Mainz: „Manon Lescaut“, Giacomo Puccini

Premiere: 25.01.2020, besuchte Vorstellung: 31.01.2020

It-Girl mit Herz oder Hochmut kommt vor dem Fall

Lieber Opernfreund-Freund,

am Staatstheater Mainz haben die Gewinner des 10. Europäischen Opernregie-Preises 2018 ihr Konzept zu Giacomo Puccinis Manon Lescaut umgesetzt. Auch wenn die Inszenierung mich nicht in allen Belangen überzeugen kann, ist der Abend musikalisch doch außerordentlich gelungen und nicht zuletzt dank der beherzten Darstellung der Manon durch Nadja Stefanoff eine Empfehlung wert.

Das Prägnanteste am Einheitsbühnenraum von Cécile Trémolières ist das Laufband, das sich parallel zur Rampe fortwährend bewegt, Protagonisten, Requisiten oder Erinnerungen ins Bild und wieder hinaus fährt und die Geschichte der Manon als eine Reise einer jungen Frau zum verwöhnten Luxusweibchen und dann den Abstieg bis zum einsamen Tod erzählt. Zu Beginn ein naives Mädchen, das sich über die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechtes freut, ist die Titelfigur beim jungen britischen Regisseur Gerard Jones vor allem ein berechnende, auf ihren Vorteil bedachte Frau, die sich und ihren Körper vor Geronte und seinen Freunden, die ihr dabei wie aus einer Theaterloge zusehen, gerne zur Schau stellt, wenn es dafür nur einen Pelzmantel oder ein juwelenbesetztes Armband gibt. Und doch sehnt sich die junge Frau im Innersten nach Liebe, erkennt zu spät, dass sie ihr Herz an des Grieux verloren hat; so spät erst, als der – wie sie in der ersten Hälfte der Geschichte – keine Nähe mehr zulassen kann und ihre nach Berührung und Zuwendung heischende Hand ignoriert. Jones glänzt nicht gerade durch agile Personenführung, spickt seine Version aber mit allerhand originellen und witzigen Ideen. Dabei hat er nicht immer ein Gespür für die Emotionen, die seine Bilder beim Publikum auslösen. Nur so sind die Lacher am Ende des an sich höchst tragischen dritten Aktes zu erklären – Manon wird schon während des Vorspiels vom Vamp zur kopfgeschorenen Gefangenen, als ein an Nylonschnüren gezogenes Flugzeug Manons Abreise in die Verbannung zeigen soll und, dass die verordnete körperliche Distanz des Liebespaares die Innigkeit im letzten Bild verhindert, die die Musik erzählt und die Worte des Librettos verstärken, ist einfach schade. Da kann allenfalls das Licht von Peter Meier ein wenig Stimmung erzeugen und anrühren – und das umwerfende Spiel der Titelheldin.

Nadja Stefanoff formt die Manon mit all ihren Facetten gekonnt und spielt mit Inbrunst, singt die sanften Bögen und liedartigen Melodien in den ersten beiden Akten genau so überzeugend, wie sie sich in der zweiten Hälfte des Abends mit vollem Körpereinsatz und zu Herzen gehendem Gesang dem Verismo nähert. Das trifft nicht nur akustisch bis ins Mark – auch darstellerisch zeigt die Sängerin, was für eine brillante Künstlerin sie ist. Ihr zur Seite steht Eric Laporte als des Grieux mit klangschönem Timbre, sicherer Höhe und enormem Ausdruck. Der kanadische Tenor darf allerdings das, was er da singt, zumindest in der zweiten Hälfte so gar nicht zeigen und wird von der Regie deshalb nur recht blass gezeichnet. Als Retter in der Not darf Marian Müller gelten. Der junge Sänger aus dem Ensemble des schleswig-holsteinischen Landestheaters springt kurzfristig als Lescaut ein und überrascht mit präsentem Bariton und ansteckender Spielfreude. Ensemblemitglied Stephan Bootz ist gar nicht wieder zu erkennen – hier gebühren einmal Maske und Kostümabteilung ein Extralob, die die Geschichte irgendwo in den 1980er Jahren verorten und den schmierigen Alten wie einen Kinderschänderprototypen ausstatten. Der junge Bass ist ein ausnehmend einprägsamer Geronte de Ravoir und überzeugt darüber hinaus mit hinreißender Komik.

Zudem zeigt das Staatstheater am gestrigen Abend, welche Talente da im Jungen Ensemble schlummern: Sissi Qi Wang, Doheon Kim und Daniel Tilch singen und spielen so bühnenpräsent und ausdrucksstark wie die Kollegen, die seit Jahren auf der Bühne stehen und von denen mir der Chorsolist Dennis Sörös als stimmgewaltiger Sergeant am besten gefällt.

Klanggewaltig kommt auch das Dirigat von Daniel Montané daher. Geraten die beiden ersten Akte noch wuchtig, gelingen dem Spanier nach der Pause zutiefst berührende Pucciniwogen, ohne die Partitur dabei mit Schmalz zu überfrachten. Präzise legt er die musikalischen Motive frei und so wird es zusammen mit den Damen und Herren des gut aufgelegten Chores, der für eine Puccinioper überdurchschnittlich gut beschäftigt ist und von Sebastian Hernandez-Laverny geleitet wird, ein musikalisch exzellenter Abend. Das goutiert auch das Publikum im nahezu ausverkauften Haus mit begeistertem und langanhaltendem Applaus.

Ihr
Jochen Rüth

01.02.2020

Die Fotos stammen von Andreas J. Etter.