Berlin: „La fanciulla del West“

Puccini

Etwas fürs Repertoire

TRAILER

Na bitte, es geht doch: Man kann getrost alle Probleme unserer Zeit wie Diversität, Rassismus, wie immer geartete Sexualität auf die Opernbühne in welches Werk auch immer bringen und trotzdem gehen alle zufrieden nach Haus. Für Puccinis La Fanciulla del West, die am 13.6. ihre Premiere in der Staatsoper und zeitgleich für Autobesitzer auf dem Tempelhofer Feld erlebte, sind das die folgenden Einfälle: aus dem treuen Nick wird eine ebenso treue Transe, aus der Indianerin (hochgefährlich!) eine blonde Weiße, und wenn Minnie mal nicht hinguckt, kopulieren Wowkle und ihr Noch-nicht-Ehemann miteinander. Statisten kann man auch bei einem nicht mit Personal geizenden Werk wie der Fanciulla noch hinzufügen, so einen erstgeborenen, bereits vor Vorstellungsbeginn und danach andauernd Popcorn malmenden Sohn von Wowkle und eine in Glitzerkostüme gehüllte Varietétruppe, die sich kurz mal an Ringen produziert, aber nicht weiter beachtet wird vom eigentlichen Personal. Über dem kleinen Imbisswagen Minnies (Wien und die Deutsche Oper Berlin lassen grüßen.) thront eine riesige Pin-up-Figur in wechselnder Beleuchtung. Der gegenüber dürfte es Minnie schwer haben mit ihren Bibelstunden. Aber das alles ist nur Garnierung, greift weder in die Handlung noch in die Substanz der Charaktere ein und wird so gut vertragen.

Auf der Bühne von David Zinn, für den ersten und dritten Akt identisch, für den zweiten Akt ein Zimmer in Minnies Hütte wie aus der dunklen Holzwand herausgeschnitten, dominieren außerdem ein Lieferwagen, der gern zum Erhängen von tatsächlich oder nur angeblich Straffälligen benutzt wird, und ein ausgestopfter Büffel, der den bisher geschürften Goldschatz der Männer bewahrt. Die Optik in der Produktion der amerikanischen Regisseurin Lydia Steier zerfällt demnach in eine ganz und gar konservativ-werkgerechte und eine dem Stück aufgepflanzte, aber nicht weiter störende. Und damit müssten eigentlich alle zufrieden sein, umso mehr, als die Personenregie eine einfühlsame, unaufdringliche und die einzelnen Charaktere der Goldschürfer fein herausarbeitende ist. Geschmackssache dürfte der wechselnde Hintergrundprospekt mit heftigen Wetterdramen sein, häufig in Bonbonfarben und die Szene dominierend, eindrucksvoll ist der Schneesturm, dem auch akustisch mit Einsatz aller Wind- und Wettermaschinen Zeit zugestanden und Nachdruck verliehen wird und durch den auch mal ein Stück Wild irren darf.

Die Aufführung beginnt mit einem Gehängten und endet mit Verbrennenden, nein, nicht ganz, denn der optimistische Schluss bleibt, wenn auch unspektakulär durch das Herabsenken des Zwischenvorhangs vor dem die Bühne verlassenden Paar, bleibt erhalten und damit auch die gute Stimmung im Publikum.

Der Regie ist es gelungen, die Substanz des Stücks zu bewahren und doch mit neuen Schau-Effekten nicht zu geizen. Da kann man sich schon auf ein Verbleiben im Repertoire und auch mit anderen Protagonisten freuen.

Die der Premiere waren überaus ansehnlich, der eigentliche Star aber war das Orchester unter Antonio Pappano, das einen glitzernden, bebenden, farbenprächtigen Klangteppich unter den Stimmen ausbreitete und das allein schon den Besuch der Aufführung wert war.

Ungewöhnlich ist für ein so großes Haus eine Besetzung der Hauptpartien einer Puccini-Oper mit fast ausschließlich deutschen Sängern. Michael Volle fühlt sich bereits zuhause im italienischen Repertoire, und für den Jack Rance hatte er die richtige Mischung von Brutalität und – ja, da hat er Recht- Verpflichtung zum Uomo d’onore. Auch der kraftvolle Bariton ist ideal für die Partie des Raubeins und die Darstellung, wie von ihm gewohnt, eine wohldurchdachte. Nicht nur optisch, sondern auch vokal wirkte Marcelo Álvarez als Dick Johnson seltsam verhalten, machte aus Ch’ella mi creda nicht den einzigen Schlager des Werks, sondern fügt es eher in das Gesamtgeschehen ein. Eine durch und durch rollengerechte Minnie gibt Anja Kampe, sehr anrührend und nachvollziehbar machend, dass die Männerschar sie nicht nur respektiert, sondern liebt. Ihr blonder Sopran passt zur Optik, kann wunderschön aufblühen und scheut auch nicht davor zurück, an den Extremstellen einmal grell zu werden.

Aus der Schar der übrigen Mitwirkenden stechen hervor: der stets in allen so ganz unterschiedlichen Rollen hochpräsente Stephan Rügamer als Nick, Grigory Shkarupa mit dem schwermütigen Gesang des Jake Wallace, Jan Martinik als markanter Ashley, Lukasz Golinski als anrührender Sonora….und alle die anderen, die gemeinsam ein wunderbares Ensemble bilden. Das Kind Mia Selka de Paiva aber muss wahrscheinlich nach der Aufführungsserie eine Abmagerungskur machen.

Fotos Martin Sigmund

14.6.2021 Ingrid Wanja