Hannover: „König Karotte“

Besuchte Aufführung am 23.11.2018 (Premiere am 04.11.18)

Juwelenfund an der Leine

Große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus, so der Zweihundertste Geburtstag von Jaques Offenbach im Juni 2019. Zugegeben der deutsch-französisch-jüdischen Meister der intelligenten Bouffonerie gehört zu meinen ganz großen Favoriten unter den musikalischen Theatermachern, um so größer die Freude ihn reichlich vertreten in den diesjährigen Spielplänen zu finden, wie zu erwarten natürlich vor allem mit seinen acht bekannteren Werken. Um so größer die Freude, wenn die Staatsoper Hannover sich einer absoluten Rarität annimmt, wie dem "König Karotte" einer Opera-bouffe-feerie, die schon bei ihrer erfolgreichen Uraufführung große Wellen schlug: circa sechs Stunden Aufführungsdauer, mit ihren vielen Bühnenbildern und rund eintausendeinhundert Kostümen das Theatre de la Gaite in Paris an den Rand des Ruin gebracht. Aber keine Angst, der Spaß dauert an der Leine nur drei Stunden.

Der unfähige Regent des Reiches Krokodyne, Ferdinand der Vierundzwanzigste, wird in seinem Reich von Geist Robin einer Reifeprüfung unterzogen, Voltaires Bildungsroman "Candide" mag da Pate stehen, durch eine Intrige über die fiese Hexe Kalebasse erwacht das Gemüse beet zum Leben, und ein Staatsputsch durch den neuen König Karotte, zwingt Ferdinand auf Reisen. Er verliert dabei die oberflächliche Gattinanwärterin Kunigunde und gewinnt die "wahre Liebe" in Gestalt der Rosèe de Soir. Es geht durch die Klause eines Magiers in das antike Pompei, ein Ensemble über die Reize der Eisenbahn in dieser Zeit und Gegend wird zu einem Gipfel des Surrealismus, Vulkanausbruch und neuerliche Flucht ins Reich der Ameisen, danach auf eine Dschungelinsel mit Affenfelsen. Mittlerweile ist der Gemüsehofstaat daheim so welk , das er per Revolution reif für einen Eintopf ist: Happy End. Dieses wahrlich wahnwitzige, wie lustige und sinnliche Libretto verzapfte immerhin Victorien Sardou mit eine Amalgam an Vorbildern, die es Freude macht aufzudröseln; doch auch dem einfachen Zuschauer gefällt dieses Konglomerat an Schaustücken. Offenbach bleibt auf der Höhe seiner Kompositionskunst, der Autor findet es ist eines seiner Meisterwerke, also unbedingt spielenswert, zumal es jetzt in der redigierten Edition Keck und einer würdigen deutschen Übersetzung von Jean Abel vorliegt.

Auch die Aufführung als solche kann sich sehen und hören lassen: Matthias Davids mit seinem Team haben versucht aus der Reichhaltigkeit der Vorlage sowohl die besten Musiknummern herauszupicken, als auch keinerlei Abstriche an die vielen Handlungsorte und -bilder zu machen; keine kleine Aufgabe! Mathias Fischer Dieskau hat auf bewährte Weise filmische Verwandlungen mit überblendenden Projektionen und szenischen Versatzstücken verbunden, das die Verwandlungen schnell gelingen. Die Handhabe der theatralischen Bühnenmittel sind ein wichtiger Bestandteil der Inszenierung. Susanne Hilbrich übertrifft sich mit ihren wirklich sehr vielen Kostümen, dabei sind auch echte Rüstungen und viel Fundusrecherche, den Höhepunkt bilden aber die Kostüme für die erweckten Gemüse, dabei hat die Maskenabteilung ihre ganze Handwerkskunst in die Waage geworfen, wirklich grandiose Arbeit! Kati Farkas hat dazu einige Choreographien mit vor allem Choreinsatz gezaubert, wenngleich mir stilistisch allzuviel Siebziger-Jahre-Discogetingel dabei war, was ich persönlich nicht immer zu Offenbach passend finde. Aber der Chor unter Lorenzo da Rio schmeißt sich da mit großer Verve in seine Aufgaben. Die Szene geriet sehr unterhaltsam mit einigen Überraschungseffekten, und doch muß ich nochmal einige fachliche Unzufriedenheiten loswerden, die mir, wirklich ganz persönlich, aufgestoßen sind, denn ich schätze das Produktionsteam von früheren Arbeiten sehr. Vielleicht auch etwas ungerecht meinerseits, denn ich habe die mir unbekannte Keckausgabe des mir unbekannten Werkes nicht vorliegen. Erstens finde ich die Charaktere von Davids Personenregie zu oberflächlich gestaltet, da kommt keine Figur über eine Schablonenhaftigkeit hinaus. Zweitens sehe ich eine Detailverliebtheit in manche Bühnenvorgänge, die mir zuviel Zeit von der inneren Handlung der Personen wegnehmen, so das vor allem im zweiten Teil die Handlung in den einzelnen Bildern (Ameisen und Insel) sehr dünn vorkommen, wie gesagt das sind sehr gefühlte Einwände, die dem eigentlichen Spaß der Zuschauer keinen Abbruch machen. Die Entscheidung keine aktuellen Anspielungen zu machen, ist zwar im Programmgespräch vermerkt. Meiner Meinung schreit gerade dieses Stück danach, da darf man schon mal eine irgendwie geartete Position beziehen, doch auch dazu gehört ein Quäntchen Mut.

