Berlin: „Manon Lescaut“

Aufführung am 8.12.16

Abenteuer in Hollywood

VIDEO

Zeitlos ist sie zweifelsohne, die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Manon Lescaut -von Abbé Prévost mitten in der absolutistischen Herrschaft von Louis XV als Skandalroman 1731 veröffentlicht, von Puccini 160 Jahre später mit der leidenschaftlichen Musik des beginnenden Verismo auf die Opernbühne gebracht. Somit scheint es legitim, die Handlung ebenfalls näher an unsere Zeit heranzurücken, den gescheiterten Traum einer ambitionierten jungen Frau zeitlich und örtlich zu verlegen, wie dies der Regisseur (und Intendant der Staatsoper) Jürgen Flimm getan hat. (Die Koproduktion mit dem Maikhailovsky Theater hatte im Oktober 2014 in St.Petersburg Premiere und gelangte nun ans Schiller Theater, die Spielstätte der Staatsoper während der Zeit der Renovierung des Hauses Unter den Linden.

Jürgen Flimm also macht nun aus Manon Lescaut ein Starlet, welches unter der Führung ihres Bruders Lescaut eine Karriere beim Film in den Studios in Hollywood (wohl Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts) anstrebt. Des Grieux trifft sie in den Studios, wo er als Statist beim Film arbeitet (und während vier Akten nie aus seinem lächerlichen Kostüm schlüpfen darf, einzig den Harlekin-Kragen darf er dann mal ablegen, die hässlichen, karierten Hosen aber bleiben). Geronte ist ein reicher Filmmogul, bei dem sich Lescaut einschleimt, um die Karriere seiner Schwester zu befördern. Doch mit dem hässlichen Geronte wird Manon nicht glücklich (obwohl sie den Luxus durchaus zu schätzen weiss …) und wirft sich wiederum dem armen Des Grieux in die Arme. Und hier beginnt die szenische Umsetzung dann zu stottern, denn wir sind ja bereits in Amerika und wohin bitteschön soll die nun Verhaftete denn deportiert werden? Während bei Puccini/Prévost eine Deportation der gefallenen Frauen von Le Havre aus in die neuen Kolonien nach Lousiana stattfindet, bleiben wir in Flimms Inszenierung im Filmstudio der Traumfabrik, die unterdessen von der Wirtschaftskrise und dem Börsencrash an der Wall Street heimgesucht wurde (Filmeinspielung zum Intermezzo sinfonico, welches von seiner Stelle vor dem dritten Akt nun vor den vierten Akt geschoben wurde).

Die letzten beiden Akte sind also szenisch wenig plausibel und dienen allenfalls als Metapher für das mediale Ausgestoßen sein nach einem Fehltritt. Man hat zwar die Inhaltsangabe im Programmheft der Inszenierung angepasst, doch den gesungenen Text inklusive Übertitel im Originalzustand des Librettos belassen. So kommt es zu Diskrepanzen und szenischen Ungereimtheiten, welche auf die Dauer doch eher störend wirken. Der Ansatz ist ja eigentlich ganz interessant, doch irgendwie wirkt die Umsetzung zu unausgegoren – oder man hätte Eingriffe ins Libretto vornehmen müssen, doch das traut man sich (vorerst) auf den meisten Opernbühnen noch nicht. Es macht ja nichts, wenn aus einem Lampenanzünder ein Müllmann wird, aus dem Steuerpächter Geronte de Ravoir ein Filmmogul, aus dem Offizier Lescaut ein ehrgeiziger (schon beinahe inzestuös veranlagter) Bruder, aus dem Studenten Des Grieux ein Komparse und wenn Manon nicht ins Kloster sondern zum Film will – das alles könnte man in einer etwas sorgfältiger durchdachten Inszenierung transportieren. (Und man hat wahrlich schon durchaus Schlimmeres, Ungereimteres gesehen …) Doch in dem Einheitsbühnenbild von George Tsypin, dieser tristen Soundstage, schleppt sich das Ganze leider etwas uninspiriert dahin – und vor allem berührt es nicht.

Und wenn man mit einer Puccini Heroine (und ihrem Liebhaber) nicht mehr mitleidet, dann stimmt etwas fundamental nicht. Daran vermögen auch die vielen Videoprojektionen von küssenden oder leidenden Liebespaaren (originale und mit den Protagonisten der Oper nachgedrehte), die ergreifenden Sterbeszenen der Filmgeschichte, die vielen Bilder der Ozeandampfer, die Tristesse nach dem Börsencrash nichts zu ändern, Empathie kommt nicht auf. Und so scheinen auch die Akteure auf der Bühne nicht wirklich in ihre Rollen zu finden: Der Des Grieux von Riccardo Massi erstarrt in eher traditioneller Operngestik, die Manon von Anna Nechaeva schlüpft kaum mal aus dem kalten Panzer ihrer Polarfuchsstola. Einzig der Lescaut von Roman Trekel erhält mehr Gewicht und Kontur, als es bei „traditionellen“ Inszenierungen der Fall ist. Hier bleibt Lescaut bis zum bitteren Ende (Warum sterben sie eigentlich alle drei im Filmstudio? Nur weil im Kühlschrank kein Wasser mehr war?) auf der Bühne, dreht – sichtlich gealtert – immer noch seine Home-Movies, lichtet seine Schwester auch in ihrem Todeskampf unermüdlich ab.

