Meiningen: „Lucia di Lammermoor“

und ein sensationelles Rollendebüt

Besuchte Vorstellung 19. Juni 2016

Premiere 06. Mai 2016

Applausstürme in Meiningen für Elif Aytekin und das gesamte Ensemble

Ich war schon oft in Meiningen und ich habe Elif Aytekin – Gott sei Dank – schon oft erleben dürfen, sei es in „Don Pasquale“, „Gianni Schicci“, „Rigoletto“ oder auch in der atemberaubenden Partie der Elvira in „I Puritani“. Und immer war sie einfach herausragend und einmalig. Aber mit der Partie der Lucia aus Donizettis „Lucia di Lammermoor“ hat sie dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Über ihr Rollendebüt gleich mehr – aber wenn jemand einen Stern des Opernfreundes verdient hätte, dann Elif Aytekin und das Ensemble für diese herausragende Lucia.

Edgardo – Xu Chang, Lucia – Elif Ayetkin

Lucia funktioniert nur mit drei Spitzensängern – und hier in Meiningen hat man das große Glück, diese zu besitzen. Die schauerliche Mär von den Adelsfamilie Ashton und Ravenswood, die „immer schon“ verfeindet waren, ist aber auch zu mitreißend. Sir Edgardo, der letzte Ravenswood hat Lord Enrico Ashton, den er für sein grausames Schicksal verantwortlich macht, blutige Rache geschworen. Enrico, dessen Familie auch in finanzielle Probleme gekommen ist, sieht die einzige Möglichkeit seinen Clan zu retten darin, seine Schwester Lucia mit Lord Arturo Bucklaw zu verheiraten. Lucia, die sich ausgerechnet in Edgardo verliebt hat, will davon gar nichts wissen. Lucia und Edgardo versprechen sich ewige Treue, bevor Edgardo ins Ausland reisen muss. Enrico fälscht einen Brief und gaukelt damit Lucia die Untreue von Enrico vor. Resigniert willigt sie in die ungeliebte Heirat ein, da sie sich von Edgardo verraten sieht. Edgardo kommt von der Reise zurück, er verflucht Lucia und die ganze Familie Ashton, weil er glaubt, dass Lucia ihm bewusst untreu geworden ist. Lucia bricht zusammen.

Chor mit Edgardo – Xu Chang

Um seinen Todfeind ein für alle Mal auszuschalten fordert Enrico für den nächsten Tag Edgardo zum Duell auf Leben und Tod. In der Hochzeitsnacht tötet Lucia, deren Geist sich immer mehr verwirrt ihren Gatten Arturo. Als Edgardo vom Wahnsinns Lucias erfährt und die Totenglocken für sie läuten hört, bringt er sich selbst um und folgt so der ewig Geliebten in den Tod.

Der Regisseur Ansgar Haag lässt das Stück in den 20er bis 30er Jahren spielen, der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Alles in einem Land welches faschistische Züge aufweist und wo die Inszenierung greift. Auch die Kostüme von Renate Schmitzer passen sich dem an, dunkle, teilweise schwarze Uniformen der Männer stehen den Roben in Grautönen der Damen gegenüber, nur Lucia ist in Weiß, der Farbe der Unschuld, gekleidet. Das Bühnenbild von Christian Rinke ändert sich im ganzen Stück fast nicht. Eine Eingangshalle eines heruntergekommenen Sitzes der adligen Familien, eine Zelle, die der Folter dient und gekachelt ist. Aus diesen Kacheln fließt das Blut und es gibt auch den Blick auf den Friedhof frei. Die Probleme zeigen sich, ein Ebenbild Lucias erscheint des Öfteren, blutbefleckt und das Unheil, was auf alle zukommt, kann hier schon erahnt werden. Alles ist passend und auch teilweise beeindruckend. Aber was wäre das alles ohne die Musik.

Die Meininger Hofkapelle spielt unter der Leitung von GMD Philippe Bach zum grausigen Stück auf und sie tut dies vorzüglich. Die Musik Donizettis ist, allen Grausamkeiten zum Trotz, innig, beglückend, süß und mitreißend. Der Chor unter Leitung von Martin Wettges tut ein weiteres um die Ausnahmesituation dieser Inszenierung zu unterstreichen. Eine weitere Besonderheit ist auch der Einsatz einer Glasharmonika, welche von Philipp Alexander Maguerre leidenschaftlich gespielt wird. Donizetti, der sich dieses Instrument gewünscht hatte, musste damals auf die Flöte ausweichen, dies ist auch bei den meisten anderen Aufführungen der Lucia so. Die Wahnsinnsarie erhält aber durch die fast schwebende, seelenlose Glasharmonika etwas Geisterhaftes und hebt die Wahnsinnsarie auf eine besondere, nie dagewesene Stufe.

