Meiningen: „Eine Nacht in Venedig“

Johann Strauss

Komische Oper drei Akten

Libretto: Friedrich Zell und Richard Genée

Musikalische Neueinrichtung: Erich Wolfgang Korngold

Orchesterfassung : Harish Shanka

Premiere in Meiningen am 16.07.2021

Als Richard Strauß 1882 den Kompositionsauftrag für dieses Werk angenommen hatte, ohne das Libretto vorher zu lesen, erlebte er eine böse Überraschung. Die Geschichte ist zerfahren, schwulstig und weder poetisch, geschweige denn komisch. Er klagt seinem Schwager: „…es wird ein rechter Schund werden, kannst dich drauf verlassen…“ und schenkt ihm später die Partitur mit Widmung „Meinem lieben Schwager Josef Simon als gebundenes Closette-Papier. Wünsch guten Appetit.“

Natürlich packte ihn der Ehrgeiz, dieses Miststück in ein Glanzstück zu verwandeln und die herrlichen Melodien reizen bis heute die Theaterbesucher mitzusummen!!

Regisseur Thomas Weber-Schallauer verlegt die Handlung zeitgemäß in das Venedig der Gegenwart, ohne auf Barockes, Opulentes und die Klischees der Lagunenstadt ganz zu verzichten. Komödie und Satire auf die damalige wie heutige Gesellschaft mit überzeichneten Figuren verschmelzen zu einer gelungenen Symbiose, die wohlwollend karikiert und weder albern noch abgedroschen wirkt. Alle erscheinen selbst in ihrer Unzulänglichkeit sympathisch und hinreißend komisch. Siegfried E. Mayer gönnt dem Publikum ein farbenfrohes Bühnenbild und führt es zu den Originalschauplätzen auf die Piazza San Marco, an die Ufer der Lagune und ins Innere eines Palastes. Die Kostümbildner durften sich mit Schnitten und Farben aus den Moden des Rokokos, der 20iger, 50iger und 70er Jahre austoben und könnten mit ihren Kreationen in jeder Talentshow Preise abräumen. Gewagt und frech betonen manche Kostüme geradezu unvorteilhaft körperliche Unzulänglichkeiten. Schief sitzende Perücken, groteske Haartürme und Schminkexzesse feiern die Satire.

Im ersten Akt fluten Touristen in Regencapes mit gezückten Handys die Piazza San Marco. Makkaronikoch Pappacoda ist sauer, weil keiner an seiner Nudelgondel andockt und er vor der Pleite steht. Emotional aufgebracht und wütend besingt Giulio Alvise Caselli aus einem überdimensionalen Pastateller, eine Gondelattrappe um den Bauch geschnallt, seine trübe Situation. Seine Geliebte Ciboletta, die als Köchin im Haus des Senators Delacquas arbeitet, will er so mittellos nicht heiraten. Carolina Krogius ist die gelungene Besetzung, die diesem Jammerlappen temperamentvoll und stimmgewaltig die Meinung geigt. Sehr begehrt und geschäftstüchtig präsentiert sich Annina, die Fischverkäuferin in einer riesigen Muschel. Aufreizend und freizügig zieht Monika Reinhard in Höchstform nicht nur ihre Kunden, sondern auch Verehrer an. Liiert mit Caramello, dem Leibbarbier des Herzogs, ist auch sie frustriert und fühlt sich nur ausgenutzt und wenig wertgeschätzt. Schon optisch birgt dieses Paar Komik: sie zierlich und quirlig, er distinguiert, abgehoben und mit pavarottischen Ausmaßen. Nur das Stimmvolumen dürfte noch wachsen.

