Braunschweig: „The Turn of the Screw“

Besuchte Vorstellung am 18.01.19 (Premiere am 11.01.19)

Englisches Meisterwerk im Horrortrip

Zugegeben, der englische Titel ist nicht gerade publikumswirksam, doch auf deutsch "Die Drehung der Schraube" oder "Die sündigen Engel", unter diesem verschwurbelten Titel wurde das Werk bereits öfters in deutschsprachigen Landen angeboten, doch etwas mehr Publikum hätte die zweite Aufführung am Staatstheater Braunschweig verdient. Handelt es sich bei Brittens Oper doch um ein veritables Meisterwerk, das erst jetzt seine Braunschweiger Erstaufführung erleben durfte, zum einen wegen der unglaublich dichten Musik, wobei man gar nicht glauben mag, das im Graben nur dreizehn Musiker sitzen; zum anderen wegen der spannenden Vorlage nach Henry James gleichnamiger Novelle. Eine Gouvernante nimmt ihre Arbeitsstelle auf einem einsamen englischen Landsitz ein, die zwei reizenden Kinder entpuppen sich als geisterbesessen, oder ist es die Gouvernante selbst, in deren Kopf alles stattfindet? Ein echter Psychothriller, der sämtliche Deutungsmöglichkeiten zulässt und seine beste Zugkraft erhält, wenn man dem Betrachter keine Vorschreibung macht.

Und genauso inszeniert es die Braunschweiger Intendantin, Dagmar Schlingmann, vielleicht hätte man eine größere Fallhöhe erreicht, wenn man gleich zu Beginn noch mehr "Normalität" zugelassen hätte, denn Sabine Maders recht offenes Bühnenbild weist gleich zu Anfang recht irreale Züge auf, die wenigen Raumverortungen eines Landsitzes lösen sich immer mehr auf, wenn das Spielzeug der Kinder immer mehr in monströse Ausmaße wächst. Auf der Drehbühne wird die "Schraube" ständig fester angezogen, unter Unmengen von Bühnennebel, der hier durch die starke Atmosphäre echten Sinn macht. Inge Mederts Kostüme unterstützen die Szene, die Kinder Miles und Flora wirken sehr unheimlich, gleich einem Bildzitat eines Siebziger-Jahre-Horrorfilms, ich glaube "Die Insel der verlorenen Kinder" war der Titel. Die Inszenierung passt ganz ausgezeichnet zu Brittens feiner, spukiger Musik, die doch auch stark süffige Effekte in sich trägt.

Die Braunschweiger Besetzung muss als exzellent bezeichnet werden, alle Darsteller sind wunderbare Schauspieler und treffen typenmäßig ins Schwarze, vokal stimmt auch alles: Inga-Britt Andersson, nach ihrer erfolgreichen Senta, bringt die emotionalen Bögen der Gouvernante mit kernigem Sopran zwischen Fragilität und leicht dramatisch auffahrender Gebärde zum Schwingen. Ihr Gegenspieler ist der böse Geist Peter Quint (Prolog), der die ganze Atmosphäre von Schloss Bly vergiftet; Matthias Stier singt den Tenorpart mit betörendem Impetus und spielt mit dämonischer Eleganz, ein wahrhafter Verführer. Mit Ekaterina Kudryavtsevas gespenstischer Miss Jessel an der Seite. Auch die, sonst oft harmlose, Haushälterin (Mrs.Grose) ist Teil des diabolischen Spiels, Carolin Löffler liefert mit sattem Mezzosopran ein spielerisches Kabinettstück.

Die beiden Kinder werden von Erwachsenen dargestellt, was bei der gebotenen Qualität sogar glaubhaft wirkt, Jelena Bankovich und Milda Tubelyte machen das ganz prima, vor allem letztere überzeugt in der Knabenpartie des Miles, denn sie setzt ihre Stimme fast vibratolos ein, das man akustisch wirklich fast von einer Knabenstimme sprechen kann.

Ivan Lopez Reynoso hat mit den dreizehn Musikern des Staatsorchester sichtbar Spaß an den Aufgaben und die Instrumentalisten brillieren sowohl als Kollektiv, wie in ihren zahlreichen solistischen Aufgaben. Insgesamt eine sehr dichte Aufführung, dabei sehr werkdienlich und den Zuschauer ganz in eine eigene Welt ziehend. Hoffen wir, daß sich die Qualität der Vorstellung und die Tatsache, das es sich um eine wirklich tolle Oper handelt, bald in Braunschweig herumspricht. Das übersichtliche Publikum der zweiten Aufführung quittierte den Abend mit langem und herzlichem Applaus.

Martin Freitag 21.1.2019

Fotos: Thomas M. Jauk