufspielenden Staatsorchester Stuttgart in guten Händen war. Die Zitate aus der Musikgeschichte haben Dirigent und Musiker trefflich herausgestellt und die Übergänge passend gestaltet. Der Klangteppich war vielschichtig und differenziert. Wunderbar muteten am Ende die Streicherkantilenen an. Lediglich einige von der Minimal-Music geprägte Stellen hätte man sich ein wenig markanter gewünscht. Das aber nur am Rande.

Michael Mayes ging darstellerisch voll in der Rolle des Nixon auf, dem er mit gut gestütztem und markantem Bariton auch gesanglich ein ansprechendes Profil verlieh. Als sein Gegenspieler Mao Tse-tung bewährte sich mit hellem, vorbildlich fokussiertem Tenor und eindringlichem Spiel Matthias Klink. Ebenfalls schauspielerisch trefflich und recht tiefgründig singend wertete Katherine Manley die Rolle der Pat Nixon auf. Bis in die stratosphärischen Höhen ihres beachtlichen Soprans sicher sang Gan-ya Ben-gur Akselrod die Partie von Maos Frau Chiang Ch`ing. Stimmlich sehr sonor legte Shigeo Ishino den Henry Kissinger an, den er auch überzeugend spielte. Dagegen fiel Jarrett Ott s kopfig singender Chou En-lai ab. Einen soliden Eindruck hinterließen Ida Ränzlöv, Fiorella Hincapie und Luise von Garnier als die drei Sekretärinnen Maos. Einmal mehr auf hohem Niveau präsentierte sich der von Bernhard Moncado einstudierte Staatsopernchor Stuttgart.

Fazit: Ein spannender Opernabend, der der Stuttgarter Staatsoper zur hohen Ehre gereicht.

Ludwig Steinbach, 4.5.2019

Die Bilder stammen von Matthias Baus