Premiere am 2.10.2022
Triumph der Musik
Sie sollte das Geschenk sein, dass sich Daniel Barenboim selbst zu seinem 80. Geburtstag machen wollte, die dritte von ihm betreute Produktion von Wagners Der Ring des Nibelungen an der Staatsoper Unter den Linden nach dem Harry-Kupfer-Ring, der bis 1996 auf dem Spielplan stand, dem Ring in der Regie von Guy Cassiers in Zusammenarbeit mit der Mailänder Scala, von dem 2010 Rheingold und 2013 Götterdämmerung im Schillertheater Premiere feierten und nun Dmitri Tcherniakov, der bereits zwei Wagner-Opern, nämlich Parsifal und Tristan und Isolde, mit dem Dirigenten erarbeitet hatte. Kurze Verfallszeiten also für ein Werk, das zu stemmen immer eine besondere Herausforderung an ein Opernhaus darstellt. Und ungewöhnlich auch die Tatsache, dass nur ein Jahr nach dem neuen Ring in der Bismarckstraße einer Unter den Linden folgt. Vielleicht war es das Unbehagen über den unzeitgemäß plüschigen Cassiers-Ring, der in dem Dirigenten den Wunsch hatte wach werden lassen, eine weiter in die Zukunft reichende Produktion zur Krönung seiner Beschäftigung mit dem Mammutwerk entstehen zu lassen.
Nun kam eine länger als gehofft währende Krankheit dazwischen und zwang ihn dazu, die Arbeit in andere Hände zu legen, und man kann Daniel Barenboim seine Großherzigkeit nicht hoch genug anrechnen, dass er dazu nicht irgendeinen, sondern den bestmöglichen Kollegen aussuchte, dass es ihm offensichtlich nicht darauf ankam, das Bedauern über seine Absage wach zu halten, sondern darum ging, dem Werk und dem Haus die größte Chance zu einem Erfolg offen zu halten. Er selbst soll Christian Thielemann angerufen und ihm den Ring angeboten haben, für die erste und letzte Aufführung im Oktober konnte Thielemann zusagen, die mittlere wird Thomas Guggeis dirigieren. Im Vorfeld hatte Christian Thielemann verlautbaren lassen, er sei voll und ganz einverstanden, ja begeistert vom Regiekonzept Tcherniakows. Das machte Hoffnung, auch wenn man einem Parsifal, an dessen Ende Gurnemanz aus heiterem Himmel Kundry abmurkst, und einer Isolde, die sich nach dem Liebestod den Wecker stellt, ehe sie sich in den Alkoven zum toten Tristan zurückzieht, wenig hatte abgewinnen können. Aber die Werbeposter mit einem Reif, über nebligen Flussauen schwebend, ließen eine Abkehr der Regie vom wohl übermächtigen Drang zum Banalisieren, Brutalisieren, kurzum Verramschen erhoffen.
Vergebene Hoffnung, was die Gestaltung des Bühnenbilds, nicht aber, was die der Charaktere und der Handlung betrifft! Hatte man zum Ende der Saison in der Deutschen Oper noch erlebt, dass aus Hans Sachs, Schuster und Poet dazu, der Leiter eines Konservatoriums und eine ziemlich fiese Figur wurde, so zaubert die Regie aus Wotan, Gott und vielfacher Vater, den Chef eines Forschungsinstituts namens E.S.C.H.E, mit einer solchen im Innenhof, außerdem vielen Räumlichkeiten wie Stresslabor, Wartezimmer, Konferenz- oder Verhörraum. Der Charakter der Figur jedoch bleibt erhalten und damit das Konzept erträglich. Es wird viel von rechts nach links und von oben nach unten gefahren, und Tcherniakov, der auch stets sein eigner Bühnenbildner ist, frönt wieder seiner Liebe zu hellen Holzverkleidungen, so dass man an Tristans Schiff erinnert wird. Dass diese Räume gar nichts von der Musik ausstrahlen, ein Labor, in dem Alberich psychischer Folter unterworden wird, nichts vom Grund des Rheins, anstelle des Regenbogens, auf dem die Götter nach Walhalla schreiten, von Donner ein paar bunter Papierschlangen in die Luft geworfen werden, es weder Riesenschlange noch kleine Kröte und statt der Tarnkappe nur eine Mütze gibt, ist alles erträglich, wenn die Figuren in ihrer Substanz erhalten bleiben. Auch die Kostüme von Elena Zaytseva, die die Rheintöchter in Laborkittel und die Göttinnen in Spießiges kleiden, können die Freude an der Musik nicht unterdrücken, denn deren Anwalt im Orchestergraben nimmt sich alle Zeit, ihre Großartigkeit, ihre Tiefe, ihren Glanz zu entfalten und holt aus der Staatskapelle ein Höchstmaß an edlem, dunklem Klang, an innerer Spannung und an liebe- und rücksichtsvoller Begleitung heraus.
Viele Jahre ist es her, dass Rolando Villazon als Nemorino an der Staatsoper eine glanzvolle, wenn auch kurze Karriere begann. Sah sich das Haus bei ihm in der Schuld, weil er hier, so mit Don José, zu schnell zu schwere Partien gesungen hatte, dass man ihm nun die Rolle des Loge anvertraut und wohl keinen Gefallen erwiesen hatte? Er wurde gnadenlos ausgebuht für eine jämmerliche vokale Leistung, und auch die Regie hatte es mit ihm nicht gut gemeint, wenn sich Über-die-Haare-Streichen als wesentliches Merkmal der schillernden Persönlichkeit angesehen wurde. Dabei hatte man mit Stephan Rügamer einen vorzüglichen Tenor für die Partie im Ensemble. Nun musste er mit der kleinen Rolle des Mime vorliebnehmen, war aber auch in ihr ohne Fehl und Tadel. Endlich alle seine Vorzüge ausspielen in einer ihm angemessenen Rolle konnte Michael Volle als Wotan mit viel szenischer und vokaler Autorität, einem kraftvollen und dabei geschmeidigen Bariton, den er ebenso klug einzusetzen wusste wie seine szenische Präsenz. Ihm zur Seite stand mit Claudia Mahnke eine Fricka, auf die man sich, weil aus dem Frankfurter Ring bekannt, besonders gefreut hatte und die nicht enttäuschte. Eine frische Sopranstimme setzte Anett Fritsch für die Freia ein, Anna Kissjudit war eine Erda mit tiefdunkler, geschmeidiger und Autorität ausstrahlender Altstimme. Schade nur, dass alle Damen sich spießig gewandet dem Regiekonzept beugen mussten.
Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja erwiesen sich als akustisch fein aufeinander abgestimmte Rheintöchter. Johannes Martin Kränzle war einmal mehr und auch diesmal erfolgreich der Alberich vom Dienst, Mika Kares hatte für den liebebedürftigen Fasolt eine Stimme wie aus dunklem Samt, von etwas härterem Gewebe war die von Peter Rose als ebenfalls rollendeckendem Fafner.
Zunehmend gewinnt man den Eindruck, als kämpfe die Musik gegen die Szene, als bäume sie sich gegen sie auf, auch wenn in dieser Produktion die Eingriffe in Handlung und Charaktere vergleichsweise moderat waren. Und das Schöne ist: Sie gewinnt, besonders wenn sie einen Anwalt wie Christian Thielemann hat.
2.10.2022 / Ingrid Wanja
Fotos: Monika Rittershaus