Premiere (Deutsche EA) am 16.01.2015
„Ich bin ganz leicht“ – ein Mensch aus Rauch – ein messianischer Auftritt
Rauschender Erstaufführungserfolg am Staatstheater für großes Musiktheater
Von Piccini bis Verdi haben maßgebliche italienische Komponisten Opern zu französischen Texten, ja sogar französische Opern geschrieben. Da ging es vor allem ums Geld in der reichen französischen Hauptstadt. Mit Pascal Dusapin haben wir einen der wenigen französischen Komponisten, der eine Oper auf einen italienischen Text geschrieben hat. Ihm ging es aber um die Sprache! Der italienische Schriftsteller Aldo Palazzeschi hat 1911 „Il codice di Perelà“ erstveröffentlicht, einen futuristischen Roman mit Bühnen-affiner Dramaturgie. Dusapin fiel per Zufall das Buch im Originaltext in die Hände; von dessen achtzehn Kapiteln hat er zehn ausgesucht und daraus quasi im Originaltext sein eigenes Libretto redigiert. Bei seiner Oper „Faustus the last Night“ (UA 2006 an der Lindenoper) ist er ähnlich verfahren und hat aus Christopher Marlowes „The Tragical History of Dr. Faustus) einen englischen Text für das Libretto extrahiert.
Vor den Kameras: Peter Felix Bauer (Zeremonienmeister), Peter Tantsits (Perelà), Hans-Otto Weiß (Diener); Chor
Perelà – l’uomo di fumo (Der Mensch aus Rauch) ist wie die literarische Vorlage mit viel Symbolik und Anspielungen auf Vergangenheit und Zukunft ein Werk, das vielerlei Interpretationen erlaubt und diese dem Zuschauer überlässt. Perelà ist zu Mensch gewordener Rauch, dessen drei Mütter Pe na, Re te und La ma ihn von oben auf eine Welt schicken, in welcher eine Gesellschaft nicht richtig zueinander finden kann. Der Kindkönig Torlindao (stumme Rolle), die Königin, Diener und Zeremonienmeister, ein eitler Minister, ein geldgieriger Bankier, ein Scharlatan als Philosoph, ein unbedeutender Erzbischof, ein nachdenklicher Diener, eine tragisch verliebte Marquise und schließlich noch ein verrückter Papagei stellen die vielen Solisten des Stücks, dazu als Chor ein buntes vergnügungssüchtiges Volk. Perelà fällt gewissermaßen in diese Welt hinein, wird in der Stadt aufgenommen und ob seiner ungewöhnlichen Leichtigeit wie ein Guru oder Prophet aus der Wüste verehrt. Er soll dem Stadtstaat ein verbindendes und verbindliches Gesetzbuch schreiben. Perelà kann nichts dazu, dass der Diener Alloro ihm in seiner Leichtigkeit nacheifern und sich auch in einen Rauchmenschen verwandeln will. Der verbrennt dabei zu Asche; die Stimmung schlägt vom berühmten „Hosianna!“ zum „Kreuziget ihn!“ um. Perelà wird von einem illegitimen Gericht zu lebenslänglich Gefängnis verurteilt. Er verwandelt sich aber wieder in Rauch und entzieht sich dieser Gesellschaft, die unverändert zurückbleibt. Perelà war weder Guru noch Prophet, einfach nur ein Neugieriger, der sich aus den Turbulenzen, in die er geraten war wieder heraussehnte.
Die junge amerikanische Regisseurin Lydia Steier inszeniert den Bogen der Handlung schlüssig. Seiner „Geburt“ im Adamskostüm aus einem schwarzen Uterus („Utero nero“ -Kapitel I) in Form eines schwarzen Zylinders auf völlig nackter Bühne schließt sich eine Reise durch acht turbulente, mit viel Ironie und szenischer Satire gefasste Bilder zum Schlusskapitel X („La sua leggerezza Perelà – Seine Leichtigkeit“) an, in welcher er als rauchender Geist wieder in der Flasche, ebendem Uterus verschwindet und der wiederum von der sonst nackten Bühne.