Der Orchestergraben wartet mit, für Offenbach, sehr großer Besetzung auf, was vielleicht sogar der Uraufführungsbesetzung nahekommt (?), vielleicht wäre ein kleineres Orchester für einen filigraneren, geschmeidigeren Klang von Vorteil. Valtteri Rauhalammi bevorzugt am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters einen sehr opernhaften Ton, was das Werk manchmal in Richtung "Hoffmanns Erzählungen" rückt, für manche Musiknummern mag das sogar von Vorteil sein, ich würde mir noch etwas mehr Leichtigkeit wünschen. Kleine rhythmische Unebenheiten werden jedoch sehr schnell wieder ausgebügelt.

Eric Laporte als Fridolin ist ein echter Glücksfall, denn obwohl der Tenor schon im heldischen Zwischenfach angelangt ist, bewahrte er sich sein vokale, wie übrigens auch körperliche, Agilität, die luziden Höhen klingen beeindruckend. Sung-Keun Parks Partie als König Karotte fällt dagegen viel kürzer und unmeliodiöser aus (Böse Gemüse haben keine Lieder!), seine szenische Gestaltungkraft und der sehr hohe Tenor imponieren. Josy Santos spielt mit sehr schön timbrierten Mezzosopran den guten Geist Robin, da erinnert viel an Muse/Niklaus im "Hoffmann". Athanasia Zöhrer als liebliche Rosèe de Soir ist ein echter Sonnenschein, ein klasse Sopran mit Geläufigkeit,lediglich in den hohen Bögen gerät die Stimme leicht aus dem Fokus. Anke Briegel als fiese Prinzessin Kunigunde weiß sehr schön im Couplet Nuancen zu setzen, hat leider szenisch keine Tiefendimension, was an der Personenführung liegen dürfte Frank Schneiders Bariton als wetterwendischer Polizeipräsident Pipertrunck sei als einziger von der hervorragenden Hofkamarilla wegen seiner solistischen Aufgaben herausgehoben . Eine besondere Nummer ist der Schauspieler Daniel Drewes in der Doppelrolle Hexe Kalebasse/Zauberer Quiribibi, der sich mit fühlbarem Spaß in das Sängerensemble einfügt. Alle kleineren Partien sind aus dem Solisten-und Chorensemble auf den Punkt besetzt. Der Bewegungschor und die Statisterie haben vielfältige Aufgaben, derer sie mehr als gerecht werden, besonders der "Affe" mit grandioser Körpersprache und Artistik hätte eine namentliche Erwähnung im Programm verdient.

Insgesamt ein sehr unterhaltsamer, lohnender Abend, der seinen reichlichen Zuschaueranlauf verdient hat. Außerdem ein Entdecken eines unbekannten Teil der Offenbachschen Universums, der sich wieder einmal mehr als lohnend erweist, eine Fortsetzung dessen gibt es im März 2019 nur dreißig Kilometer entfernt , wenn sich in Hildesheim im Stadttheater (TfN) der Vorhang zu Offenbachs "Die Prinzessin von Trapezunt" heben wird, ich habe vor dabeizusein.

Martin Freitag 29.11.2018

Bilder siehe unten Premierenbesprechung