Besuchte Vorstellung: Mittwoch, 13. März 2019
Das Grauen, das Grauen… – eine etwas andere Butterfly-Sicht
Pinkerton: Merunas Vitulskis / Butterflys Seele: Jessica Kirstein
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich habe in den vielen Jahren meiner Kritikertätigkeit selten so spannendes, sinnvoll umstilisiertes und überzeugend durchdachtes Musiktheater gesehen und regelrecht durchfiebert. Auch nach 50 Jahren gibt es sie noch, die Momente, wo das Herz ergriffen bis zum Hals schlägt. Hier ist es ein Herz in der Finsternis, um Joseph Conrads Titel etwas zu verändern. Diese Inszenierung ist eine Geisterbahnfahrt in die Welt des Grauens.
Regisseur Jan-Richard Kehl gelingt es, dieses schöne, aber doch meist allzu verquast kitschige Epos kritisch durchdacht und durchaus werktreu – wenn man nicht gerade in den Steinzeitmomenten des Wiener Staatsopernmuseums lebt – auf die Bühne unserer 2019er Gegenwart zu bringen. Damit beantwortet er auch die Frage, ob und warum Oper – besser Musiktheater – auch heute noch eine Berechtigung hat und erhaltenswert ist.
Das Regieteam inszeniert weder gegen den Text, noch gegen die wunderbare Musik Puccinis. Im Gegenteil: hier kommt die ungeheure Dramatik des Komponisten sogar noch viel besser zur Geltung, als im konservativ exotischen Theater oder den verlogenen Japan-Klischees, wie wir sie ja aus den meisten traditionellen Butterflys kennen. Diese Butterfly ist eigentlich eine echte Problemoper, eine Herausforderung für mitdenkende Opernregisseure.
Was macht man mit einer Partie/Hauptrolle – und hier liegt ja das große Problem der Butterfly, ähnlich der Strauss’schen Salome – die eine 15-Jährige darstellt, aber nur von einer hocherfahrenen Sängerin mit Monsterstimme überhaupt bewältigt werden kann? Und was macht man mit einem Publikum, dessen Altersschnitt in der heutigen Oper bei deutlich über 60 liegt (den Rezensenten eingeschlossen) und welches wie selbstverständlich erwartet, das Taschentuch zücken zu müssen, weil sich die liebe Mutti quasi vor den Augen ihres meist drollig, süß-niedlichen Kindleins massakriert? Das ist doch Kernbestandteil der Oper Puccinis! Wir haben ein Recht auf Tränen? Wirklich?
Chio Chio Sans Seele Jessica Kirstein / Butterfly real Celine Byrne
Wie begegnet man dem unsinnigen Klischee diverser Opern-Produktionen, daß man ältere Sopranistinnen auf japanische Jung-Geisha schminkt, und sie dann blödsinnig kindisch umhertippelnd läßt, wo sie dann eher Lachanfälle als Betroffenheit beim Publikum auslösen?
Wie geht man mit der Atombombe auf Nagasaki in einer zeitgemäßen Inszenierung um, die ja eigentlich in dem Lokalkolorit der Zeit erheblich betroffener machen müßte, als der leidige Tod der Chio Chio San? Wie mit dem damaligen mörderischen Zeitgeist des Kolonialismus?
Das alles löst dieses begnadete Regieteam – Bühne Ralf Käselau, Kostüme Annette Braun & Licht Stefanie Dühr – auf höchst formidable Art und Weise. Man macht mit düster wehenden Vorhängen, alten Schloßkostümen, diversen unheimlichen Türen und schauderlichen Lichteffekten fast eine Gothic Novel aus dieser Opera. Der strahlende Pinkerton ist hier am Anfang noch der nahkampferprobte Marine im Kampfanzug – sogar Blut klebt noch an seinen Stiefeln. So rüde und rücksichtslos wie er kämpft, besorgt er sich auch ein Liebchen.
Zum ersten Mal in einer Oper erlebte ich überzeugend das Problem der Splittung einer Person in zwei Seelen und zwei Körper. Da ist die bildhübsche und hocherotisch wirkende Butterfly-Seele – in realiter Jessica Kirstein. Die moderne Geisha – zeitgemäße Sexsklavin – nimmt man ihr ab. Ein junges Top-Model mit Mandelaugen, die ihr Zuhälter Goro zu Recht hochpreisig verkaufen kann. Sie ist immer präsent, während Celine Byrne die Partie singt und auch überzeugend musiktheater-darstellerisch agiert. Das ist schwer zu beschreiben, man muss es gesehen haben. Es endet auf der Bühne aber niemals in einer ménage a troi, sondern beendet den ersten Teil sowie das tragische Finale geradezu herzergreifend.
Natürlich braucht es kein Kind in diesem Konzept. Kinder auf der Bühne sind ja ohnehin meist schwierig in dramatischen Momenten einzusetzen. Hier bildet sich Butterfly nur ein, daß sie ein Kind von Pinkerton hat. Es ist eine Puppe, die sie immer mit sich trägt oder an die Wand hängt wie ein Bild, ein Erinnerungsfoto.
Im zweiten Teil warten zwei alte Frauen, gekleidet wie die Geister in einem uralten Schloß (Dame blanche) – von Strahlung noch dazu gekennzeichnet – eigentlich nur noch auf den Tod. Da hat man Tränen in den Augen, vor allem weil die wunderbare Musik Puccinis hier immer noch stimmt und erschreckend endzeit-stimmig ist.
Natürlich gibt es das blutige Ende des Alteregos der Butterfly – aber ist das alles Imagination? Wunschvorstellung? Wahnsinn? Am Ende erkennen wir die rätselhafte alte Frau vom Anfang wieder. Da sind wir in der Realität gelandet. Chio Chio San hat sich eben nicht umgebracht. Sie hat das Kind erfunden – ebenso wie die junge Geisha. Alles endet in einer beunruhigenden Morbidität, die berührt. Der Zuschauer ist mitgenommen und mehr erschüttert als durch ein traditionelles Harakiri. Unfaßbar. Was für eine Inszenierung!
Ein Musiktheaterabend, den man so schnell nicht vergißt, der unter die Haut geht…
Wenn dazu noch gesungen wird wie an der MET – ich möchte pars pro toto die grandiose Marta Hermann (Suzuki) noch neben die Weltstimme von Celine Byrne (Butterfly) stellen und auch die Herren Merunas Vitulkis (Pinkerton), Hansung Yoo (Sharpless), sowie Bassem Alkhouri (Goro) gleichermaßen ins herausragende Lob einbeziehen – dann ist der Puccini-Fan sowie der eigentlich konservative bärbeißige Rezensent gleichermaßen beglückt wie das Publikum.
Selbstredend und last but not least unbedingt noch erwähnenswert, ist das traditionell immer gute Staatsorchester Kassel unter Mario Hartmuth mit einem ergreifenden Sound und dem nötigen Rubato, aber ohne kitschiges Pathos. So sollte moderner Puccini klingen.
Für diesen Meilenstein an Inszenierung lohnt sich auch die weiteste Anfahrt.
Peter Bilsing 16.3.2019
Bilder (c) Staatstheater