"Tea Party" Zweite von links: Geneviève King (Marquise); ganz rechts: Peter Tantsis (Perelà); Chor
Für die acht Kapitel dazwischen hat sich Bühnenbildner Flurin Borg Matsen aber noch viel mehr einfallen lassen. Von hinten fährt auf einem Drehteller die Fassade eines italienischen Renaissance-Palazzos nach vorne, die in ihrem Maria-Theresien-Gelb den einzigen farblichen Blickfänger der sonst in schwarzweißen Mustern gehaltenen Bühne darstellt. Die Hinterseite des Palazzos bildet eine große weiße Treppe, auf seinen beiden Seiten gewinnt man Einblick ins Innere, wo die vielen Nebenfiguren des Stücks in sketchhafte Szenen verwickelt sind. Dazu ist die gesamte Struktur des Palazzo längs teilbar, die beiden Hälften dreh- und verschiebbar, so dass für jedes der weiteren acht Kapitel geeignete Spiel-Räume geschaffen werden können wie Teesalon, Ballsaal oder Gerichtsplatz.
Lydia Steier ist bekannt für ihre bunten Inszenierungen: In Perelà wird die fantasievolle Buntheit durch die Kostüme von Gianluca Falaschi geprägt: etwas karikierender renaissance-Stil mit überspitzten Masken, Perücken und spitzen Nasen. Dem nackt Mensch gewordenen Perelà werfen seine Mütter nur ein Paar rote Stiefel hinterher; die Menschen versorgen ihn mit einer modernen Schlabberhose; so bleibt er von seiner Kluft her immer Außenseiter; er hat sich bei der ihn mehr und mehr bejubelnden Gesellschaft nicht eingeschleimt; die zuletzt wirkenden Abstoßungskräfte können aber nicht überraschen. „Aufstieg und Fall des Perelà“ könnte daher die Oper auch heißen. Steier lässt die Burleske nie zum Klamauk verkommen, sondern kommt in dieser Parabel immer wieder auf nachdenklich Machendes zurück. Zwar ist es nicht immer leicht, die Rollen der vielen Nebendarsteller zu verfolgen, zumal diese teilweise nur sehr kurze Auftritte haben, aber man behält unschwer den Faden der Handlung in Blick und Ohr. Und das nicht nur, weil wie im Stummfilm die Überschriften der einzelnen Kapitel projiziert werden, sondern auch wegen einer besonders stimmigen Personenführung. Insgesamt eine glänzende Regiearbeit!
Peter Tantsis (Perelà), Marie Christine Haase (Königin)
Musikalisch gehört Perelà zu den interessantesten zeitgenössischen Opern, die Ihr Kritiker in den letzten Jahren gesehen hat. Zwar werden impressionistische Klangbilder als Basis der Partitur deutlich; aber mit keinem Takt verfällt der Komponist in die Mode einer eklektischen Retro-Musik. die nicht über die Harmoniewelt der Spätromantiker von Mahler bis Puccini hinausgeht. Glissandi und Flageolett-Töne gehören bei Dusapin auchzum Handwerkszeug, aber seine Musik kommt zunächst sehr flächig daher; Klangflächen, auf welche das überwiegende recitar cantando der Solisten aufgesetzt ist. Im Verlauf werden die Flächen mehr und mehr rhythmisch und instrumentell aufgelöst, so dass das musikalische Geschehen feingliedriger wird und immer spezifischer das szenische Geschehen abbildet. Vergleichsmöglichkeiten gibt es bei einer Erstaufführung naturgemäß nicht; eine Tonträgeraufnahme von Perelà gibt es noch nicht (in Mainz gäbe es nun die Möglichkeit eine zu verfertigen – am besten mit Verfilmung). GMD Hermann Bäumer verfestigt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz mit jedem Takt der Partitur den Eindruck, dass die Partitur und die Intentionen des Komponisten adäquat umgesetzt wurden. Er konnte damit einer mittlerweile schon bemerkenswerten Reihe von Realisierungen zeitgenössischer Musik in Mainz eine weitere hinzufügen.
