Meiningen: „Der Barbier von Sevilla“

nicht als komische sondern als alberne Oper

Besuchte Vorstellung 06. Juni 2016

Premiere 14. Oktober 2016

Solisten und Orchester retten eine Inszenierung, die mehr als gewöhnungsbedürftig ist

Viele Jahre bin ich in Meiningen, viele Jahre begeistert, manchmal – aber ganz selten – etwas verunsichert von der ein oder anderen Inszenierung, aber was der Regisseur Lars Wernecke hier für mich abgeliefert hat, ist so etwas von albern, wie ich es bisher noch nicht erlebt habe. Die armen Sänger müssen fast über die gesamte Zeit herumhampeln, dass es einem fast schwindlig wird und sich damit – für mich jedenfalls – zum Affen machen. Ich war mit 60 Leuten in der Vorstellung, ausnahmslos Kopfschütteln über eine solche Inszenierung, für die das Wort albern fast noch geschmeichelt ist. Komische Oper soll unterhaltsam, auch in gewisser Weise derb und selbstverständlich auch etwas überzeichnet sein und die Ansätze des Regisseurs wären vielleicht nicht einmal so schlecht, wenn er sie differenziert eingesetzt hätte und nicht gnadenlos und ohne Pause es durchgängig zur Zappelekstase zu treiben. Wenn man Ende des ersten Aktes zusehen muss, wie alle Personen wild mit Händen und Köpfen gestikulieren, dann wird man nach ein paar Minuten selbst etwas schwindlig im Kopf und nach 10 Minuten wird man nur noch wütend und bekommt Mitleid mit den armen Sängern. Es war für mich schlimm, eine meiner Lieblingsopern (und wer die DVD mit Wunderlich, Prey und Köth im seinem Schrank hat, wird verstehen, was ich meine) so mit Dauergezappel und Rumgehampel verunglimpft zu sehen. Helge Ullmann zeichnet für die Bühne und die Kostüme zuständig und sie hat ein buntes, mitunter grelles Bild hingezaubert. Der überdimensionale Barbierstuhl in der Bühnenmitte, den alle ständig (teilweise am Schluss schon etwas angestrengt schnaufend) besteigen und beklettern müssen, warum eigentlich erschließt sich mir nicht, ist das Hauptrequisit der Bühne. Alles ist versehen mit überdimensionalen Bühnenhelfern, riesigen Scheren, Kämmen; Wassersprühern uns so weiter und Figaro fährt mit einem, ja, sagen wir mal überdimensionierten Rasierpinsel auf die Bühne. Die handelnden Personen werden dadurch fast in die Rolle von Liliputaner gedrängt, oder auch von Ameisen, ganz wie man will. Also, für mich sind Inszenierung und Bühnenbild nicht gerade das Gelbe vom Ei und von satirischen Ansätzen kann man auch nur träumen. Alles ist bunt, grell, überdimensioniert und teilweise gnadenlos albern. Schade für solch eine Perle in der Opernlandschaft.

Dr. Bartolo – Marian Krejcik, Figaro – Dae-Hee Shin

Die Geschichte der Oper ist eigentlich recht schnell erzählt. Der alternde Don Bartolo, der mehr als nur einen Blick auf sein Mündel Rosina geworfen hat, steht zwischen der Liebe eben dieser Rosina mit dem Grafen Almaviva. Von ihm denkt sie am Anfang er sei ein armer, aber lieber Bursche namens Lindoro. Figaro, der Barbier und Lebenskünstler in allen Fragen, hilft dem Grafen – natürlich gegen klingende Münze – den etwas vertrottelten Don Bartolo, dem auch die Hilfe seines Freundes Don Basilio nicht helfen kann, auszuschalten, ja ihn auch zu veralbern und die schöne Rosina mit dem Grafen zu verbinden. Dieser versucht in ständig wechselnden Verkleidungen seiner Rosina immer näher zu kommen und den mit Argusaugen über Rosina wachenden Don Bartolo auszuschalten. So richtig wird diese Geschichte aber in der oben angesprochenen Inszenierung aber nie wahrgenommen, weil auch der Hintergrund der Oper ein bisschen im Dauergezappel untergeht.

