Berlin: „Die Meistersinger von Nürnberg“

Osterfestspiele 2019, besuchte Vorstellung: 18. April 2019

Um es vorweg zu nehmen: Es war dies eine der besten Meistersinger-Produktionen, welche ich gesehen und gehört habe.

Die Regisseurin Andrea Moses hat mit diesen Meistersingern ein wahres Meisterstück geliefert. Es ist selten, dass eine Opernregisseurin, ein Opernregisseur der schauspielerischen Leistung, der Körperarbeit, der Mimik und Gestik ihres Teams auf der Bühne so viel Beachtung schenkt. Moses geht davon aus, dass die Sängerinnen und Sänger ihren musikalischen Part perfekt beherrschen. Sie leitet ihre KünstlerInnen zur dramaturgisch optimalen Interpretation ihrer Rolle an und erreicht dadurch einen klaren Ablauf der zu erzählenden Geschichte. Sie scheut sich nicht, zusammen mit Daniel Barenboim dramaturgisch sinnvolle Pausen -kurze Breaks- einzusetzen. Diese Pausen sind in der Partitur zumeist nicht vorgesehen.

Richard Wagner schreibt in Über Schauspieler und Sänger: Bei meinem Abschiede konnte ich ihnen somit die hierdurch wiederum in mir lebendig gewordene Überzeugung aussprechen, dass, wenn das Schauspiel wirklich durch die Oper verdorben worden sei, es jedenfalls nur durch die Oper wieder aufgerichtet werden würde. Ein deutliches Bekenntnis zur Sängerin-Schauspielerin, zum Sänger-Schauspieler und eine klare Absage an das Rampensingen! Zu einer Zeit als Belcanto noch hoch im Kurs stand.

Des Weiteren inszeniert Frau Moses das Zusammenspiel, das Verhältnis der Protagonistinnen und Protagonisten zueinander in den einzelnen Szenen gekonnt. So spüren die ZuschauerInnen/ZuhörerInnen die Ungeduld, die Ungläubigkeit Walters während der Einführung Davids in die Regeln des Meistergesanges. Hilf Gott! Will ich den Schuster sein? In die Singkunst lieber führ mich ein. Und meint eigentlich: Mach endlich vorwärts, wie werde ich Meister, hör auf mit dem Gebrabbel! Und dies wird in Moses Inszenierung klar herausgearbeitet. Diese Detailarbeit zieht sich durch das ganze Werk. So, und nur so, kann eine Geschichte erzählt werden. Auf diese Weise wird die Produktion zu einem Gesamtkunstwerk im Sinne Richard Wagners.

Für die angestrebte Interaktion der Charaktere sind auch die oben erwähnten kurzen Pausen wesentlich. Als Beispiel dafür sei Walters Preislied: Nur mit der Melodei seid Ihr ein wenig frei (kurze Pause um Walter Zeit zur Reaktion, eine ungeduldige Geste, zu geben) Doch sag ich nicht dass das ein Fehler sei. Und genau diese kleinen Gesten machen die Geschichte glaubhaft und unterstreichen optimal die angestrebte Wirkung.
Dazu kommt ihre hervorragende Personenführung auf der Bühne. Nie ist eine Szene belebt mit unwichtigen Aktivitäten, welche nur von der Musik, dem Gesang, der Handlung ablenken. Wer auf der Bühne ist, hat eine Aufgabe, eine dramaturgisch wichtige Tätigkeit, welche den Ablauf der Geschichte weiter trägt.

Zur der Arbeit der Sängerinnen und Sänger ist folgendes anzumerken: Das gesamte Team auf der Bühne brilliert mit perfekter Intonation, hervorragender Diktion und einem Kunstgesang ohne falsches Vibrato und Brummen, Klebsilben und ähnliches mehr.

Als imponierenden Hans Sachs erleben wir mit mächtiger Stimme Wolfgang Koch. Sein Auftreten auf der Bühne entspricht dem darzustellenden Handwerker.

Sein Antagonist, Martin Gantner als Sixtus Beckmesser, ist das pure Gegenteil: Geschniegelt im Anzug erscheint er auf der Bühne und interpretiert seinen Part als hochgelahrter Herr Stadtschreiber perfekt. In den gesungenen Zwiegesprächen ergänzen die Beiden sich hervorragend und verstärken die dramaturgische Wirkung ihres jeweiligen Widerparts. Dies gilt speziell auch für die Szene mit/gegen Walther von Stolzing Am stillen Herd.
Der Altmeister Matti Salminen als Veit Pogner kann nur als hervorragend bezeichnet werden. Seine Stimme ist ruhiger, tiefer als in jüngeren Jahren, aber seine Charakterisierung Pogners ist makellos, lässt keine Wünsche übrig.
Burkhard Fritz interpretiert seinen Stolzing mit jugendlicher Frische, klarem Tenor mit schauspielerischem und sängerischem Können, welches man in dieser Kombination selten zu sehen bekommt.

Der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo, als David spielt und singt in der gleichen Klasse wie die anderen Solisten und Solistinnen. Hervorragend auch Katharina Kammerloher als Magdalene. Eva wird gesungen und glaubhaft dargestellt von Julia Kleitner. Sie ist eine Könnerin der kleinen Gesten, welche ihre hervorragende Schauspielkunst unterstreichen und verstärken.

Bei der Namensliste der Meistersing kommen einem viele wunderbare Opernabende in den Sinn: Franz Mazura (Hans Schwarz), Graham Clark (Kunz Vogelgesang), Siegfried Jerusalem (Balthasar Zorn), Olaf Bär (Hans Foltz), ein Aufgebot wegweisender Stars des Musiktheaters im 20./21. Jahrhundert.
Daneben die ein bisschen jüngere Generation: Reiner Goldberg (Ulrich Eisslinger) Arttu Kataja (Herman Ortel), Florian Hoffmann (Augustin Moser), Jürgen Linn (Fritz Kothner), Adam Kutny (Konrad Nachtigall).

Der Staatsopernchor geleitet von Martin Wright löste seine Aufgabe mit musikalisch beeindruckender Präzision, grossem Einsatz und Gefühl für die Dramaturgie des Werkes Wagners.

Die Staatskapelle Berlin unter der Stabführung von Daniel Barenboim musizierte gewohnt präzise mit viel Gefühl für Richard Wagners Meistersinger. Hervorragend die war auch Barenboims Eingehen auf die dramaturgisch so wichtigen, weiter oben angesprochenen kleinen Pausen.

Das zahlreich erschienene Publikum, nicht nur aus Berlin, nein auch aus ferneren Gegenden, belohnte die vorzügliche Leistung im Graben, auf der Bühne und im Hintergrund mit dem hochverdienten, langanhaltenden, lautstarken Applaus und Bravi Rufen.

Ein spannender, ein genussreicher Opernabend geht für mich zu Ende. Mein Dank geht an die Staatsoper unter den Linden mit ihrem ganzen Team.

Peter Heuberger 22.4.2019

© Fotos Bernd Uhlig