Geneviève King (Marquise Oliva di Bellonda), Peter Tantsits (Perelà)
Auch ein großer Opernchor gehört zu diesem Werk. Sebastian Hernandez-Laverny hatte ihn für seine wirkungsvollen Auftritte bestens präpariert. Dusapin hat einen eindrucksvoll-wirksamen Chorsatz geschrieben, der die orchestralen Klangflächen noch verbreitert, sich aber auch – teilweise ziemlich dissonant – aus ihnen hervorhebt. Klanglicher Höhepunkt ist Kapitel VIII („Il processo di Perelà –Perelàs Prozess“), wenn sich der Chor mit dem Tutti des Orchesters zu eindrucksvollen Klangräumen schichtet. Dabei atmet die Partitur souverän mit der szenischen Bewegung des Chors, welche die Regie gekonnt in die Musik einbettet.
Fünfzehn Rollen zählt die Besetzungsliste, wofür in Mainz dreizehn Sänger, überwiegend aus dem eigenen Ensemble eingesetzt werden. Sie müssen in den zweieinviertel Stunden reiner Spielzeit (volles Opern-, statt des modischen Fernsehformats!) viel Text transportieren. Neben der vorherrschenden Deklamation gibt es weniger kantable und auch einige Sprechstellen. Dusapin hat ihnen teilweise sehr anspruchsvolle Partien geschrieben. Peter Tantsis – schon vielen Rollen moderner Musik profiliert – gab die Titelpartie darstellerisch und vokal überzeugend. Vor allem in der Höhe aber auch in einem großen Tonumfang stark gefordert, überzeugte der amerikanische Gasttenor von bronzenen baritonalen Tiefen bis ins Falsett mit vielen Nuancierungen. Geneviève King, vom Staatstheater Oldenburg nach Mainz gewechselt, sang die Marquise Oliva di Bellonda mit tiefgründigem samtigem Mezzosopran. Sie hat den Großteil der kantablen Passagen. Brett Carter vom aufgelösten Ensemble in Wiesbaden nach Mainz engagiert interpretierte die tragikomische Rolle des Alloro mit ordentlicher Kraftentfaltung. Mit Christine Haase waren die sehr hoch gelegenen Partien der Königin und der Tochter des Alloro besetzt, in denen sie durchaus verschieden wirkte; etwas spitz und mit wenig Textverständlichkeit die Königin, viel runder die Tochter.
Heikki Kilpälainen (Bankier), Alin Ionut Deleanu (Erzbischof), Georg Lickleder (Philosoph Pilone); vorne: Peter Tantsitis (Perelà)
Mit feinem Mezzosopran sang Katja Ladentin die Rolle der armen Alten, der ersten Begegnung Perelàs in der Nähe der Stadt. Stephan Bootz konnte mit seinem solide strömenden, dabei deutlich artikulierenden Bass punkten, als Gerichtspräsident hoch über die Köpfe der Mitmenschen gehoben. Unter den kleinen Rollen war Jürgen Rust als Papagei exponiert. Dessen einzige Vokabel „Dio!“ war für den Charaktertenor zu krächzen und zu singen. Den Diener gab Hans-Otto Weiß mit kernigem Bass. Solide Heikki Kilpeläinen als Bankier Rodella und Peter Felix Bauer in den Rollen des Zeremonienmeisters und des Ministers mit jeweils sonorem Bariton. Aus der Altus-Schule der Musikhochschule Mainz, nun auch im jungen Ensemble des Staatstheaters wirkte der Counter Alin-Ionut Deleanu als Erzbischof. Georg Lickleders verlässlicher Bass als Philisoph Pilone vervollständigte das Ensemble.
Unter den Gästen an diesem Abend war auch der Komponist Pascal Dusapin, der nun nach zehn Jahren die zweite Aufführung seines Werks erleben durfte. Er war es bestimmt zufrieden: nach der begeisterten Aufnahme mit einer Viertelstunde teilweise jubelndem Beifall aus dem vollen Haus kann es keine Zweifel geben, dass diese Oper weitere Produktionen erleben wird. Und das Mainzer Opernpublikum registriert – wie Ihr Kritiker – mit Zufriedenheit, dass die Ära Fontheim-Gürbaca am Staatstheater vorbei ist. Man kann wieder ins Staatstheater gehen! Perelà kommt noch am 28.01.2015, 31.01.2015, 23.02.2015, 5.03.2015, 22.03.2015, 10.04.2015 und 12.04.2015. Der Opernfreund verleiht der Produktionen seinen Stern!
Manfred Langer, 18.01.2015
Fotos: Andreas Etter