Berlin: „Siegfried“

Premiere am 6.10.2022

Im Wald nichts Neues

Zum dritten Mal das gleiche Spiel: Drinnen in der Staatsoper kann man gar nicht genug bekommen von Wagners Musik, dargeboten von der Staatskapelle unter Christian Thielemann, getragen und dennoch ungemein spannungsvoll, die Details auskostend und doch nie den großen Spannungsbogen aus den Augen verlierend, rauschhaft aufbrausend und doch nie die Sänger zudeckend- und draußen wird man von einem mürrischen Taxifahrer empfangen, der sich pünktlich zur vom Haus angegebenen Zeit eingefunden hatte und bereits zwanzig Minuten auf den ersten Fahrgast warten musste. Auch der Siegfried dürfte zu den längsten seiner Art gehören und zugleich zu den aufregendsten, die man sich, was das Hören betrifft, denken kann.

Immer stärker klafft von Vorstellung zu Vorstellung der Abgrund zwischen der rauschhaften musikalischen Darbietung und der kalten Ödnis der Szene. Hatte man zunächst noch seine Neugier wegen der ständig wechselnden Schauplätze befriedigen können, so langweilte und verärgerte nun zusätzlich ihre ständige Wiederkehr, wurde die Kluft zwischen den Intentionen des Librettisten/Komponisten und den Erwartungen zumindest eines Teils der Zuschauer und der Realisierung auf der Bühne der Staatsoper immer tiefer. In den Pausen konnte man sich mit dem quantitativ wie qualitativ beachtlichen Programmbuch befassen, über die vielen klugen Beiträge staunen und auch darüber, dass nicht einer vom Regisseur Dmitri Tcherniakov stammte, stattdessen aber eine sehr lückenhafte Inhaltsangabe, in der weder die Abhängigkeit der Götter von den Äpfeln Freias, noch der Zaubertrunk Gutrunes, der lediglich als „Glas Wein“ beschrieben wird, einen Platz finden. Wenn in einer gut vierzehnseitigen Inhaltsangabe dann aber nicht erwähnt wird, dass Brünnhilde den Ring dem Rhein zurückgibt, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Regisseur nicht begriffen hat, worum es in der Tetralogie überhaupt geht.

Hatte man im Rheingold noch mit einer Mischung aus Neugier und Unmut die ständig wechselnden, aber nie zum Stück passenden, perfekt realisierten, aber im Kontrast zur Musik stehenden Schauplätze zur Kenntnisgenommen, in der Walküre sich allmählich Langeweile angesichts der immer wiederkehrenden Optik eingestellt, so verfiel man angesichts der ständigen Banalisierung in totale Resignation und wünschte sich auf einen der Hörplätze im 3. Rang Seite ohne Sicht auf die Bühne. Wie gehabt erging sich die Regie in einer Mischung aus Läppischem wie dem Erwecken der Erda mit einer Tasse Kaffee oder dem im Jogginganzug die mit einer Alufolie bedeckten Brünnhilde erweckenden Siegfried, der er mal mit extrem karikierenden Operngesten, mal mit lässiger Schlappsigkeit seine Liebe erklärte. Ob er auch das gequälte Kind mit augenscheinlichem Migrationshintergrund auf dem Filmband, das zu den ersten Takten der Musik lief, war, sei dahingestellt.

Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Aufführungen mit fast genereller Superbesetzung stellte sich nun auch pures Tenorglück ein: Andreas Schage r sang unermüdliche Schmiedelieder mit strahlender Höhe und substanzreicher Mittellage, so dass man fürchtete, er habe sich bereits damit verausgabt, konnte aber immer wieder mit frappierender Durchschlagskraft und schier unermüdlichem Höhenglanz überraschen. Als Wanderer war Michael Volle nun ganz vergreist und hinfällig und von Freia wohl nicht mehr mit Äpfeln bedacht, vokal hingegen eine Pracht von einem Bariton, der unermüdlich strömte und einen beachtlichen Kontrast zum körnigeren Stimmmaterial von Johannes Martin Kränzle bildete, dem es als Alberich optisch noch schlechter ging mit Rollator und Asthmaspray. Peter Rose sang einen imponierenden Fafner, der nicht, wie oft üblich, verstärkt werden musste. Stephan Rügamer gab einen darstellerisch fein ausgefeilten Mime mit hochpräsentem Charaktertenor.

Victoria Randem war nicht ein Waldvogel, sondern eine Krankenpflegerin mit Vogelmarionette, hatte für diese einen betörend schönen Stimmklang, aber eine arg verwaschene Diktion. Anna Kissjudit wirkte als Erda etwas weniger präsent als im Rheingold, aber unverkennbar besitzt sie einen wunderbar samtigen, dunkel lodernden Alt. Anja Kampe singt als Debütantin alle drei Brünnhilden mit jeweils zwei Tagen Pause zwischen den einzelnen Teilen des Rings. Das ist eine heikle Aufgabe, die sie auch an diesem Abend grandios bewältigte mit einem hell leuchtenden, exakt konturierte, bis in die höchsten Höhen einheitlich gefärbten Sopran schöner Farbe. Nicht leichter wird ihre und auch die Aufgabe anderer Sänger, wenn das musikalische Pathos, das emphatische Singen immer wieder von einer ironisierenden Darstellung konterkariert werden muss. Man kann auch darauf gespannt sein, wie das Publikum die Regieleistung honoriert. Bisher gab es noch keine Gelegenheit dazu, seine Meinung kundzutun.

6.10.2022 / Ingrid Wanja

Fotos Monika Rittershaus