Graf Almaviva – Siyabonga Maqungo, Rosina – Carolina Krogius

Ja – und wie schon so oft muss die Musik, das Orchester und die Sänger eine Inszenierung aus dem Feuer reißen – und das tut sie in bravouröser Art. Die Meininger Hofkapelle steht an diesem Nachmittag unter dem Dirigat von Stefano Seghedoni. Er gilt als Barbierexperte und wurde extra als Gast für das Haus verpflichtet. Mit leichter Hand, manchmal wäre eine etwas stärkere Hand nicht schlecht gewesen, führt er das gut aufgelegte Orchester. Er arbeitet die unterschiedlichen Töne eindrucksvoll heraus und ist auch den Sängern, wo es von Nöten ist, ein zurückhaltender Helfer. Die Hofkapelle lässt sich problemlos leiten und bringt eine eindrucksvolle Leistung auf die Bühne. Leider geht die Ouvertüre etwas unter, weil hier Figaro allerlei Unsinn auf der Bühne machen muss (Luftballonrasieren, Utensilien herumlegen) und doch sehr von der Musik ablenkt. Das kann man aber in keinster Weise der Hofkapelle und seinem leidenschaftlich agierenden Dirigenten anlasten.

Die gesanglichen Leistungen sind fast ausnahmslos, wie man es in Meiningen gewohnt ist, einwandfrei und auf einem sehr hohen Niveau. Als Rosina steht an diesem Nachmittag die junge Finnin Carolina Krogius auf der Bühne und ich war schon etwas enttäuscht gewesen, weil ich mit der von mir hochverehrten Elif Aytekin gerechnet hatte. Aber die Enttäuschung verfliegt schnell. Ihr warmer und ausdrucksstarker Mezzosopran ist in jeder Lage präsent, flexibel mit samtigem Timbre weiß sie das Publikum für sich zu gewinnen, dazu kommt ein glaubhaftes und überzeugendes Spiel, so dass man nicht nur von einer rollendeckenden Gestaltung sondern von einer außergewöhnlichen Gestaltung sprechen muss. Ihr geliebter Lindoro, halt, Graf Almaviva wird von dem blutjungen Südafrikaner Siyabonga Maqungo gegeben und dessen Stimme ist, jedenfalls zu Beginn, etwas gewöhnungsbedürftig. Etwas gequetscht klingt sein sehr heller und scharfer Tenor, kann sich aber im Verlauf der Vorstellung steigern. Der gewitzte und verschlagene Figaro wird von einer Säule des Hauses, dem südkoreanischen Bariton Dae-Hee Shin gegeben. Er macht aus dieser Rolle wieder ein Paradestückchen, spielerisch sowieso, kann er mit seinem durchschlagskräftigem, weichem und klarem Bariton eindrucksvoll überzeugen. Er lässt die Stimme fließen und seine kräftige und wohllautende Stimmbänder überzeugen in allen Lagen. Ausgezeichnet auch Don Bartolo von dem aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammenden Marian Krejcik. Sein vollmundiger kräftiger und durchschlagsfähiger Bass überzeugt in jedem Moment und dazu kommt ein ausgeprägtes schauspielerisches Vermögen. Humorvoll, auftrumpfend und gleichzeitig leidend macht er

aus seiner Partie eine kleine Sondernummer. Die Verleumdungsarie wird voller Bassschwärze, stark und überzeugend von Mikko Järviloto, der die Partie des Don Basilio darbietet, zelebriert. Man merkt ihm richtig an, wie sehr ihm die Verleumdung als Berater zur Seite steht. Hervorzuheben (trotz ihrer albernen Nasenputzmanie, bedingt durch unseren Regisseur) ist Monika Reinhard in der Rolle der Berta, die mit glockenhellem Sopran und eindrucksvoller Koloratur das Publikum in ihrer kleinen Rolle verzaubert, eine ganz tolle Leistung. Ohne Fehl und Tadel Sang-Seon Won als Fiorello, Lars Kretzer als Ambrogio und Ditimar Sterev als Un Ufficiale. Der Herrenchor des Meininger Theaters ist durch Martin Wettges gut eingestellt. Insgesamt gesehen eine eindrucksvolle gesangliche und musikalische Aufführung, die kaum irgendwelche Ausfälle hat, leider aber mit einer Inszenierung, die dieses wunderbare Stück – aus meiner Sicht – nun wirklich nicht verdient hat.

Manfred Drescher, 17.11.2016

Fotos (c) Theater Meiningen / Marie Liebig