Immerhin war der Abend musikalisch durchaus ein Gewinn: Unter der energischen Stabführung von Mikhail Tatarnikov brachte die Staatskapelle Berlin Puccinis meisterhafte Partitur mit grandioser Farbenpracht zum Erblühen. Da waren all die impressionistischen Schattierungen, die dramatischen Explosionen und die subtilen Reminiszenzen zu hören – eine aufgeputschte Sinnlichkeit, die ohne Larmoyanz und Kitsch auskam. Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt spielte man gar noch das Stück CRISANTEMI (wunderbar satt und warm die Streicher der Staatskappelle Berlin!), welches Puccini drei Jahre vor der Entstehung seiner MANON LESCAUT zum Tod des Herzogs von Savoyen geschrieben hatte. Das Hauptthema dieses Andante mesto hatte Puccini dann auch im Schlussbild der MANON LESCAUT verwendet. Ein guter Einfall – und natürlich ein Vehikel für die vielen Videoprojektionen auf den Zwischenvorhang, eine Fahrt im Cabrio von Manon und Des Grieux durch die Straßen der Traumfabrik (obwohl die beiden in dieser Inszenierung ja gar nicht zusammen durchgebrannt sind, denn Manon kehrt schon beim Fallen des Vorhangs ins Studio zurück und wirft sich Geronte an den Hals).

Auch wenn das Spiel der beiden Protagonisten Manon und Des Grieux nicht wirklich berührt, Puccini singen können die beiden, und wie! Die blendend aussehende Anna Nechaeva bringt ihre zu Beginn eher etwas herb timbrierte Stimme ganz vorzüglich zum Klingen, gestaltet mit großem Atem die ausschweifenden Bögen, findet immer mehr zu aufblühenden Höhen in der Arie In queste trine morbide, den emphatischen Liebesduetten mit Des Grieux im ersten, zweiten und dritten Akt und der großen, mit schönen dynamischen Schattierungen (inklusive expressiven Tönen, die durch Mark und Bein gehen, aber stets auf Linie gesungen bleiben) interpretierten Sterbeszene Sola, perduta, abbandonata im Schlussbild. Riccardo Massi ist ihr stimmlich ein ebenbürtiger Partner: Sein wunderbar sauber und leicht ansprechender Tenor verfügt über Kraft und Schmelz, sichere, ungefährdete Höhen, fulminante Phrasierungskunst und ebenfalls den großen Atem, den es für diese Partie braucht.

Dem Lescaut hat Puccini zwar nur ein kurzes Arioso im zweiten Akt zugestanden, welches Roman Trekel mit wunderbar geschmeidiger Stimme singt. Mit der Intensität seiner Dauerpräsenz auf der Bühne, seinem präzisen Gestalten in den Ensembles wertet er die Rolle des Bruders jedoch enorm auf. Franz Hawlata legt den Filmmogul Geronte stimmlich beinahe etwas karikierend an, das klingt manchmal etwas gaumig, dann wieder leicht quäkend – unsympathisch, aber durchaus rollendeckend. Sehr gut gibt Stephan Rügamer mit klarer Diktion und sauberer Stimmführung den Edmondo im ersten Akt. Natalia Skrycka, Regina Emersleben-Motz, Olivia Saragosa, Stefani Szafranski und Anna Warnecke lassen aufhorchen, wenn sie als Revuegirls das Madrigal singen. Gelungen sind auch die Auftritte des von Ursula Kudrna bunt als Filmstatisten kostümierten Staatsopernchors (im ersten Akt) und als auf die Abreise wartende (Wirtschaftsflüchtlinge nach dem Börsencrash?) Menschen im dritten Akt. Leider verschenkt der Regisseur diese musikalisch so ergreifende Szene des Verlesens der Namen der zu Deportierenden und Des Grieux’ verzweifeltes Anflehen des Kapitäns (Pazzo son) genauso unbeholfen, wie die durch Manons Gier nach materiellen Werten verpatzte Flucht aus Gerontes Haus im zweiten Akt. Da hätte man vom versierten Theatermann Flimm, der schon unzählige Male sein Können bewiesen hat, mehr erwartet.

Kaspar Sannemann 11.12.16

Fotos (c) StOp / Matthias Baus