Chor mit Lucia – Elif Aytekin

Ja und dann kommen wir zu den Sängern. Und hier muss einfach zuerst die Debütantin der Lucia genannt werden, die junge türkische Ausnahmesopranistin Elif Aytekin. Sie ist einfach das herausragende Ereignis dieser Produktion. Sie verkörpert nicht die Lucia, nein, sie ist die Lucia. Schauspielerisch überragend, vermag sie jede Nuance dieser mörderischen Partie auszuleuchten. So zerbrechlich und zart sie wirkt, so leidenschaftlich ausdauernd und immer präsent ist sie hier. Mit einer immensen Stimmkraft, und dies habe ich bei „I Puritani“ bereits geschrieben, die man diesem zarten Persönchen gar nicht zugetraut hätte, einer brillanten Koloraturtechnik und einem Piani, bei welchem die Töne messerscharf hingehaucht im Raum stehen, ist sie einfach ein Erlebnis. Sie ist eine Ausnahmesängerin und –darstellerin, die berührt und bei deren Auftritten das Publikum im Saal fast das Atmen vergisst. Eine Stecknadel könnte man fallen hören, so gespannt und aufmerksam ist das Publikum. Ihre Wahnsinnsarie bringt sie mit einer solchen Leidenschaft, und das gegen Schluss der Oper, ohne jegliche Ermüdungserscheinung, klar, die höchsten Höhen mühelos erklimmend, die Koloraturen bis ins letzte auskostend, das es einem den Atem raubt. Ich gebe gerne zu, dass mich hier etwas die Euphorie mitgerissen hat, aber anders kann man diese Leistung nicht würdigen. Ich hoffe, dass sie dem Meininger Theater noch etwas erhalten bleibt, bin mir aber leider sicher, dass sich die großen Häuser schon auf den Abwerbeweg machen – schade für uns alle, die wir in der Gegend wohnen, sicher aber eine weitere Herausforderung für Elif Aytekin. Als Sir Edgardo lässt Xu Chang seinen klaren, höhensicheren, teilweise gewaltigen Tenor hören, auch er eine herausragende Leistung, vom darstellerischen ist er halt etwas statisch, aber man kann nicht alles haben.

Elif Aytekin

Dae-Hee Shin ist wie immer ein exzellenter Vertreter seines Faches. Als Lord Enrico lässt er einen weichen, klaren und durchschlagskräftigen Bariton erklingen und bringt auch die Rolle glaubhaft auf die Bühne. In keinster Weise wirkt sein Gesang angestrengt, er lässt seinen schönen weichen Bariton fließen und ist ein weiterer Aktivposten in der Besetzung, die kaum ein größeres Haus in dieser Intensität, Leidenschaft und Durchschlagkraft auf die Bühne stellen dürfte. Auch die weiteren Rollen sind exzellent besetzt, einen Ausfall gibt es nirgends. Als Lord Arturo lässt Daniel Szeili bis zu seiner tragischen Ermordung einen kräftigen robusten Tenor erklingen. Der – am Schluss auch gemeuchelte – Raimondo wird mit beweglichem, vollmundigem Bass von Mikko Järviluoto rollendeckend verkörpert. Mit samtigem ausdruckschönem Mezzosopran kann Carolina Krogius überzeugen und Normanno wird mit hellem, scharfem und präsentem Tenor tadellos von Siyabonga Maqungo verkörpert.

Fast zwanzig Minuten stehende Ovationen des ausverkauften Hauses, bei der Premiere sollen es weit über 30 Minuten gewesen sein. Und dies völlig zu Recht. Man hat heute eine Sternstunde am Theater Meiningen erlebt und wird diese Aufführung lange nicht vergessen. Man wünscht sich, dass es einmal eine Aufnahme in dieser Besetzung gibt um das ganze immer wieder hören zu können und es auch der Nachwelt zu überlassen.

Manfred Drescher, 26.06.2016

Fotos 1 – Marie Liebig, 2 bis 4 – Foto ed Meiningen