Rafael Helbig-Kostka, neu im Ensemble, gibt in dieser Premiere sein Debüt. Wenn die drei Senatorengockel auf die Bühne stelzen, schießt Stan Meus als Bartolo Delacque den Vogel ab. Er genießt es sichtlich, wieder im Rampenlicht zu stehen und wird in dieser Paraderolle zur schillerndsten Figur. Mimik, Stimme und Bewegungen zeigen seine absolute Spielfreude. Alle drei Herren gieren nach dem Aufsichtsratsposten in der Holding des Immobilieninvestors Guido Urbino, genannt der „Herzog“. Alex Kim, strahlender Tenor, zunächst ganz in Weiß, bedient dieses Klischee perfekt. Weil er Delacquas Frau Barbara verführen will, lädt er zu einem Fest ein. Ihr Mann ahnt Schlimmes und so soll sie maskiert und per Gondel nach Murano gebracht werden. Aber Barabara hat gerade an diesem Abend ein Date mit ihrem Neffen und so überredet sie Annina, in ihre Rolle zu schlüpfen. Caramello, verkleidet als Gondoliere, lockt sie mit „Komm in die Gondel mein Liebchen“ und bringt sie natürlich nicht nach Murano sondern ins Haus seines Herrn Urbino.

Im zweiten Akt wartet der „Herzog“ schon ungeduldig auf sein Opfer. Doch statt der Angebeteten stürmen aufgedonnerte Fregatten seinen Salon, um ihn zu umgarnen, weil deren Männer den begehrten Aufsichtsratsposten auf diesem Weg ergattern wollen. Schließlich schleppt Caramello das Objekt der Begierde an, aber Annina gibt sich schnell zu erkennen und keinesfalls willig, sich mit Urbino einzulassen. In ihrem Silberfischglitzer wäre sie durchaus eine Alternative. Inzwischen ist nebenan das Fest in vollem Gange und die Gäste saufen und klauen hemmungslos. Delacqua indes hält sich für besonders schlau und präsentiert dem Herzog seine Frau, die in Wirklichkeit seine Köchin Ciboletta ist. Vielleicht bekommt er ja doch noch den begehrten Sitz im Aufsichtsrat. Der „Herzog“ durchschaut das Spiel und lädt gleich beide Damen zum Dinner ein. Ciboletta nutzt die Gunst der Stunde und überredet ihn, ihren Pappacoda als Leibkoch zu engagieren. Caramello legt in diesem Akt erstaunlich zu und erweist sich als wirklich komödiantisches Talent.

Im turbulenten dritten Akt ist Karnevalsnacht. Hier gipfeln die Ereignisse. Das Volk in Phantasiekreationen quer durch alle Moderichtungen sorgt für ein herrliches Spektakel. Pandemiebedingt wacht der Carabiniere über die Abstandsgebote, die echte Barbara kreuzt sturzbetrunken mit ihrem Liebhaber auf, spielt ihre Rolle aber ein bisschen zu echt, giekst und lallt, redet und singt zu leise, sodass sie vom Orchester übertönt wird. Pappacoda ist eifersüchtig und streitet sich mit Ciboletta, versöhnt sich aber erleichtert und glücklich, als er von seiner neuen Stelle erfährt. Auch Caramello erkennt, was für einen Schatz er an Annina hat und wird für seine Treue schließlich von Urbino mit dem Aufsichtsratsposten belohnt. Ein dickes Lob gilt dem Chor des Theaters, der szenengerecht, stimmlich und schauspielerisch, kurios kostümiert diese Operette trug. Großes Kompliment an Manuel Bethe. Die Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Harish Shankar durfte endlich wieder in größerer Besetzung dieses wunderschöne Werk intonieren. Was für ein Glück für das Meininger Staatstheater, über ein solches Orchester zu verfügen.

Gründlich entstaubt, keinesfalls kitschig, wirklich komisch toppt diese Inszenierung musikalisch wie bühnentechnisch vergangene Strauß- und Korngoldfassungen.

Prädikat: sehr sehenswert, beste Unterhaltung, nichts wie hin

Inge Kutsche, 19.7.2021

Bilder (c) Theater Meiningen / Liebig